Interview mit Malerstar Daniel Richter: „Malen? Immer mit Musik!“
Daniel Richter über fliegende Pitbulls, wahre Kunst, reiche Menschen und alte Freunde. Und wie er sich in Pepe Danquarts Dokumentarfilm präsentiert.
taz: Daniel, was macht denn dieser Hund hier?
Daniel Richter: Das ist Louis.
Person: geb. 1962 in Eutin. Punk-sozialisiert. Protagonist der Hamburger Subkulturszene um Goldene Zitronen und Buback-Label. Einer der teuersten Künstler seiner Generation. Professor in Wien, lebt in Berlin. Frühere Galerie CFA, heutige Thaddaeus Ropac.
Film: Pepe Danquarts Dokumentarfilm „Daniel Richter“, ab 2. 2. im Kino. Neben den Grünzügelpapageien in Nebenrollen: Jonathan Meese und Tal R. Bei Hatje Cantz erscheint im Mai eine Daniel-Richter-Monografie von Eva Meyer-Hermann.
Ein schönes Tier, aber etwas aufgeregt. Wie versteht er sich mit den Vögeln, wo sind die überhaupt?
Der Hund ist noch sehr jung. Ich lebe nicht mehr mit den Vögeln im Atelier. Die wurden gemeingefährlich, haben die Besucher attackiert. Es ist unangenehm, wenn dir zwei Papageien ins Gesicht fliegen, sich mit ihren doch sehr starken Schnäbeln an dir festbeißen.
In dem Dokumentarfilm von Pepe Danquart über dich sieht das noch idyllisch aus: der Maler bei seinem einsamen Tagewerk, umgeben von zwei frei fliegenden Vögeln, mit denen er sich zwitschernd unterhält.
Es waren Grünzügelpapageien. Ich bin mit ihnen sehr gut klargekommen. Aber wenn die mit drei, vier Jahren in die Pubertät kommen, werden die so richtig eifersüchtig. Sie haben sich in fliegende Pitbulls verwandelt. Es ging nicht mehr weiter.
Ich dachte vor allem: Was macht er, wenn die auf seine Bilder kacken?
Das haben sie auch. Macht aber nichts, kann man bei Ölmalerei einfach wegwischen.
Wie lange haben dich Danquart und sein Filmteam jetzt bei deiner Arbeit begleitet?
Begonnen haben wir vor Corona, 2019. Wir wollten in einem Jahr fertig sein. Doch daraus wurden fast drei.
Du gibst intime Einblicke in den Alltag im Atelier, erzählst bei Yogaübungen nebenbei, wie du malst und die Welt siehst. Hat dich die Anwesenheit des Filmteams nicht irritiert?
Am Anfang schon. Doch irgendwann gewöhnt man sich daran. Ich dachte, es ist okay, wenn sie so nah wie möglich an einen herankommen. Ohne den Vorführeffekt: Maler präsentiert sich in seinem Studio. Am Ende hatten sie 240 Stunden aufgenommen. Viel Material.
Wenn der Film nicht trügt, hörst du beim Malen immer Musik?
Das stimmt. Ich habe nur selten Momente allerhöchster Entschiedenheit, in denen ich ohne Musik male. Beim Lesen oder Schreiben höre ich keine Musik. Aber Malen? Immer mit Musik! Das ist angenehm, assoziativ; nebenbei kannst du dich durch alles Mögliche systematisch durchhören. Etwa: Okay, jetzt sämtliche Schostakowitsch-Streichquartette Nummer 3 A- und F-Dur.
Der Film hat so auch einen sehr prägenden Soundtrack erhalten.
Anscheinend. Ich habe eine Version gesehen, da war die Musik noch nicht so voll da. Aber jetzt habe ich schon öfters gehört, es sei auch ein richtiger Musikfilm. Ich höre sehr unterschiedliche Musik. Black Music, Gefrickel, Elektromusik, Jazz … Vielleicht wirkt es als Kommentar zu der Unterschiedlichkeit der möglichen Ansätze beim Malen.
Aus den früheren Hamburger Punkkreisen um die Goldenen Zitronen ist das Musiklabel Buback entstanden. Du bist der Inhaber. Betreibst du es aus Mäzenatentum für die alten Freunde, die man nicht vergisst, was bedeutet es dir?
Lustig, dass du das fragst. Du wirst lachen: Es ist überhaupt nicht mäzenatisch. Das ist ein Unternehmen mit sechs Leuten und Ausbildungsplätzen. Aktuell veröffentlicht es Alben von Derya Yıldırım & Graham Mushnik oder Stella Sommer. Der Gewinn resultiert aber vor allem aus dem Booking.
