Bilanzen der Coronapandemie: Endlich Maskenfall

Drei Jahre begleitete uns die Maske: beim Einkaufen, im Nahverkehr, in der Schule. Nun bleibt sie noch in Krankenhäusern Pflicht. Drei Blicke zurück.

Menschen steigen in eine U-Bahn ein

Nur vermummt in die U-Bahn – das galt bis Donnerstag Foto: Jochen Eckel/imago

„Ende einer Ausbildung“

Mit dem Ende der Coronamaßnahmen endet auch meine Ausbildung als Pflegekraft. Ich habe vor zwei Wochen hingeschmissen. Ich musste eben abwägen, was mir wichtiger ist: meine psychische Gesundheit oder meine Ausbildung. Der Stress hat mich fertiggemacht. Unter den gegebenen Arbeitsbedingungen in der Pflege ist es nicht möglich, Menschen gut zu pflegen.

Vielleicht war der Wendepunkt im Herbst letzten Jahres. Ich war im zweiten Lehrjahr und habe eine Frau mit Lungentumor betreut. Als ich ihr eines Morgens einen Verband angelegt habe, kamen zwei Ärzte rein und haben ihr ziemlich unfreundlich gesagt: Ihr Tumor ist nicht heilbar, sie müssen bald sterben. Danach sind sie wieder raus – und ich war alleine mit ihr. Sie hat stark angefangen zu weinen und hatte total viele Fragen. Die sollte aber nicht ich beantworten müssen, ich bin 19 Jahre alt, verdammt!

Das Schlimme war, dass sie auch noch sofort entlassen wurde. Obwohl sie auf Sauerstoff angewiesen war, obwohl bei ihr zu Hause nichts vorbereitet war. Sie als Person war überhaupt nichts wert, sie war einfach nur ein Bett, das neu belegt werden sollte. Ich habe versucht, mich einzusetzen – vergeblich. Lediglich ein Sauerstoffgerät hat sie geliefert bekommen. Ich habe mich tausendmal entschuldigt, doch wofür? Ich bin doch nicht verantwortlich für dieses scheiß Gesundheitssystem.

„In der Ausbildung war dann alles anders: Das ganze Menschliche war weg.“

Dabei war ich anfangs total begeistert, in meinem Leben etwas zu machen, dass Menschen aktiv hilft. Im Frühjahr 2020, zu Beginn der Pandemie, als die Pflege so viel beklatscht wurde, habe ich während meines Fachabis ein Jahrespraktikum in einem Krankenhaus gemacht. Das war richtig gut. Ich hatte viel Zeit, um mit den Pa­ti­en­t:in­nen zu reden. Ich bin gerne um 5 Uhr morgens zur Arbeit gefahren. Daraufhin habe ich die Schule abgebrochen und die Ausbildung begonnen.

In der Ausbildung war dann alles anders. Das ganze Menschliche war weg. Die Kol­le­g:in­nen hatten keine Zeit, mir Dinge zu zeigen. Ich habe hauptsächlich Hilfsarbeiten gemacht, eben Sachen, die sonst hinten weggefallen wären. Ich war damals auf einer Station, wo die Leute, die Covid hatten, wieder aufgepäppelt wurden. Da habe ich gesehen, was Covid mit Menschen machen kann.

Maskenpflicht An diesem Donnerstag endet nach fast drei Jahren die Maskenpflicht in Berliner Bussen und Bahnen. „Selbstverständlich steht es Ihnen frei, auch danach eine Maske tragen“, weisen die Verkehrsbetriebe auf ihrer Homepage auf die Möglichkeit zur freiwilligen Rücksichtnahme hin. Die Maskenpflicht im Fernverkehr endet ebenfalls. In Krankenhäusern und Pflegeheimen bleibt sie indes vorerst bis zum 7. April bestehen: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte sich zuletzt dagegen ausgesprochen, diese Regelungen auf Bundesebene vorzeitig zu lockern. Eine neue Virusvariante ist bisher nicht in Sicht.

