SPD nach Berlinwahl: Verdammt zum Regieren
Franziska Giffey setzt auf Rot-Grün-Rot. Ein Bündnis, das wichtig ist für ihr politisches Überleben. Ein Selbstläufer ist es nicht.
Auf einer Leinwand werden die aktuellen Hochrechnungen übertragen, der schwarze Balken uneinholbar weit oben, der rote und der grüne Balken festgetackert nebeneinander auf Platz zwei. „Wahnsinn, ist das knapp. Sind es jetzt wirklich 100 Stimmen, die darüber entscheiden, ob wir nochmal eine Chance bekommen?“, fragt ein verzweifelt blickender Genosse.
Kurz nach Mitternacht steht fest: Es sind tatsächlich 105 Stimmen. Die SPD hat zwar mit 18,4 Prozent ein historisch schlechtes Ergebnis in der Hauptstadt erzielt, liegt aber knapp vor den Grünen. Ein Vorsprung im Promillebereich, der nicht einmal für einen zusätzlichen Sitz im Abgeordnetenhaus reicht. Aber für die Rückkehr ins Rote Rathaus?
„Ich spüre Verantwortung für diese Stadt“, sagt Giffey am Montag im Willy-Brandt-Haus der SPD, blass, aber mit fester Stimme. Sie hat sich gerade Blumen und Rückhalt abgeholt. Aus der Zentrale heißt es: Nur dank Giffey sei man überhaupt noch auf Platz zwei gelandet. Aus Platz zwei leitet Giffey denn auch mindestens einen Mitregierungsauftrag ab. Man werde jetzt mit der erstplatzierten CDU sprechen, aber auch mit Grünen und Linken.
Sie lobt die gerade abgestrafte rot-grün-rote Koalition, betont die funktionierende Zusammenarbeit. „Wir brauchen uns nicht zu verstecken.“ Die Berliner:innen sahen es am Sonntag zwar anders. Doch Giffey sieht auch in ihrem SPD-Landesverband „große Sympathien“ für eine Fortsetzung dieses Bündnisses.
Ungelöste Probleme
Macht Rot-Grün-Rot also weiter? Und wenn ja, wie soll eine Neuauflage funktionieren, die die chaotische Verwaltung ertüchtigt, den stockenden Verkehr fluide macht und den eklatanten Mangel an bezahlbaren Wohnungen behebt? Es sind diese und andere ungelöste Probleme, die 52.000 Wähler:innen von der SPD zur CDU getrieben haben. Und just bei diesen Themen liegen Sozialdemokraten, selbstbewusste Grüne und auftrumpfende Linke diametral auseinander.
Über eine Neuauflage der rot-grün-roten Koalition entscheidet Giffey womöglich nicht mehr allein. Am Nachmittag muss sie zur Sitzung des Berliner Landesvorstands. Zuvor melden sich einflussreiche Kreisvorsitzende zu Wort. Von einem nötigen Neuanfang spricht der Kreischef von Charlottenburg-Wilmersdorf. Andere fordern gar ein Ende der Ära Giffey. Von der 20.000 Mitglieder starken Berliner SPD wird Giffey eher geduldet als geschätzt.
Ein Kompromiss könnte sein, dass sich Giffey, die sich mit dem SPD-Fraktionschef Raed Saleh den Landesvorsitz teilt, aus der Landespitze ausscheidet. Und sich ganz auf die Arbeit im Roten Rathaus konzentriert. Allerdings ahnt man auch in der SPD, dass eine Fortsetzung von Rot-Grün-Rot mit erstarkten Grünen neue Fallstricke bereithält. „Die Grünen werden sicher mehr fordern“, sagt ein Genosse und deutet an, dass die SPD den Grünen und Linken etwa beim Mietenvolksentscheid und einem Enteignungsgesetz entgegenkommen müsse. Genau das hatte Giffey aber vor der Wahl ausgeschlossen.
Und sie gibt sich am Montag auch wenig entgegenkommend. Bei vier Themen sieht sie Veränderungsbedarf: Wohnen, Verkehr, Verwaltung und innere Sicherheit. Dort könne auch der noch geltende Koalitionsvertrag nicht einfach so bleiben. Nach Entgegenkommen klingt das nicht. Ein Selbstläufer wird eine Neuauflage von Rot-Grün-Rot sicher nicht. Aber auch eine Koalition mit der CDU diskutiert die SPD. Einige Ostbezirke befürworten das Zweierbündnis mit dem Wahlsieger Kai Wegner von der CDU.
Was macht Saleh?
Viel wird deshalb davon abhängen, wie sich der mächtige Mann der Berliner SPD, Raed Saleh, auf der Landesvorstandssitzung, die bei Redaktionsschluss noch andauert, positioniert. Stärkt er Giffey den Rücken oder lässt er sie fallen? In diesem Fall könnte er aber auch mitfallen. Wahlniederlagen haben manchmal ihre eigenen Dynamiken.
Fragen nach ihrer Rolle in einer möglichen Großen Koalition weicht Giffey am Montagmittag aus. Ausgeschlossen ist es also nicht, dass der Wahlsonntag und der Tag danach den Anfang vom politischen Ende von Franziska Giffey bedeuten. Ein Kreisverband etwa verlautet, dass die Sondierungsverhandlungen nicht von Giffey und Saleh, sondern von SPD-Generalsekretär Kühnert geführt werden könnten.
Aus Kühnerts Umfeld wird das prompt zurückgewiesen. Die Probleme Berlins und auch der hiesigen SPD reichten viel tiefer. Wer jetzt nach schnellen Personalwechseln rufe, habe nichts verstanden. Der Berliner Landesverband gilt als zerstritten. Die Neigung von Kühnert also, der als Generalsekretär einer in sich ruhenden Kanzlerpartei reüssiert, sich in dieses Wespennest zu begeben, sind gering.
Giffey versucht es am Sonntagabend mit Optimismus: „Egal wie, es geht immer weiter“, ruft sie den Genoss:innen zu. Die applaudieren kräftig, auf der Bühne überreichen sie Giffey ein Gemälde: Die Skyline von Berlin. „Hier das Rote Rathaus“, deutet ein Genosse in die Mitte. Kleiner Wink: Eine politische Zukunft in und mit der Berliner SPD hat Giffey wohl nur als Regierende Bürgermeisterin. Dass das Rote Rathaus rot bleibt, mit diesem Versprechen ist sie angetreten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des FInanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution