Frontex auf der Balkanroute: Eskalation und Achselzucken
Laut EU-Kommission soll die Grenzschutztruppe Frontex auf der Balkanroute ausgebaut werden – ein Plan, der sich jeder konstruktiven Lösung verweigert.
I mmer wieder kommen über Privatnetzwerke erschreckende Nachrichten von der Balkanroute: Zwei marokkanischen Jugendlichen gelang kürzlich die Flucht nach Italien. Einen Monat lang seien sie zu Fuß unterwegs gewesen, vorbei an Leichen. Nun schicken sie triumphierende Fotos aus Italien, unfrei, arbeitslos, aber immerhin der Hölle entkommen. Ein Zurückgebliebener stellt sich die Frage, mit der er seit Jahren hadert: Ist mein Leben wertlos genug, zu sterben? Er ist noch nicht volljährig, als er sich das fragt.
Öffentlich sichtbar sind vor allem Nachrichten wie die aktuelle: Die sogenannte Grenzschutzagentur Frontex soll laut EU-Kommission auf der Balkanroute ausgebaut werden. Die EU-Staaten sollen darüber entscheiden. Die Kommission verabschiedete bereits Finanzhilfen von 39,2 Millionen Euro für Überwachungssysteme in der Region. Grund sei, dass dort rund dreimal so viele Menschen unterwegs seien wie im Vorjahr. Serbien hat bereits Abkommen zur Visafreiheit etwa mit Tunesien aufgekündigt.
Es ist ein reflexhaftes Reaktionsschema: Die Ukrainekrise und die fortschreitende Klimakatastrophe sorgen für mehr Fluchtbewegungen, diese wiederum für mehr Abschottung. Es ist eine Politik, die sich von kollektivem Achselzucken nährt und sich einer konstruktiven Lösung verweigert.
Wohlstand, erkauft nach fortbestehenden kolonialen Prinzipien: im Kernland schlemmen, an der Peripherie prügeln. Das immer offener gewaltsame Zurücktreiben von Geflüchteten, verfälschte Einsatzprotokolle, die vielen Tausend Fälle schwerer oder tödlicher Gewalt an den Grenzen – unwahrscheinlich, dass je jemand zur Verantwortung gezogen wird. Die noch unbequemere Frage: Gäbe es überhaupt noch ein Unrecht, zu dem eine Mehrheit Nein sagen würde?
Wo eine Gesellschaft schon gar nichts von ihrer Gewalt versteht, müsste sie zumindest ihre Denkfehler verstehen. Zehntausende Talente, die sterben, arbeitslos in der Heimat sitzen oder in Lakaienjobs verschlissen werden – das muss sie sein, die berühmte Effizienz des Kapitalismus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen