piwik no script img

Michail Gorbatschow ist totEiner, der die Welt verändert hat

Mit 91 Jahren ist der russische Friedensnobelpreisträger und frühere sowjetische Staatschef Michail Sergejewitsch Gorbatschow gestorben.

Michail Sergejewitsch Gorbatschow ist tot Foto: John Kringas/Chicago Tribune

Vor allem für die Menschen im Osten war er ein politisches Idol und ein Hoffnungsträger: Michail Sergejewitch Gorbatschow. Mit ihm verbanden sie die Hoffnung darauf, dass sich in der DDR und in den anderen Ländern des Ostblocks rasch etwas ändere. Dass sich die schwere Agonie, in der sich die sozialistischen Staaten Ende der 1980er Jahre befanden, zumindest in Teilen auflöse und sie Freiheitsrechte bekämen. Dass die Menschen ihre Meinung sagen, den Staat und seine Führung kritisieren konnten – ohne die berühmte Schere im Kopf und ohne Angst vor Repressalien. Dass es ihnen wirtschaftlich besser ginge.

Im Herbst gingen sie in der DDR auf die Straße und riefen: „Gorbi, Gorbi!“ Gorbatschow hatte in seiner Heimat, der Sowjetunion, Mitte der 1980er Jahre politische Reformen angestoßen, die DDR-Bürger:innen hofften, dass diese auch sie erreichten.

Jetzt ist Michail Sergejewitch Gorbatschow im Alter von 91 Jahren in der Nähe von Moskau nach langer Krankheit gestorben.

Gorbatschow war weltweit geschätzt: Als Generalsekretär der Kommunistischen Partei (1985 bis 1991) hatte er mit seiner Politik von Glasnost (Öffentlichkeit) und Perestroika (Umgestaltung) einen bis dahin ungekannten Reformprozess eingeleitet. Das gab den Menschen zumindest in der Sowjetunion bis dahin nie da gewesene Freiheiten. Unter anderem dafür erhielt er 1990 den Friedensnobelpreis. Der politische Prozess führte letztlich zu einem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums. Er galt als einer der Väter der deutschen Einheit und als Wegbereiter für das Ende des Kalten Krieges. Von März 1990 bis Dezember 1991 war er Staatspräsident der Sowjetunion.

In seiner Heimat indes wurde er als „Totengräber der Sowjetunion“ geschmäht, manche nannten ihnen einen Verräter. Auch, weil nach dem Zusammenbruch des Ostblocks die Wirtschaft in der Sowjetunion einbrach. Nach einem misslungenen Putschversuch trat Gorbatschow am 25. Dezember 1991 als Präsident der Sowjetunion zurück.

Gorbatschow hat die Welt verändert. Bis zu seinem Tod machte sich Gorbatschow um seine eigene politische Stiftung in Moskau verdient. Die Organisation setzt sich für demokratische Werte und eine Annäherung Russlands an den Westen ein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • Gorbatschow halte ich für den friedlichsten Politiker unserer Zeit, nachdem er die von den Westmächten durch Sanktionen und Embargos kaputt gemachte Sowjetunion nicht mehr retten konnte, hat er zum Glück für viele Menschen für ein friedliches Ende gesorgt.

    Durch Putin ist Russland wieder auferstanden von den Toten, in sehr vielen Bereichen, das war eine noch größere Leistung - nur leider bedeuten ihm Menschenleben scheinbar zu wenig !

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Die Organisation setzt sich für demokratische Werte und eine Annäherung Russlands an den Westen ein.“ Wie schön wäre es gewesen, wenn sich „der Westen“ Russland angenähert hätte… Aber er setzte auf Chodorkowski. Dreißig Jahre wurden vertan.

  • Michail Gorbatschow hat sich mit Glasnost und Perestrojka Verdienste erworben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass er das "großrussische Konzept" Putins mit vertreten und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim als richtig bezeichnet hat. Er war in der Sowjetunion selbstverständlich ein "Mann des Systems" und einseitige "Lobeshymnen" auf ihn halte ich für unangebracht. Er war eher ein Realpolitiker sowjetischer "Machart", der an den ideologiegetriebenen reaktionären Kräften Russlands letztlich gescheitert ist.

  • In der taz erschien die Tage der sehr lesenswerte Artikel, "Aus anderer Perspektive" über die unterschiedliche Wahrnehmung zwischen Mitteleuropa und Deutschland im Bezug auf Russland und die Sowjetzeit.

    "Der politische Prozess führte letztlich zu einem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums. Er galt als einer der Väter der deutschen Einheit und als Wegbereiter für das Ende des Kalten Krieges."

    Gorbatschow nimmt den Zusammbruch der Sowjetunion und das Freiheitsstreben der Sowjetrepubliken keineswegs einfach so hin.

    Ab April 1990 geht et mit einer Rohstoffblockade gegen die baltischen Staaten vor, beim Sturm sowjetischer OMON Einheiten auf den Fernsehturm von Vilnius werden im Januar 1991 14 Litauer getötet und über 1.000 Verletzt.

    In Riga sterben 5 Letten beim Sturm sowjetischer Einheiten auf das dortige Innenministerium.

    de.m.wikipedia.org...ingende_Revolution

    Auch in Georgien oder Moldau mischt Moskau munter mit.

    Natürlich ist es Teil von Gorbatschows Geschichte, das er eine Wiedervereinigung Deutschlands ermöglicht und in der DDR keine Truppen einsetzt, das ist aber schlicht nicht die ganze Geschichte.

  • 'Urbi et Gorbi' soll selbst der Papst gesagt haben. Nicht nur Menschen im Osten sahen in Gorbatschow einen Hoffnungsträger, sondern auch viele im Westen (z.B. Gerhard Löwenthal) hofften, dass er dazu beitragen möge, dass die DDR implodiert und die UdSSR zusammenbricht. Und Gorbatschow hat geliefert. Sogar Willy Brandt aus Lübeck war sichtlich erfreut: 'Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört'. Requiescas in pacem, Gorbe!

  • "Gorbatschow war weltweit geschätzt" - nicht wirklich. In Litauen und auch anderen Laendern erinnert man sich an seine Opfer. Blutsonntag 1991 in Vilnius - Panzer, 14 Tote, hunderte Verletzte!

  • "Vor allem für die Menschen im Osten war er ein politisches Idol und ein Hoffnungsträger"

    Viele Menschen aus der ehemaligen UdSSR mochten ihn nicht, weil sie denken, dass er die UdSSR geschrottet hat. Sie halten ihn für den Todesgräber eines Staates, den viele gar nicht so schlecht fanden.

    Und gerade aktuell, viele Ukrainer sagen unter Breschnev hätte es einen solchen Krieg nie gegeben.

    Ich mochte ihn. Aber nach drei Jahrzehnten Ende der UdSSR ist an die Stelle der UdSSR ein Flickenteppich an Staaten getreten, in Russland herrschen einzelne Autokraten über die Wirtschaft und zahlen vermutlich nur Ministeuern und beherrschen die Menschen dort.

    Ist das Fortschritt?



    Natürlich, die sowejtische Funktionärskaste war alles andere als progressiv, aber das, was es jetzt gibt, ist echte Abschreckung, das ist eine der miesesten Diktaturen überhaupt.

    Und hat - wahrscheinlich - zum Krieg in der Ukraine geführt, weil in Russland nur noch wenige Menschen bestimmen und die können sich schnell einigen, dass ein Krieg geführt wird. Selbst das Politbüro und das ZK der KPdSU waren da besser an Strukturen und gesellschaftliche Schichten angebunden, als das, was Russland heute ist.

    • @Andreas_2020:

      "Und hat - wahrscheinlich - zum Krieg in der Ukraine geführt, weil in Russland nur noch wenige Menschen bestimmen und die können sich schnell einigen, dass ein Krieg geführt wird."



      Genausogut könnten sie sich natürlich auch darauf einigen, dass keiner geführt wird.

      Gorbatschow jetzt auch noch Mitschuld am Ukrainekrieg zuschieben zu wollen, ist schäbig.

    • @Andreas_2020:

      Das die von Russland kolonialisierten Länder jetzt frei sind, ist also ein Rückschritt? Breschnew der den Prasger Frühling mit Panzern niederwalzen ließ, ist also besser als Gorbatschow der genau dies in der DDR nicht getan hat? Kann nicht am Todestag eines Menschen der für viele Ostdeutsche wie mich immer noch von großer Bedeutung ist einfach nur kondolieren und das Geschwurbel für morgen aufheben?

