Schwerverletzter in Hamburg: Blauer Block eskaliert 1. Mai-Demos
Der Tag der Arbeit endete in Hamburg mit einem Schwerverletzten. Die Organisatoren der Demos kritisieren die Taktik der Polizei.
HAMBURG taz | Es hätte ein erfolgreicher Tag sein können: Weit mehr Menschen als erwartet gingen am 1. Mai in Hamburg auf die Straße, um zu demonstrieren. 3.000 Menschen zogen mit dem Umverteilungsbündnis „Wer hat der gibt“ durch Pöseldorf, 1.000 Menschen kamen zur anarchistischen Demo im Norden Hamburgs und rund 3.000 versammelten sich mit dem Roten Aufbau am Hauptbahnhof. Was aber rückblickend auf den 1. Mai auch bleibt, ist der Eindruck von Schikane, Willkür und Repression.
Ein Polizist verletzte einen Demonstranten so schwer, dass dieser die Nacht im Krankenhaus verbringen musste. Die „Wer hat der gibt“-Demo stand eine Stunde lang still, weil die Polizei sich an der schwarzen Farbe der Corona-Schutzmasken störte. Die anarchistische Demo durfte gar nicht erst loslaufen.
„Das war einfach nur miese Schikane von Seiten der Polizei“, sagt Kim Behrens (Name geändert), Sprecher des anarchistischen Bündnisses „Schwarz-roter 1. Mai“. Als sich die Demo zum Loslaufen bereit gemacht hätte, habe der Einsatzleiter der Polizei im Salamitaktik-Stil immer neue Einwände vorgebracht.
Erst seien die Teilnehmer*innen im Frontblock zu vermummt gewesen. Daraufhin hätten sie ihre Sonnenbrillen abgenommen. Dann habe sich die Polizei an zwei Transparenten gestört, auf denen jeweils ein brennendes Polizeiauto abgebildet war – nach Ansicht der Polizei eine Aufforderung zu einer Straftat.
Transparente abgehängt, doch das reichte nicht
Nach längeren Verhandlungen zwischen dem Einsatzleiter und den Demo-Anwält*innen, die mit der Kunstfreiheit argumentierten, hängten die Demonstrant*innen die Transparente schließlich ab. Als die Demo endlich loslaufen wollte, sei den Polizisten ein weiteres Transparent aufgefallen – die Anarchos rollten es ein.
Die ganze Zeit seien die Teilnehmer*innen geduldig geblieben, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt schon seit etwa einer Stunde nicht vom Fleck gekommen seien, sagt Behrens. Als nächstes habe der Einsatzleiter ein weiteres Transparent kritisiert – „Bullenschweine Mörder Lügner“ habe darauf gestanden. Auch das hätten die Teilnehmer*innen entfernt, obwohl ihnen nicht klar gewesen sei, welche Straftat das darstellen solle.
Daraufhin sei der Einsatzleiter der Polizei einfach verschwunden. Ein anderer Polizist habe eine Weile später ausgerichtet, jetzt gäbe es wieder ein Problem mit der Vermummung. Entnervt habe die Demoleitung entschieden, die Demo in eine stationäre Kundgebung umzuwandeln. Schließlich hatte sich der Start zu diesem Zeitpunkt schon um knapp zwei Stunden verzögert. „Es war denen egal, ob wir die Auflagen erfüllen“, sagt Behrens. „Die Polizei hätte sich immer weitere Punkte ausgedacht. Die wollten uns nicht laufen lassen.“ Es sei frustrierend und mache ihn ratlos, dass die Polizei sich einfach über die Versammlungsfreiheit hinwegsetzen könne.
Anstatt die Anarchist*innen dann wenigstens ihre Kundgebung halten zu lassen, hätten Polizist*innen den vorderen Teil der Demo gekesselt und die Teilnehmer*innen schließlich in Kleingruppen in die U-Bahn gelassen, in der sie selbst mit fuhr. Bis zur Station Schlump durfte niemand aussteigen, das bestätigen auch eine andere Versammlungsteilnehmerin und ein Fotojournalist, der ebenfalls in der U-Bahn war, gegenüber der taz.
Polizist warf Demonstranten auf den Hinterkopf
Am Schlump leitete die Polizei die Protestierenden aus der Bahn heraus, hielt sie jedoch im Gebäude gekesselt. Als einige Teilnehmer*innen durch die Polizeikette rannten und die Polizist*innen hinterher, kam es zu der schweren Verletzung: Auf einem im Internet veröffentlichten Video sieht man, wie ein Polizist auf einen Demonstranten zustürmt, der ihm gerade den Rücken zuwendet. Der Polizist schmeißt sich gegen ihn und wirft ihn um, der Demonstrant knallt mit dem Hinterkopf auf den Asphalt und krampft. Schwer verletzt kommt der Demonstrant ins Krankenhaus, erst am Dienstagvormittag wird er entlassen.
Der Polizeisprecher Florian Abbenseth gab lediglich an, dass das Dezernat für Interne Ermittlungen der Polizei informiert worden sei. Zu allen anderen Fragen könne man einen Tag nach dem Einsatz noch nichts sagen, da noch nicht alle internen Berichte dazu vorlägen. Das werde frühestens zwei Tage nach dem 1. Mai der Fall sein, so Abbenseth.