Coronaverordnung Am 12. Februar läuft in Berlin die aktuelle Coronaverordnung aus – die Länder konnten zuletzt sogenannte Basisschutzmaßnahmen selbst ausgestalten. In der Senatssitzung am Dienstag wird über eine mögliche Verlängerung entschieden. Dabei geht es vor allem um die Isolationspflicht nach positivem Test. Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) hat bereits gegen eine Verlängerung plädiert. Die Fallzahlen seien rückläufig, eine Überlastung von Gesundheitsversorgung oder kritischer Infrastruktur nicht zu erwarten. Brandenburg schafft die Isolationspflicht zum 13. Februar ab. (akl)

Der Krankenhausstreik 2021 hat mir noch einmal Kraft gegeben, auch Selbstvertrauen, für mich einzustehen. Im Nachgang ist mir aber klar geworden: Obwohl der Tarifvertrag super ist, konnten wir das System nur minimal ändern. Das war extrem ernüchternd. Ich kann mir nicht vorstellen, mein ganzes Leben unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Würden die sich aber ändern, ich würde sofort wieder anfangen.

Valentin Jonas (Name geändert) war Azubi in einem großen Berliner Krankenhaus. Protokoll: Timm Kühn

„Immense Erschöpfung“

Es ist so, dass sich in unterschiedlichen Bereichen bestimmte Problemlagen verschärft haben und die Pandemie auch noch nachwirkt. Aus den Schulen bekomme ich in meiner Beratungsarbeit mit: Gerade die Kinder, die in der Pandemie schwierig zu erreichen waren, für die ist es jetzt auch schwieriger, Rückstände aus den Pandemiejahren aufzuholen.

Das sind Kinder, die zu Hause weniger Ressourcen hatten als andere. Sei es, weil die Technik im Homeschooling fehlte. Sei es, weil die Eltern nicht so unterstützen konnten beim Lernen oder kaum Geld für Nachhilfe hatten. Diese Kinder sind während der Pandemie häufig vom Radar verschwunden. Das schlägt sich jetzt in schlechteren Leistungen nieder.

Was ich auch gespiegelt bekomme: eine Erschöpfung, nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei den Eltern und Lehrkräften. Sie klagen über Überlastungserscheinungen, sie haben weniger Geduld und haben das Gefühl, dass ihre pädagogische Arbeit leidet. Das ist natürlich auch wieder ein Risikofaktor für Kinder, wenn das Hilfesystem in der Überlastung ist.

Es ist aber nicht jede Erschöpfung direkt auf Corona zurückzuführen. Aber was erschöpfend nachwirkt: die Umstellung von Routinen. Das ist eine enorme Belastung für unser kognitives System, man nennt das in der Psychologie „mental load“: wie viel Rechenleistung muss das Gehirn zur Verfügung stellen, um den Alltag zu bewältigen? Rituale reduzieren den „mental load“ – weil wir über gewisse Dinge einfach nicht nachdenken müssen.

„Im Rückblick auf die Pandemie den Zeigefinger rauszuholen, ist der falsche Ansatz. Am Anfang konnte man viele Dinge einfach nicht absehen.“

Während Corona mussten sehr viele Dinge neu gelernt werden, vom Masketragen über das nicht mehr erlaubte Händeschütteln bis zum Homeschooling-Alltag. Das zieht Energie aus dem System. Wenn einem gefühlt alles über den Kopf wächst, kann man versuchen, Routinen wiederaufzubauen.

Ich erlebe nun ein breites Spektrum an Reaktionen: Angst vor dem Ende der Maßnahmen und das genaue Gegenteil. Das sorgt im Arbeitsalltag für Spannungen.

