Befürchtetes Bahnchaos: Vorzug für Kohlezüge

Der Bund will Energietransporten auf der Schiene den Vorrang geben. Das ist für Reisende beunruhigend, denn die Bahn ist jetzt schon zu unzuverlässig.

Dampflok mit Kohlewaggons

Die Bahn fährt pro Woche etwa 50 Kohlezüge – sieht mittlerweile nur anders aus Foto: Bridgman Images

Wer in diesen Tagen mit dem Zug fährt, muss viel Zeit und noch mehr Gelassenheit mitbringen. Das Baustellenchaos der Deutschen Bahn sorgt für enorme Verspätungen, wegen technischer Probleme fahren etliche Züge schon mit erheblicher Verzögerung los. Wer im Zug sitzt, ist froh, dass der wenigstens da ist. Denn wegen Personalmangels fallen viele Verbindungen einfach aus. Immerhin: Anders als am Flughafen können Reisende den nächsten Anschluss nehmen, und im Abteil sitzend auf freier Strecke zu stehen ist besser als im Auto im Stau zu stecken. Trotzdem: Angesichts der prekären Lage sorgt jede Meldung über weitere mögliche Störfaktoren auf der Schiene bei passionierten Bahn­fah­re­r:in­nen für Unruhe.

Dass die Bundesregierung eine Verordnung in der Mache hat, mit der Energietransporten auf der Schiene Vorrang eingeräumt werden soll, ist so eine Meldung. Der Hintergrund: Mit Blick auf einen möglichen Energieengpass arbeiten das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesverkehrsministerium an einer Rechtsverordnung, die im Notfall Güterzügen beim Transport von Brennstoffen Vorrang gegenüber anderen Bahnen geben soll. Dabei geht es vor allem um den Transport von Steinkohle. Einzelheiten werden erst nach dem Ende der Ressortabstimmung bekannt gegeben, an der auch das Ver­brau­cher:in­nen­schutz­mi­nis­te­ri­um beteiligt ist.

Die Initiative wird mitunter in Zusammenhang mit den niedrigen Pegeln auf wichtigen Wasserwegen gestellt. Aber die Verordnung ist schon lange vorher auf den Weg gebracht worden – auch wenn das Transportproblem wegen der niedrigen Wasserstände beklemmend aktuell werden könnte.

Unabhängig vom Hintergrund der Verordnung: Die Aussicht auf noch mehr Chaos bei der Deutschen Bahn ist nicht gut für den Blutdruck. Allerdings: Die Zahl der Züge, um die es geht, ist offenbar überschaubar. Die Deutsche Bahn fährt in der Woche etwa 50 Kohlezüge zur Versorgung von 15 Standorten, sagt ein Sprecher von DB Cargo, der innerhalb des Konzerns für Güterzüge zuständigen Unternehmenstochter. Die Kohlekraftwerke haben nach seinen Angaben in der Regel vier bis fünf Blöcke, davon sind oft ein bis zwei in Betrieb. Um die Kapazitäten hochzufahren, brauchen die Kraftwerke mehr Kohle. Die Deutsche Bahn hat im Güterverkehr einen Marktanteil von 48 Prozent. Ausgehend davon, dass sie und die Konkurrenten ihre Kapazitäten verdoppeln, wären das in der Woche rund 200 Kohlezüge. „Das ist sehr überschaubar“, sagt der Sprecher. Denn auf den Schienen sind Zehntausende Züge in der Woche unterwegs.

Das Vertrauen ist begrenzt

Doch An­hän­ge­r:in­nen der Schmetterlingstheorie wissen um die große Wirkung, die ein kleiner Flügelschlag auf das Große und Ganze haben kann. Die Sorge, dass sich die Deutsche Bahn ein Vorrangsystem mit erheblichen Kollateralschäden ausdenkt, ist sicher nicht unbegründet. Das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Deutschen Bahn ist im Allgemeinen zu Recht begrenzt. Wenig vertrauensfördernd ist auch der Schwenk der Bundesregierung. Ursprünglich hieß es, der Personalverkehr werde von dem Vorrang nicht berührt, es gehe nur um die Gütertransporte. Doch jetzt sagt Bundesverkehrsminister Wissing: „Wenn es dazu kommen sollte, dass wir die Prio­ri­sierung der Kohletransporte aktivieren müssen, dann kann es dazu kommen, dass am Ende auch ein Personenzug warten muss, denn die Versorgung der Kraftwerke ist vorrangig.“

Eines wird so auf jeden Fall erreicht, sollte die Verordnung zum Einsatz kommen: Die Bahn­ma­na­ge­r:in­nen haben die perfekte Ausrede, wenn das Chaos demnächst noch größer wird – egal ob Kohlezüge tatsächlich Vorfahrt haben oder nicht. Wieso der Verkehrsminister ihnen diesen Gefallen tut, ist schlecht nachvollziehbar. Stattdessen sollte er die Erwartung signalisieren, dass die Deutsche Bahn einmal ein Problem löst, ohne es auf die Fahrgäste abzuwälzen.

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