In einer Filmszene, im Gespräch mit der Kunsthistorikerin Eva Meyer-Hermann, betonst du den Einfluss von Comics auf dich und deine Bildwelt. Was fasziniert dich an ihnen?
Ich habe auch früh alles Mögliche andere gelesen. Aber man bildet da schnell gewisse Vorlieben heraus. Mir wurde schnell klar, dass „Fix und Foxi“ ein Rip-off ist. Eine schlechte Kopie Rolf Kaukas von Walt Disney unter deutschen Vorzeichen. Mit ideologischen Verschränkungen und Manipulationen. Kauka hat in seinem Verlag die ersten deutschen Ausgaben von „Asterix & Obelix“ herausgebracht. In antiamerikanischer und antisowjetischer Übertragung: „Ganz Deutschland ist besetzt, Ost und West. Nur ein paar unbeugsame Deutsche wehren sich“. Peinlich. Als das Goscinny, Uderzo und der französische Verlag spitzkriegten, haben sie es Kauka untersagt. Der hat dann noch blöderen antikommunistischen Kram verlegt.
Deine frühe Sozialisierung in der Bildsprache des Comics führt aber nicht automatisch zur Malerei?
Nein, überhaupt nicht. Es hat ja auch mit Malerei wenig zu tun. Es gibt ein paar Bilder, die ich vor 20 Jahren gemalt habe. Die beschäftigen sich damit. Da tauchen frühe Comicfiguren mit auf. Es ging mir da um die Vorläufer einer narrativen Form von Bild-Erzählung. Doch der Zusammenhang ist ein anderer: Ich funktioniere sehr stark über Bilder. Meine Wahrnehmung der Welt ist weniger von Sprache als von Images geprägt. Ich glaube, bei Leuten, die Comics lesen, sich dafür interessieren, ist das oft ausgeprägter als bei anderen.
Also der Kunstunterricht in der Schule war es bei dir nicht?
Der Kunstunterricht war es auch. Ich hatte einen Kunstlehrer, den ich sehr mochte. Der mich in meiner Dysfunktionalität bestärkte. Ich war in Mathe oder Physik eine Null. Die Stunden habe ich oft geschwänzt und bin in den Raum des Kunstlehrers gegangen. Der hatte eine Bücherei. Ich saß dort, habe mir Kunstbücher angeguckt. Und er hat mich darin bestärkt. Ich war etwa zwölf, als er uns die CoBrA nahebrachte.
Die Avantgarde-Gruppe?
Die war da schon relativ etabliert. Er versuchte, uns moderne Malerei zu erklären. Auf mich hat das im Übergang vom Kind zum Jugendlichen Eindruck gemacht. Ich versuchte, die Überlegungen des Non-Narrativen, der abstrakten Malerei zu begreifen. Was bedeutet es, wenn man etwas gar nicht direkt erkennen kann, aber es trotzdem so einen erzählerischen Impuls verkörpert. Ich weiß noch, wie mich ein Karel-Appel-Film beeindruckt hat. Ein klassischer 50er-, 60er-Jahre-Künstlerfilm, Jazz und Schlagzeug im Hintergrund. Es war ein Versprechen von Freiheit und irgendwas, was man nicht so leicht verstand.
Nach der Schule ging es vom Land in die Stadt. Aber Jugend, Punkzeit, Hamburger Subkultur spielen im Film keine große Rolle. Warum nicht?
Der Film sollte von der künstlerischen Produktion ausgehen. Von dem Versuch, möglichst viele Aspekte von Denken und Kunstpraxis nahe zu kommen. Weniger von Biografie oder politischen Vorstellungen. In Gesprächsszenen wie mit Eva Meyer-Hermann oder dem Auktionär gibt es ja auch einige Hinweise.
Aber auf abstrakterem Niveau, ohne unmittelbar biografische Zeichnung deines Lebenslaufs.
Das wollte ich so: Bitte kein klassischer Künstlerfilm. Man sollte die Fotografen bei der Arbeit, die Packer beim Transport sehen. Es gibt nicht nur die große Ausstellung, die die Bedeutung des Künstlers unterstreicht, sondern auch die vielen Ebenen der Wahrnehmung drum herum, Markt, Kritik, Galerie – Diskussionen und Gespräche.