Auch „Wer hat der gibt“ kritisiert den Polizeieinsatz. „Es ist eine Frechheit, eine angemeldete Demonstration mit so einem Großaufgebot zu begleiten“, sagt die Sprecherin Carlotta Schmidt. Wenn Wasserwerfer, Räumpanzer und Einsatzwagen das Viertel vollparken und eine Hundertschaft an der Spitze der Demo laufe, führe das zu einer Stigmatisierung sozialer Proteste.
Der Gipfel sei gewesen, die Demo eine Stunde lang aufzuhalten, weil sich Teilnehmer*innen des Jugendblocks erst mit Sonnenbrillen und Schals vermummt hatten, nach Verhandlungen zwischen Polizei und Anwält*innen dann stattdessen Coronamasken aufgesetzt hatten.
Die Polizei wertete die Masken als Vermummung, weil die Maskenpflicht zum Infektionsschutz ja aufgehoben sei und die Masken darüber hinaus noch schwarz waren. „Das ist so gaga“, sagt Schmidt. „Gesundheitsschutz ist ein Recht, das die Polizei nicht nach Lust und Laune für ungültig erklären kann.“ Insgesamt bleibe der Eindruck: „Die einzigen, die Bock auf Krawall hatten, waren die Boys und Girls in blau.“ Es stelle sich die Frage, warum man Proteste mühsam organisiere und korrekt anmelde, damit die Polizei sie dann je nach Laune schikanieren könne.
Leser*innenkommentare
Alexander Shawky
Zitat eines Beamten in RoboCop Verkleidung bei der "Wer hat der gibt" Demo:
"Wer will der kriegt."
Iguana
Das Vorgehen der Polizei ist nicht zu entschuldigen.
Aber ich kann mir auch nicht so ganz vorstellen, dass die Transparente und Coronamasken so unschuldig waren und die Demo-Teilnehmenden nicht auch Grenzen austesten wollten. Was völlig okay ist und in keiner Weise das Vorgehen der Polizei rechtfertigt.
gyakusou
Interessant, dass 99% der Demos in Deutschland problemlos stattfinden können und es immer nur mit den selben Gruppen und Personen Probleme und Ausschreitungen gibt.
Die Schuldfrage ist für mich klar.
Arne Babenhauserheide
@gyakusou Die Gruppe ist die Hamburger Polizei?
Punk-Rock
@gyakusou Welche Ausschreitungen haben dieses Mal diese willkürlichen Polizeimaßnahmen gerechtfertigt? Habe nichts mitbekommen. Und solange nichts passiert, ist jeder unschuldig und es gilt das Recht der Versammlungsfreiheit.
PartyChampignons
@gyakusou Klar, total eindeutig die Schuldfrage.....junge junge junge
Bolzkopf
@gyakusou Solche Menschen wie Sie brauchen wir !
Einfach! Gerade heraus! Überzeugt!
Lindenberg
Ein vielleicht lebensgefährlich Verletzter, eine schlimme Bilanz, die mit Fairness, Coolness und guter Kommunikation, keinen Kesseln (gleich Kommunikationsabbruch!) und neuen guten präventiven Ansätzen auf Seiten der Hamburger Polizei sicher zu vermeiden wäre.
Präventive moderne Demoarbeit, wie bei einem den Grünen angehörenden Polizeiführer bei den Denmonstrationen in Lützerath, scheint für die Hamburger Polizei ein Fremdwort zu sein.
Höchste Zeit, Konfrontation zwischen Polizei und Demonstranten mit zeitgmäßen langfristigen präventiven Konzepten zu vermeiden.
Nachhilfe für die Hamburger Polizei könnten Polizisten aus den USA geben: Kommunikation sei der Schlüssel, um frühzeitig zu deeskalieren, auch community policing sei sehr erfolgreich.
Dazu könnte auch gehören, den Kult der Maskulinität innerhalb der Polizei bei Demonstrationen durch mehr Frauen aufzubrechen, die sich anders kleiden, als schwer vemummte Polizisten, die aussehen, als würden sie in den nächsten Straßenkampf ziehen. Kreativität in dieser Hinsicht scheint für die Hamburger Polizei unvorstellbar, dabei gibt es dazu Anregungen aus wissenschaftlicher Literatur.
Ein derartiges Konzept mit Frauen wurde bei politischen Demonstrationen in Irland angewandt.
www.pbs.org/newsho...flicts-turn-deadly
journals.sagepub.c...7/0032258X16687165
Uwe Kulick
@Lindenberg Danke für die Tipps für Hamburg. Denn polizeipolitisch offenbart sich die stolze Hansestadt mit der gezeigten Unart von "Umsetzung von Demonstrationsrecht", also einem grundlegenden demokratischen Grundrecht, als bedauernswürdiges Entwicklungsland.
Und überdies: Da war anscheinend wohl das hinterletzte Polizeifähnlein "Ronald Schill" am Werk gewesen :-(
Auf der Seite von Recht und Ordnung zu stehen sieht jedenfalls anders aus.
adagiobarber
keine frage ...
sicherlich wäre eine angemessene toleranz der einsatzkräfte gegenüber den phantasievoll gestalteten transparenten angebracht gewesen.
das sind junge leute mit ungebremster energie für das gute und schöne.
da braucht es herz und zuwendung.
es sollte doch für alle ein fröhlicher und sonniger feiertag werden.