  • Ich bin 55 Jahre alt.



    Michail Gorbatschow stand in meinem Leben für ein Moment intensiver Zuversicht und Hoffnung, dass Veränderung und Reform zum Besseren ohne Gewalt möglich ist.



    Er hat jetzt Frieden.



    Ich bin heute etwas traurig.

    • @Nilsson Samuelsson:

      Danke. Das ist genau das, was ich (56 Jahre, aus Thüringen) auch empfinde. Warum nur schaffen wir es nicht, Konflikte friedlich zu lösen?

      Hat Gorbatschow Fehler gemacht? Sicher. Wahrscheinlich hat er selbst unter seinen Fehlern stark gelitten. Aber er hatte einen Traum von einer besseren, offeneren Gesellschaft.

      Ich bin dankbar, dass er es gewagt hat. Für mich steht er auf einer Stufe mit Willi Brandt, dem deutschen Friedensstifter des 20. Jahrhunderts.

  • Der große Bluff

    Nach dem Tod von M. Gorbatschow sei an dessen wiederholte Warnungen vor dem Wiederaufflammen des Kalten Krieges zu erinnern, der jeden Moment in einen heißen, atomaren umschlagen könne: "Wenn angesichts dieser angeheizten Stimmung einer die Nerven verliert, werden wir die nächsten Jahre nicht überleben." Dabei zögerte er nicht, die Schuld an dieser brandgefährlichen Situation unumwunden dem Westen zuzuweisen, genauer seiner seit Ende der UdSSR verfolgten Ost-Europa-Politik in siegesberauschter Umdeutung des Epochenwechsels: „Doch anstatt neue europäische Sicherheitsinstitutionen aufzubauen und die Entmilitarisierung Europas voranzutreiben – wie es die NATO-Mitgliedsstaaten in der Londoner Erklärung von 1990 versprochen haben – erklärte sich der Westen, allen voran die Vereinigten Staaten, zum Sieger. Euphorie und Triumphalismus sind den westlichen Staats- und Regierungschefs zu Kopf gestiegen. Sie haben die Schwäche Rußlands und das Fehlen eines Gegengewichts ausgenutzt, um ein Monopol auf die Führung in der Welt zu erheben und sich geweigert, diesbezügliche Warnungen ernst zu nehmen.“ (Spiegel-Interview, 2/2015)

    Dem wurde hierzulande keine weitere Beachtung geschenkt, outete sich doch der Träger der Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland - Undank ist der Welten Lohn - schlecht verhüllt als „Putin-Versteher“, d. h. als russischer Politiker, der sich um die Sicherheit seines Landes sorgte. Das dürfte allerdings auch sein Grundmotiv gewesen sein, als er vor 35 Jahren dem Okzident die Hand reichte, um mit strategischen Vorleistungen die Ost-West-Konfrontation aufzubrechen, was dem Westen immerhin der Friedens-Nobelpreis wert war.

    Gorbatschow sah sich an seinem Lebensabend nach dem innenpolitischen Scheitern seiner Perestroika-Politik nun auch noch vor dem Scherbenhaufen seiner Friedens- und Entspannungspolitik. Er mußte nun einräumen, daß Rußland von Washington abermals über den Tisch gezogen wurde.

  • Zum Gesamtbild von Gorbatschow gehört allerdings, dass er mehr als 20 Jahre lang Putin unterstützt hat. Der Rückbau Russlands zur faschistoiden Diktatur hat ihn nicht sonderlich gestört. Selbst die neoimperialistische Ausdehnung Russlands, nämlich die Annexion der Krim, fand er richtig. www.nd-aktuell.de/...e-krim-geholt.html



    Gorbatschow war im postsowjetischen Russland kein demokratischer Oppositioneller, er war nicht einmal ein lupenreiner Demokrat, sondern ein notorischer Unterstützer Putins. Das gehört zur Wahrheit über Gorbatschow dazu.

  • Na, da ist aber mitten in Berlin eine große Straße mit seinem Namen fällig.

  • Mach’s gut und Danke für den Fisch. Mein Foto mit Raissa und ihm bekommt heute einen Platz auf meinem Schreibtisch.