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Studierende in der DauerkriseIrgendwie durch den Winter kommen

Die Bundesregierung will Studierende mit Einmalzahlungen entlasten – und im Krisenfall das Bafög für alle öffnen. Doch so einfach ist das nicht.

Der Winter wird hart: Studierende bleiben weitestgehend sich selbst überlassen Foto: Kniel Synnatzschke/Deepol/plainpicture

Berlin taz | An ihrem letzten Geburtstag hatte Katharina Mertens nicht nur Grund zur Freude. Im September wurde die Studentin der Kulturwissenschaften 25 Jahre alt – und damit endete für sie das staatliche Kindergeld. Die 219 Euro im Monat waren die einzige Unterstützung, die ihre Eltern für das Studium überwiesen haben. Mertens muss in diesem Herbst und Winter also mit deutlich weniger Geld auskommen. Ausgerechnet jetzt, ärgert sich die Studentin, wo das Leben an allen Enden teurer wird.

Zumal Mertens seit ihrem 25. Geburtstag auch nicht mehr über ihre Familie krankenversichert ist. Nochmal rund 80 Euro im Monat, die obendrauf kommen. Ihr Ausweg: Sie zieht bald mit ihrem berufstätigen Freund zusammen. Die Mietkosten teilen sie nach Einkommen auf. „Nur so geht es finanziell“, sagt Mertens. „Wie ich sonst durch den Winter kommen würde, weiß ich nicht“.

So angespannt wie vor diesem Wintersemester war die Stimmung unter Studierenden selten. Pandemiemüdigkeit, Klimakrise, Krieg in Europa – und nun die explodierenden Lebenshaltungskosten. Auf zehn Prozent ist die Inflation im September geklettert. So hoch lag der Wert zuletzt Anfang der 1950er Jahre. Putins Angriffskrieg in der Ukraine befeuert weiter die Energiepreise.

Auch die Mieten für Studierende haben in diesem Jahr wieder merklich angezogen. Laut einer Studie des Moses Mendelssohn Instituts kostet ein WG-Zimmer im bundesweiten Schnitt jetzt 414 Euro – ein neuer Höchstwert. In vielen beliebten Städten wie Hamburg, Berlin oder München liegt der Schnitt schon jenseits der 500-Euro-Marke.

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„Junge Menschen haben es gerade nicht leicht“, schrieb Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) kürzlich auf Twitter. „Erst kam #Corona, dann die #Energiekrise. Deshalb müssen Studierende und auch Fachschüler zusätzlich entlastet werden. Das ist mir ein besonders Anliegen“. Tatsächlich hat Stark-Watzinger erreicht, dass Studierende bei den jüngsten Ampel-Entlastungspaketen mitberücksichtigt wurden – jedoch nicht alle gleichermaßen.

So sollen Bafög-Empfänger:innen, die nicht bei den Eltern wohnen, zwei Heizkostenzuschüsse erhalten (über 230 Euro und 345 Euro). Wer neben der Uni angestellt oder in einem Minijob dazuverdient, müsste im Septemberlohn die (zu versteuernde) Energiepreispauschale über 300 Euro bekommen haben. Zudem hat Stark-Watzinger allen Studierenden eine einmalige Zahlung über 200 Euro versprochen.

Rahel Schüssler, Vorständin im Studierendenverband fzs, hält das für keine richtige Entlastung. „Einmalzahlungen können die strukturelle Armut unter Studierenden nicht bekämpfen und in der derzeitigen Höhe noch nicht einmal kurzfristig lindern“, sagt sie der taz. Sie stört zudem, dass nur Bafög-Empfänger:innen und damit ein sehr kleiner Teil der Studierenden die volle Unterstützung bekommen sollen. Die beiden Heizkostenzuschüsse erhalten nach Angaben des Bundesbildungsministeriums (BMBF) gerade mal rund 277.000 Personen – also weniger als zehn Prozent der Studierenden in Deutschland.

