Anhaltende Proteste in Iran: Aufstände im ganzen Land

Die Demonstrationen gegen die Regierung in Iran gehen unvermindert weiter. Videos zeigen jubelnde De­mons­tran­t:in­nen und schießende Polizei.

Menschen um eine brennende Barrikade

Protest am Mittwoch in Teheran: Eins der wenigen Fotos, die Nachrichtenagenturen verbreiten können Foto: ap

TEHERAN/BERLIN afp/ap/rtr/taz | In Iran haben am Freitag im ganzen Land erneut Demonstrationen gegen die Sittenpolizei und die Regierung stattgefunden. Videos in den sozialen Medien zeigten Auseinandersetzungen mit der Polizei, ein brennendes Polizeifahrzeug und Schüsse. „Die Zahl der Todesopfer bei den jüngsten Unruhen im Land ist auf 35 gestiegen“, berichteten iranische Staatsmedien am Freitagabend. Bisher hatten die Behörden die Opferzahl mit 17 angegeben. Aktivisten gehen bereits von mindestens 50 Toten aus. Allein in der nordiranischen Provinz Gilan wurden zudem mehr als 700 Menschen festgenommen.

Nach den Freitagsgebeten formierte sich in der Hauptstadt Teheran eine Gegendemonstration, deren Teilnehmer gegen die Unruhen wetterten. Die iranische Regierung erklärte, Demonstrationen zu ihrer Unterstützung seien spontan erfolgt. Während früheren Protestperioden war es zu ähnlichen Kundgebungen gekommen.

Die iranischen Behörden haben angesichts der Protestwelle den Zugang zum Internet unterbrochen und Regulierungen für populäre Plattformen wie Instagram und WhatsApp verschärft, die oft zur Organisation von Demonstrationen und Kundgebungen benutzt werden.

Die US-Regierung reagierte am Freitag darauf, indem sie amerikanischen Tech-Firmen gestattete, ihre Aktivitäten in Iran auszuweiten. Wegen des Konflikts um das iranische Atomprogramm hat Washington ansonsten harte Sanktionen gegen Teheran verhängt. Tesla-Chef und SpaceX-CEO Elon Musk kündigte daraufhin an, seinen Starlink-Satelliten-Breitbanddienst für die Menschen in Iran zu aktivieren. Dies schrieb Musk am Freitag in einem kurzen Tweet auf Twitter. Mit dem Starlink-Projekt will Musk einen weltweiten Internetzugang bieten und dabei insbesondere entlegene Gebiete mit einer schnellen Internetverbindung versorgen.

Das Freischalten von Starlink war in den letzten Tage immer wieder von Ak­ti­vis­t:in­nen aus dem Iran gefordert worden. Zuvor hatten weltweit Akteure aus der Zivilgesellschaft dazu aufgerufen, die Menschen in Iran technisch bei der Umgehung der Zensur zu unterstützen. Auch die taz beteiligt sich und hat einen Server für Signal aufgesetzt, um die Blockade zu umgehen.

Das Verbreiten der Proteste via Social Media gilt als eine der wenigen Waffen der Protestbewegung. Zudem ermöglichen die Videos einen Einblick in die Lage des Landes, in dem unabhängiger Journalismus vom Regime nicht zugelassen wird.

Jubelnde Demonstrant:innen, schießende Polizisten

Die neuen Videoaufnahmen aus dem Iran zeigten, wie Demonstranten in Teheran einen Polizeiwagen in Brand steckten und Beamte bedrängten. An anderen Orten in der Hauptstadt fielen Schüsse, während Demonstranten vor der Polizei flohen und riefen: „Sie schießen auf Menschen! Oh mein Gott, sie bringen Menschen um!“ Weitere Videos zeigen, wie große Menschenmengen klatschend und rufend offenbar durch die Straßen von Teheran ziehen. Aber auch schwer bewaffnete Polizisten, die auf Menschen schießen, sind zu sehen.

In Nischapur im Nordwesten des Landes bejubelten die Demonstranten ein umgestürztes Polizeifahrzeug. Aufnahmen aus Teheran und Maschhad zeigten Frauen, die ihre Kopftücher wie Fahnen in der Luft schwenkten und dabei „Freiheit“ riefen.

Auslöser war der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini nach ihrer Festnahme durch die Sitten- und Religionspolizei in der vergangenen Woche. Sie war festgenommen worden, weil sie ihr Kopftuch angeblich zu locker getragen hatte. Die Polizei gab an, die junge Frau sei an einem Herzinfarkt gestorben und nicht misshandelt worden. Ihre Familie zweifelte diese Aussagen an. Inzwischen fordern die Demonstranten aber auch offen die Regierung heraus. Einige Teilnehmer der Protestaktionen verlangen den Sturz der regierenden Geistlichen – mit Rufen wie „Tod dem Diktator“ und „Die Mullahs müssen weg“.

Demos auch für das Regime

Hardliner-Gruppen organisierten am Freitag eine Gegendemonstration in Teheran. Tausende Frauen in traditionellen schwarzen Tschadors und Männer gekleidet im Stil der Basidsch, einer Freiwilligentruppe der paramilitärischen Revolutionsgarde, strömten nach dem Freitagsgebet auf die Straßen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Irna berichtete. „Tod für Amerika“, „Tod für Israel“ und „Amerikas Söldner führen Krieg gegen die Religion“, skandierten sie.

Das Geheimdienstministerium warnte die Bürger am Freitag vor der Teilnahme an „illegalen“ Kundgebungen und drohte mit Strafverfolgung. Örtliche Behörden kündigten die Festnahme Dutzender Demonstranten an. Der stellvertretende Polizeichef in der Provinz Gilan im Norden, Hassan Hosseinpur, sagte, am Freitag seien 211 Menschen festgenommen worden. Die Regierung in der Provinz Hamadan im Westen meldete 58 Festnahmen von Demonstranten.

Der iranische Präsident Ebrahim Raisi verurteilte die gegen die Regierung gerichteten Proteste nach seiner Rückkehr von der Generaldebatte der UN-Vollversammlung in New York. „Wir haben viele Male angekündigt, dass wir zuhören werden, wenn jemand eine faire Anmerkung hat. Aber Anarchie? Störung der nationalen Sicherheit? Der Sicherheit des Volkes? Niemand wird dem nachgeben“, erklärte er.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.