Migrationsexpertin über Auswanderungsgründe: „Es gibt keine Demokratie“

Nicht Armut treibe die Menschen aus Afrika nach Europa, sondern politische Frustration und mangelnde Freiheit, sagt Fatou Faye.

Flüchtlinge mit verhülltem Gesicht stehen in einer Reihe, einer reckt den Kopf und trinkt Wasser aus einer Flasche

Abgefangene afrikanische Flüchtlinge und Migranten im Gasr Garabulli, Libyen Foto: Yousef Murad/ap

taz: Wenn in Europa über Migration gesprochen wird, dann ist in aller Regel jene von Afrika nach Europa gemeint. Dabei hat Migration innerhalb Westafrikas eine weitaus größere Bedeutung.

Fatou Faye: Es braucht einen anthropologischen Ansatz: Früher hat man das nicht als Migration verstanden. Ein Peul [Angehöriger bis heute halbnomadisch in Westafrika lebender Ethnie, Red.] beispielsweise, der von Senegal nach Mali oder Guinea geht, also dorthin, wo ebenfalls Peul leben, sieht das als sein Land an. Er sieht sich nicht als Ausländer. Anderen Volksgruppen geht es genau so.

Es gab also ein Konzept für das, was wir heute Migration nennen. Das war kein Problem. Mit der Schaffung der Nationalstaaten hat sich das geändert. Dennoch haben bis heute die meisten Menschen diese Vorstellung von Land. Bewegungen über Grenzen lassen sich kaum kontrollieren.

Wie sah es früher mit der Migration Richtung Europa aus?

Verantwortliche des Programms Migration im Westafrika-Büro der Linken-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung im senegalesischen Dakar.

Auch sie wurde einst gut geleitet und hat mehr Vor- als Nachteile gebracht. Ja, Menschen sind im Meer ums Leben gekommen. So gefährlich waren die Routen aber nicht, da die Fischer das Meer kennen. In Europa gab es Organisationen, die sich um die Ankommenden gekümmert haben. Dieser informelle Austausch wurde akzeptiert. Seitdem die Europäische Union aber viel restriktiver geworden ist, seit Frontex sind diese Routen gefährlicher geworden. Das sorgt in Senegal auch dafür, dass es eine anti-französische Einstellung und eine gewisse Abscheu gegenüber Europa gibt.

Trotzdem ist das Interesse, nach Europa auszuwandern, sehr groß.

Migration ist für beide Seiten wichtig. In jeder westafrikanischen Familie gibt es mindestens einen Migranten in Europa. Dort sind die Zuwanderer Arbeitskräfte, und ein kultureller Austausch entsteht.

Diese Sichtweise wird häufig aber nicht geteilt.

Die EU versucht, Migration zu bekämpfen, wofür viel Geld bereitgestellt wird, etwa von der EU, aber auch der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), auch der spanischen Kooperation. Dabei haben die Projekte gar nicht die erhoffte Wirkung. Die entscheidende Frage für mich ist: Warum funktioniert das nicht?

Wie lautet Ihre Antwort?

Es gibt keine Demokratie, und das frustriert die Menschen. Es ist nicht möglich, ein anständiges Leben zu führen. Es ist also nicht die Armut, die ursächlich für die Migration ist, sondern die Frustration, für die der Staat verantwortlich ist. Beispielsweise sind Milliarden [CFA] in Stadien investiert worden, auch in Straßen, von denen die ländliche Bevölkerung aber gar nichts hat. Auf der anderen Seite müssen Steuern gezahlt werden, deren Nutzen man im Alltag aber gar nicht spürt. Man möchte dorthin, wo man einen Nutzen von seiner Arbeit hat und Freiheit genießen kann.

Was kann Europa tun?

Die Europäische Union muss ihren Ansatz ändern, also die Grenzen nicht noch weiter dicht machen und Visa verweigern. Restriktionen machen die Routen nur noch gefährlicher. Es ist durchaus in Ordnung, ein Visum einzufordern. Es muss aber auch die Möglichkeit geben, überhaupt eins zu erhalten. Auch darf eins nicht vergessen werden: Menschen haben das Recht auf Migration.

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