Der fzs, der sich schon länger für ein elternunabhängiges Bafög einsetzt, fordert, in der jetzigen Situation alle Studierenden stärker zu entlasten. „Nur weil die Eltern theoretisch in der Lage sind, einem das Studium zu finanzieren, heißt es nicht, dass sie ihrer Pflicht nachkommen“, so Rahel Schüssler. „Die Hürde, die eigenen Eltern auf Unterhalt zu verklagen, ist hoch.“

Hauptsache günstig

So ähnlich formuliert das auch Katharina Mertens. Sie ist eine der Studierenden, die weder vom Staat noch von ihren Eltern finanziell unterstützt werden. Bafög erhält sie nicht, weil ihre Eltern zu viel verdienen. Unterstützen tun sie ihre Tochter aber nicht. „Meine Eltern verstehen nicht, warum ich etwas so Brotloses wie Kulturwissenschaften studiere“, sagt sie.

Dass ihre Eltern sie in der Ausbildung eigentlich finanziell unterstützen müssen, weiß Mertens. Vor juristischen Schritten schreckt sie zurück. „Das würde die ohnehin schwierige Beziehung noch schwieriger machen“. Aus diesem Grund will sie auch nicht, dass ihr richtiger Name in der Zeitung steht.

Mertens schlägt sich seit über acht Semestern mit Nebenjobs und mit einem möglichst sparsamen Leben durch. Ihr Hauptkriterium beim Studienort war: so günstig wie möglich. Ihre Wahl fiel auf Frankfurt an der Oder an der polnischen Grenze. Die Stadt hatte lange den Ruf, schöne WG-Zimmer für wenig Geld zu bieten, sagt Mertens. Diese Zeit sei mittlerweile vorbei. Auf insgesamt rund 450 Euro Miete kommt sie derzeit für ihre Wohnung. Seit ihrem 25. Geburtstag reicht das Geld nun trotz Nebenjob und Büchergeld-Stipendium nicht mehr. „Bafög wäre der Traum für mich“.

Eigentlich hat die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, das Bafög elternunabhängiger zu machen. Dieses Versprechen hat sie, wie beispielsweise auch eine Erleichterung für Studienfachwechsel (in der Regel hat man dann keinen Anspruch mehr auf Bafög) noch nicht eingelöst.

Nofallmechanismus greift ins Leere

Dennoch sehen Bil­dungs­po­li­ti­ke­r:in­nen der Ampelparteien das Bafög als guten Grundstock in der jetzigen Situation. Von gelungener „Krisenvorsorge“ spricht der Grüne Kai Gehring. Mit der ersten Bafög-Reform im April habe die Bundesregierung die Beitragssätze und das Wohngeld erhöht, die Freibeträge und die Altersgrenze angehoben und so den Kreis der Bafögberechtigten erweitert.

Ende September ging die zweite Bafög-Reform der Ampel durch den Bundestag. Der sogenannte „Notfallmechanismus“ ist eine Antwort auf die Coronapandemie – und die unzureichende Hilfe der ehemaligen Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) für Studierende, die ihre Jobs verloren hatten. Deshalb soll künftig vorübergehend Bafög erhalten, wer krisenbedingt den Nebenjob verliert. Auch Studierende, die sonst kein Bafög bekommen würden. Den Slogan „Wir machen das Bafög krisenfest“, hört man auch bei SPD und FDP. Nur: Für die jetzige Krise ist der „Notfallmechanismus“ nicht geeignet.

Tatsächlich greift er nur in dem Fall, dass wie zu Beginn der Pandemie der Arbeitsmarkt einbricht und Studierende nachweisen können, dass sie deshalb ihre Nebenjobs verloren haben. Heißt: Wegen der hohen Lebenshaltungskosten kann niemand beim BMBF zusätzliche Gelder beantragen.

„Welchen Sinn ergibt ein Notfallmechanismus, wenn er in dieser Krise gar nicht zur Anwendung kommen kann?“, kritisiert der CDU-Abgeordnete Thomas Jarzombek. Am­pel­po­li­ti­ke­r:in­nen kontern, dass es die Union war, die sich noch unter der Groko massiv gegen die Öffnung des Bafög für bedürftige Studierende gesträubt hat – und stattdessen lieber auf bürokratische Nothilfen sowie Darlehen setzte.

