Gentrifizierung in Berlin: Jede Räumung hat ihren Preis ​

Ob linke Kneipen, Kiez-Café oder einfache Mieter:innen: Wenn das Kapital Rendite sucht, müssen andere weichen.

Das verriegelte Syndikat (Kiezkneipe) nach der Räumung

Statt Kneipe ist es Anlageobjekt: Zwei Jahre nach der Räumung steht das Syndikat immer noch leer Foto: dpa

Während Berlins Regierende Bürgermeisterin und ausgewiesene Enteignungsgegnerin Franziska Giffey (SPD) mit ihrem vagen Vorschlag, Mieten an Einkommen zu koppeln und zu deckeln, für Unverständnis und Ratlosigkeit sorgt, sehen sich Gewerbetreibende weiter schutzlos der Willkür ihrer Ver­mie­te­r*in­nen ausgeliefert.

Denn in der Hauptstadt des Mietenwahnsinns explodieren neben den Mieten für Wohnungen auch die für Gewerbe. Das ist nämlich nicht nur von der Mietpreisbremse ausgeschlossen, wodurch Mieterhöhungen keine Grenzen gesetzt sind, sondern genießt auch kaum Kündigungsschutz und kann im Prinzip jederzeit gekündigt werden.

Ob Kitas und Kinderläden, Arztpraxen und Apotheken oder autonome Zentren und Kultureinrichtungen – immer mehr soziale Einrichtungen in Berlin sind durch diese Entwicklung von Verdrängung bedroht. Als nächstes wird es wohl das Bateau Ivre in der Oranienstraße in Kreuzberg treffen. Das Café und Restaurant direkt am Heinrichplatz soll am 8. Juni nach 23 Jahren Betrieb zwangsgeräumt werden.

Der Betreiber hatte im Lockdown zwei Monatsmieten verspätet gezahlt, woraufhin ihm der Vermieter fristlos kündigte. Die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg versucht, die Räumung noch zu stoppen und will an diesem Mittwoch die Resolution „Das ‚Bateau Ivre‘ muss bleiben“ beschließen.

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Schließlich sei das Café ein „wichtiger Treffpunkt für die Anwohner*innen“, einer der „rar gewordenen Orte (…), an dem die bunt gemischte Nachbarschaft zusammenkommt“ und auch „Menschen mit geringerem Einkommen einen Platz“ finden, wie es in dem Antrag der Grünen heißt. Der Betreiber Atalay Aktaş ruft in einer Petition zum Erhalt des Bateau Ivre auf.

Kommt es zu keiner Einigung sieht er nur zwei Möglichkeiten: „Entweder wir demontieren den Laden eine Woche vorher. Oder wir liefern uns eine Straßenschlacht mit dem Gerichtsvollzieher und den Polizisten.“

Die Geister des Syndikats

Einer der bezahlbaren und bunt gemischten Nachbarschaftsläden, die der rasanten Verdrängungswelle in Berlin bereits zum Opfer gefallen sind, ist die Neuköllner Kiezkneipe Syndikat. Eine Straßenschlacht gab es bei der Räumung im August 2020 zwar nicht, dennoch steht an diesem Donnerstag einer der Hunderten Demonstrant*innen, die in einem vierzehnstündigen Protestmarathon gegen die Räumung protestiert hatten, vor Gericht.

Fast zwei Jahre lang hatte die linke Kneipe einen juristischen und politischen Existenzkampf geführt und dabei das Briefkastengeflecht und Immobilienimperium der britischen Milliardärsfamilie Pears aufgedeckt.

Am Ende half alles nichts, trotz überwältigender Unterstützung aus dem Kiez wurde das Syndikat mit einem martialischen Polizeiaufgebot von über 1.000 Polizist*innen, Helikoptern und einer großflächigen Sperrzone geräumt.