Im Rückblick auf die Pandemie den Zeigefinger rauszuholen, ist der falsche Ansatz. Am Anfang konnte man viele Dinge einfach nicht absehen. Was man für die Zukunft besser machen muss: den Blick mehr auf diejenigen richten, die sich selbst wenig Gehör verschaffen können. Kinder brauchen soziale Kontakte und ganz besonders Kinder, die ohnehin schon benachteiligt sind.

Wir sehen jetzt einfach viele Kollateralschäden in der Jugendhilfe – etwa Kinder mit Migrationshintergrund, bei denen der deutsche Spracherwerb gelitten hat. Und da ist zum Beispiel zeitweise ein Gespür verlorengegangen dafür, wie wichtig bestimmte Zeiträume für Jugendliche sind – ins Ausland fahren nach dem Abitur, Partys feiern als junger Mensch, das kann man nicht aufschieben. Bestimmte Lebensphasen sind unwiederbringbar.

Thilo Hartmann ist Psychologe und arbeitet unter anderem mit Familien zu Stressbewältigung und Gesundheitsprävention. Protokoll: Anna Klöpper

„Musik verschwindet“

Ich habe die soziale Abschottung während der Pandemie nicht als so schlimm empfunden wie andere in meinem Freundeskreis. Denn eigentlich bin ich gern zu Hause, bastel vor mich hin und mache Musik, und ich habe jeden Tag viel telefoniert. Auch, dass keine Konzerte mehr stattfinden konnten, war okay für mich. Wenn ich ganz ehrlich bin, stand die Entscheidung schon vor Corona im Raum. Es ist mir einfach ein bisschen zu anstrengend geworden.

Allerdings war die Erkenntnis, dass man als Mu­si­ke­r*in meines Bekanntheitsgrads ohne Konzerte überhaupt nichts mehr verdient, schon ein bisschen bitter. Aber irgendwann ist man halt raus aus dem Alter, dauernd auf Tour gehen zu wollen. Ein Kollege von mir, Torsun von Ego­tronic, singt in einem Song: „Ich wurde nicht reich und bin jetzt wieder arm.“ So ist das bei sehr vielen Musiker*innen.

Trotzdem habe ich kein Selbstmitleid. Denn ich bin ja immer gut durchgekommen, weil ich noch Klavierunterricht gegeben habe. Außerdem bin ich sehr gern Klavierlehrerin. Noch dazu haben die Coronahilfen wirklich sehr geholfen. Und als vor einem halben Jahr das Konto auf einmal immer leerer wurde, habe ich zum Glück einen neuen Job gefunden, den ich einen Tag die Woche machen kann. Ich spiele in der Psychiatrie Klavier mit Kindern und Jugendlichen, die nicht unbedingt mal Mozart spielen wollen, sondern einfach für den Moment beschäftigt sein wollen. Das ist wirklich eine sehr schöne Arbeit.

„Die meisten sind vom Regen in die Traufe gekommen, und jetzt haben sie keinen Schirm mehr.“

Ich bin also ganz zufrieden. Und ich bin auch froh, so wie früher Musik machen zu können, ohne dass jemand etwas von mir erwartet. Das macht mich auf eine gewisse Art auch freier. Ich mache und veröffentliche wieder viel mehr Musik. Mitte Februar erscheint meine neue Single „Lampenfieber“.

Schade finde ich nur, dass sich die Berliner Musikszene so sehr gewandelt hat. Die meisten sind vom Regen in die Traufe gekommen, und jetzt haben sie keinen Schirm mehr. Alle, die wieder spielen wollen, haben echt Schwierigkeiten. Die Vorverkäufe laufen überhaupt nicht mehr gut. Konzerte und ganze Touren werden einfach so abgesagt, von kleineren, aber auch von mittelgroßen Acts. Da ändert sich leider nachhaltig etwas. An Konzerten kann man eben eher sparen als am Wocheneinkauf.

Ira Göbel, 46, ist freie Musikerin und Klavierlehrerin, ihre neue Musik veröffentlicht sie bei Audiolith Records. Protokoll: Susanne Messmer

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