Lange Wartezeiten für Psychosozialberatung

Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), bezeichnet den „Notfallmechanismus“ deshalb zwar als Fortschritt. Allerdings hält auch er ihn für zu eng gefasst. „Das Bafög sollte jetzt wegen der Inflation für sechs Monate geöffnet werden“, sagt Anbuhl im Gespräch mit der taz. Die Entlastungen, die die Bundesregierung in Aussicht gestellt hat, reichen aus seiner Sicht nicht aus. „Viele Studierende befinden sich in einer akuten Notsituation und wissen nicht, wie sie über den Winter kommen“.

Anbuhl beobachtet, dass die existentiellen Sorgen auch zunehmend auf die psychische Verfassung der jungen Menschen schlagen. So hätten die Wartezeiten für Psychosozialberatung bei den Studierendenwerken in diesem Jahr stark zugenommen. Nun steige mit den finanziellen Nöten der Druck noch weiter. Eine Beraterin der Psychotherapeutischen und Psychosozialen Beratung des Studentenwerks München berichtet der taz, dass Studierende wegen der aktuellen Wirtschaftslage sogar bereits ihr Studium aufgegeben hätten.

DWS-Generalsekretär Anbuhl fordert deshalb zweierlei: eine baldige Nachbesserung bei den Bafögsätzen, denn die jüngste Erhöhung habe längst die Inflation aufgefressen. Und: die schnelle Auszahlung der bereits beschlossenen Hilfen. Wie beispielsweise die Einmalzahlung über 200 Euro ablaufen soll, steht noch gar nicht fest.

Das Bundesbildungsministerium teilt auf Anfrage mit, es arbeite „gegenwärtig mit Hochdruck an der Umsetzung“. Auch die anderen Gelder lassen auf sich warten. Erst rund 45 Prozent der Berechtigten haben etwa die erste Heizkostenpauschale erhalten. Beschlossen wurde sie im März. Bei der zweiten Heizkostenpauschale sollen „erste Auszahlungen voraussichtlich Anfang 2023“ erfolgen.

Bis dahin müssen sich Studierende ohne staatliche Hilfe über Wasser halten. Es wird ein langes Wintersemester.

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4 Kommentare

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  • Das was die Ampel an sozialen und wirtschaftlichen Aspekten kaputt macht versucht sie mit viel Geld zuzuschütten. Aber das kann nicht ewig so weitergehen. Irgendwann ist eine andere Politik notwendig.

  • Die einzige Hilfe, die einfällt ist Schulden machen? Das hält doch keiner mehr aus. Immer nur die blöde Devise vom "fordern und noch mehr fordern". Warum wird man immer nur dafür besraft, wenn man was besseres aus seinem Leben machen will?

  • Wenn man mit einem Einzelfall anfängt, Merten, jetzt 25 J, dann kann man den auch hinterfragen und nicht nur eine pauschale Unterstürzung für Studierende fordern.Wenn Studierende elternunabhängig gefördert werden sollen, darf man dann die Förderung von dem Bedarf abhängig machen? ZB bei Kulturwissenschaften? Oder vom Alter, bzw. Lebensweg? Abi mit 18 oder 19, Bachelor und Masterstudium 5 Jahre, also Studienabschluss mit 23 oder 24. Wenn man was nicht geklappt hat, ein Jahr mehr. Der Kindergeldverlust mit 25 wäre also zu ertragen. Zumal alle, die eine Ausbildung gemacht haben, dann schon lange kein Kindergeld mehr bekommen.

    • @fly:

      Also wir müssen schon mal nicht die wie vielsten BWLER unterstützen, die ihren Job nur so la la können und deshalb Firmen gegen die Wand fahren. Und auch nicht die Psychologen, die ihre Patienten eh nicht ernstnehmen und die dann einfach auf Medikamente setzen. Oder schlechte ITler, die alles verschlimmbessern, statt das Problem zu lösen. Oder Architekten und Ingenieure, die die Erfahrung der Bauleute mit Praxis in den Wind schießen. Statiker können da ein Lied von singen. In der Jura müssten mal die ganzen Psychopathen rausgesiebt werden.