In der aktuellen großflächigen Gemälde-Serie „Furor“ variierst du auf abstrakte Weise das Motiv eines Kriegsversehrten des Ersten Weltkriegs. Aber du schlägst hier auch den Bogen zu deinen Collagen und Grafiken. Vielen bist du als Maler mit großen Bildern bekannt. Warum sind dir dennoch Collage-, Grafik- und Druckarbeiten so wichtig?
In den Bereichen von Collage oder Siebdruck findet all das statt, was meiner Meinung nach in der Malerei nicht stattfinden kann. Und auch nicht stattfinden sollte. Da beschäftige ich mich mit politischen Images, mit Humor und Denunziation bestimmter Ideologien, spitze Paradoxien und Widersprüche zu. Das kann ich in der Malerei nicht leisten. Das wäre uninteressant oder nur das Abmalen dessen, was es als Fotocollage gibt. Dafür gibt es keine Notwendigkeit. Dem vorgefundenen und collagierten Material brauche ich nicht als Sahnehäubchen Malerei draufzuklatschen.
Warum klassische Montage-, Fotocollage-Technik und nicht digitale?
Die Überprüfbarkeit ist besser als etwa bei digital verbreiteten Memes und GIFs. Da erkennt man das Forcierte meist nicht. Bei digitalen Bildverarbeitungen erscheint das Image oft als in sich logisch. Bei klassischen Collagen prallen von vornherein zwei Bildwelten aufeinander. Das wird absichtlich vorgeführt. Und ist das Interessante daran.
Man sieht dich auch beim Zeichnen eines Weltkriegszyklus. Mit Tinte. Ausgangspunkt sind alte Kriegspostkarten aus dem Ersten Weltkrieg.
Ich bin gerne auf Flohmärkte gegangen. Als ich mein Atelier noch in Mitte hatte, zu dem an der Museumsinsel. Und da fand ich neben den nostalgischen Postkarten für Militariasammler auch diese Feldpostkarten von zerstörten Dörfern. Vor allen aus Belgien. Kaiser Wilhelm hatte Belgien völkerrechtswidrig überfallen lassen. Bei ihrem Durchmarsch legten die Deutschen dort ganze Dörfer in Schutt und Asche. Zur Bestrafung der Zivilbevölkerung, die nicht kooperierte. Den Deutschen galt es als besondere Beleidigung, wenn sich ihnen Zivilisten, Bauern in den Weg stellten. Soldaten schickten die Postkarten mit Bildern der Zerstörung, die sie angerichtet hatten, stolz an Mama und Papa nach Hause. Die Postkartenmotive wurden von Fotografen angefertigt, die mit den Bataillonen unterwegs waren. Man sieht deutsche Soldaten vor ausgebrannten Hütten oder zerbombten Ruinen posieren.
Aber wie schafften es Kriegsversehrte, Hinkebeine, die du zuletzt groß- wie kleinformatig variiert hast, auf diese Propagandakarten?
Das war wohl eine Gegenreaktion. Sie gehen auf eine Postkarte von einem Dorf an der finnisch-russischen Grenze zurück, also damals schwedisch/finnisch-russischen Grenze. Da sieht man verkrüppelte deutsche Soldaten, die in ihrem Elend durch den Schnee stapfen. Die Karte muss jemand gemacht haben, der Kriegsgegner war. Aber meine Beschäftigung damit ist malerisch, historisch und nicht eins zu eins zum Beispiel auf jetzt zu interpretieren.
Du sprichst auch über Technik und Motive berühmter deiner Bilder wie „Tarifa“. Das Bild entstand 2001, als Flüchtlinge im Schlauchboot noch kaum Thema waren. In einer mondän wirkenden Sequenz sieht man die Versteigerung des Gemäldes bei Christie ’s. Es ging für 1.300.000 Euro über den Tresen. Eine obszön wirkende Summe, oder?
So ist es. Wir leben im Kapitalismus. Die Gesetze des Kapitals gelten für Spielzeugautos wie für Malerei. Das ist viel Geld. Aber damit habe ich nicht viel zu tun. Das ist der Sekundärmarkt und davon sehe ich kaum etwas. Künstler kriegen beim Weiterkauf eines ihrer Werke von dem höherem Preis nur einen geringen Prozentsatz. Das ist kompliziert gestaffelt. Und gedeckelt. Bei 12.500 Euro ist Schluss. Egal ob ein Bild für 20.000 erworben wurde und dann für 20 Millionen weiterverkauft wird.
Dein Hund wirkt unruhig.
Den Trubel hier ist Louis nicht gewöhnt.
Zum Glück ist er kein Pitbull.
Nein wirklich nicht, aber er müsste mal vor die Tür.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn