Ausstellung über die Kunst des Blödsinns: Schön albern
Die Hamburger Deichtorhallen zeigen eine Ausstellung über ernsthaft inszenierte Albernheiten in der Kunst. Dabei verwässert der historische Bezug.
Clownsgesicht oder Karnevalsmaske: Absonderliche Nasen gelten als witzig. Und überlange Arme, metergroße Pantoffeln, Riesen und Zwerge öffnen mit ihren verkehrten Größenverhältnissen eine sowohl verwunschene wie verstörende Welt.
So beginnt diese großangelegte Ausstellung zur ernsthaft inszenierten Albernheit in der Harburger Sammlung Falckenberg der Deichtorhallen mit Referenzen auf den Lunapark und die Kirmes – samt raumfüllendem Spiegel-Irrgarten mit einer lebensgroßen Giraffe. Gibt es eigentlich komische Tiere?
In sechs Kapiteln wird ein weites Terrain durchforscht und im Ergebnis dem Publikum vieles geboten. Christina Ricupero und Jörg Heiser als Kuratierende bemühen sich, aus gänzlich unterschiedlichen Intentionen und Kontexten stammende Kunst in über 100 Positionen aus der ganzen Welt von Kino bis Karikatur samt kunsthistorischen Zitaten zusammenzufassen. Dafür haben sie den Begriff der „enthusiastischen Peinlichkeit“ neu erfunden.
Das meint nicht Artefakte, die den BetrachterInnen peinlich sind, da sie in Form und Inhalt die normativen Grenzen gerne auch mit sexuellen Anspielungen überschreiten. Es soll eher auf die begeisterte Konsequenz verweisen, mit der in der Kunst und anderswo etwas verfolgt wird, auch wenn es unangenehm wird oder gar völlig aus dem Ruder läuft: Das geht bis zur allerdings etwas trivialen Konsequenz, an einer der großen Treppen des Hauses einen Film zu zeigen, in dem jemand die Treppe herunterfällt – Neo-Slapstick sozusagen.
Die Ausstellung verzichtet weitgehend auf erläuternde Bildlegenden
Das Kuratorenpaar sagt, es sei von US-amerikanischen B-Movies inspiriert. So ist den abenteuerlichen Billigprodukten der späten 50er bis frühen 70er Jahre ein eigenes Kapitel gewidmet.
Aber das zeigt auch das Problem: Edward J. Woods „Plan 9 from Outer Space“ gilt zwar mit seinen Außerirdischen und Vampiren auf dem Friedhof mit wackeligen Pappgrabsteinen allgemein als der schlechteste Film aller Zeiten. Im Kunstkontext ironisch gebrochen ist er jedoch geradezu genial: Das Objekt ist also nichts ohne seinen Kontext.
Während im Katalog tiefschürfend philosophiert wird, tut die weitgehend auf erläuternde Bildlegenden verzichtende Ausstellung leider so, als ob alle in den letzten 100 Jahren entwickelten Unterscheidungen und Referenzsysteme plötzlich obsolet wären: Manierismus und verkehrte Welt, Schutz-Amulett oder politische Provokation, Spott, Karikatur oder Ironie, Surrealismus und Pittura Metaphysica, das real Stupide und gespielt Idiotische oder das als „entartet“ Diffamierte, die Institutionskritik oder die Affirmation des Kitsches im „Camp“, alles ordnet sich dem Begriff unter.
Die hinter einer roten Absperrkordel auf grünem Grund gezeigten Bilder von De Chirico, Magritte, Kippenberger und Schwontkowski, samt Inszenierung traditioneller Porträts eines schielenden Paares und der kitschig beidäugig ergänzten Nofretete von Hans-Peter Feldmann und dem irrwitzig physiognomisch übertriebenen Kopf des „Erzbösewichts“ von Franz Xaver Messerschmidt von 1783 bilden zwar eine nette Inszenierung. Die zwingt aber doch sehr unterschiedliche Konzeptionen zusammen.
Noch seltsamer wird der historische Bezug in der Abteilung zu den 1920er-Jahren. Getreu dem dadaistischen Motto „Dada war da, bevor Dada da war“ werden in Kopie eine die Zunge heraussteckende barocke Fassadengroteske oder gar eine auf 1642 datierende Narrendarstellung von Pieter Bruegel kommentarlos herbeizitiert. Der 20-minütige, großartig anarchistische Film „Entr’acte“ von René Clair und Francis Picabia von 1924 wird aber nur in einem absurden dreiminütigen Zusammenschnitt gezeigt und die politischen Implikationen von Dada bleiben unerwähnt.
„Ridiculously Yours – Ernsthaft!?“, Sammlung Falckenberg, Harburg, Wilstorfer Str. 71. Sa & So 12 – 17 Uhr, freitags mit Führung nach Voranmeldung unter tickets.deichtorhallen.de um 15 und 17 Uhr. Bis 27. 8.
Den tiefsten Ernst des Unsinnigen erreicht vermutlich Sigmar Polke mit seinem „Apparat mit dem eine Kartoffel eine andere umkreisen kann“: Damit gelang ihm 1969 eine dringende künstlerische Innovation, auf die die Welt sehr lange hatte warten müssen. Die gleichzeitige Mondlandung wurde durch sie weit in den Schatten gestellt.
Auch sie fügt sich also ins kuratorische Konzept der „enthusiastischen Peinlichkeit“: Trotz so viel präsentierter Aufmüpfigkeit, Ironie und Groteske scheint es aber weder allzu gewitzt noch witzig genug. Doch wie sagt der Therapeut zum Klienten: Schön, dass wir darüber gesprochen haben. „The Problem with the Humans“ bleibt wieder einmal ungelöst – in Jeremy Dellers Vision liest ein Buch mit diesem Titel ein gelehrter Oktopus.