Damit die Festgenommenen, denen nun der Prozess gemacht wird, nicht alleine sind, rufen Un­ter­stüt­ze­r*in­nen zu einer solidarischen Kundgebung gegen Repression und für Autonome Freiräume auf. (Donnerstag 2. Juni, 10 Uhr vor dem Amtsgericht Tiergarten, Kirchstr. 6).

So tragisch der Verlust von soziokulturellen Freiräumen für einen Kiez auch sind, noch tragischer ist der Verlust der eigenen vier Wände für Mieter*innen, die danach im schlimmsten Fall auf der Straße landen. Laut einer Befragung der Berliner Sozialämter kam es in Berlin im Jahr 2019 zu sage und schreibe 3.482 Räumungsklagen – also zu fast zehn täglich.

Die tatsächliche Zahl dürfte sogar noch um einiges höher liegen, denn Räumungsklagen aufgrund von Eigenbedarf oder wegen Fehlverhaltens der Mie­te­r*in­nen sind in der Zahl nicht enthalten. Davon ist auch ein Mieter aus Steglitz betroffen, der laut dem Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ seit 30 Jahren in seiner Wohnung wohnt, und dem nun die Zwangsräumung droht. Demnach wurde die Wohnung 2018 an die Eigentümer eines Berliner Luxusladens verkauft, die umgehend Eigenbedarf anmeldeten.

Das Gericht gewährte einen Räumungsaufschub bis zum 30. November dieses Jahres, da die Eigentümer jedoch bislang alle Gespräche verweigern würden, um das Zuhause des langjährigen Mieters zu retten, ruft das Bündnis für diesen Freitag zu einer Kundgebung vor dem Geschäft der Eigentümer auf (3. Juni, 17 Uhr, Kurfürstendamm 43).

Frauen* und ihre Kämpfe

Nicht nur die Mietenpolitik gehört reformiert und das Recht auf Wohnen konsequent umgesetzt, auch Sex­ar­bei­te­r*in­nen fordern in dieser Woche mehr Rechte ein. Anlässlich des Internationalen Hurentags am 2. Juni wollen in Berlin auch in diesem Jahr wieder Hunderte Sex­ar­bei­te­r*in­nen auf die Straße gehen.

Unter dem Motto „Redet mit statt über uns“ fordern Bran­chen­ver­tre­te­r*in­nen mehr Mitspracherecht bei der Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes sowie dessen Umsetzung auf Landesebene. Um Po­li­ti­ke­r*in­nen und die Gesellschaft daran zu erinnern, dass die Entkriminalisierung das einzige Rechtsmodell ist, das Sex­ar­bei­te­r*in­nen unterstützt und schützt, ruft die Sex Worker Action Group Berlin für diesen Samstag zu einer Demonstration für die Rechte von Sexarbeitenden auf. (4. Juni, 17 Uhr, Hardenbergplatz).

Frauen* und ihre Kämpfe sind in dieser Woche auch Thema eines Filmscreenings im IL-Kino. „Women* What we are fighting for“ handelt von lesbischen Personen, die für Frauen- und LGBTQ+-Rechte kämpfen. Ak­ti­vis­t*in­nen aus der Ukraine, Deutschland, Russland, Kasachstan, Niederlande, Brasilien, Moldau und Kroatien erzählen darin aus ihrem Leben.

Nach dem Film werden die beiden ukrainischen Regisseurinnen Viktoria Guyvik und Alina Sevchenko, die vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine geflohen sind, über die aktuelle Situation von queeren Ak­ti­vis­t*in­nen in ihrem Heimatland berichten. Die Erlöse gehen an “Kharkiv Pride“, wo sie der queeren Community in der Ukraine zu Gute kommen (5. Juni, 17 Uhr, IL-Kino, Nansenstr. 22,).

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Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Schreibt in ihrer Kolumne "Pöbelmanie" über Klassenkampf aus der Perspektive eines Kindes der Arbeiter*innenklasse. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.

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