Zwei Jahre Coronapandemie: Zeit für „Danke Omikron!“-Shirts

Corona ist nicht vorbei, leider. Aber dank Omikron dürfen wir uns endlich von Regeln verabschieden, die ohnehin nur scheinbar Sicherheit versprechen.

Corona-Pralinen

Coronaviren als Pralinen: Wir können uns wohl auf einen lebendigen Sommer freuen Foto: Steve Bauerschmidt/imago

Erinnert sich noch jemand an Karl Lauterbach? Diesen Gesundheitsminister, der Anfang April verkündete, im Mai sei eine Quarantäne für Corona-Infizierte ohne Symptome nicht mehr angemessen? Der einen Shitstorm erntete und Rücktrittsforderungen gerade auch in der Social-Media-Welt, die ihn nur Monate zuvor erst ins Amt getwittert hatte? Der noch am selben Abend, nein, nicht zurücktrat, aber einen Schritt zurück tat und in einer Talkshow bei Markus Lanz die angekündigte Lockerung gleich wieder cancelte?

Der Fall zeigt, wo wir nach zwei Jahren Corona stehen. Genauer gesagt: nach zwei Jahren erhitzter Debatte. Zwei Jahre, in denen die Quer­den­ke­r:in­nen mit Verschwörungsfantasien sprachlos machten. Zwei Jahre aber auch, in denen das „Team Vorsicht“ seine meist mehr als berechtigten Warnungen so oft wiederholen musste, dass es einigen nun schwerfällt, wieder loszulassen.

Lauterbach musste seinen Vorstoß nicht zurückziehen, weil er Unsinn war. Die mit der Aufhebung der Quarantänepflicht einhergehende Entlastung der Gesundheitsämter wäre eigentlich überfällig. Der Gesundheitsminister hat davon abgesehen, weil ihm die Reaktionen gezeigt hätten, dass es „psychologisch das falsche Signal“ gewesen wäre. Gerade von Ver­tre­te­r:in­nen des „Teams Vorsicht“ war ihm vorgeworfen worden, die Pandemie zu verharmlosen.

Es ging also nicht darum, ob eine Maßnahme sinnvoll sein könnte, sondern nur, ob sie auch richtig verstanden wird. Das ist wahrlich keine gute Voraussetzung für eine sachliche Debatte. Dabei wäre es eigentlich endlich Zeit, ein wenig Luft abzulassen. Tief durchzuatmen (ja, das kann man wieder). Und ein „Danke Omikron!“-T-Shirt überzuziehen.

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Seit Wochen sinkt die Fallkurve

Das war schon Anfang April absehbar. Die Entwicklung der Coronazahlen in den letzten Wochen aber lässt es überdeutlich werden. Zwar hat die Omikron-Variante, die seit Jahresbeginn in Deutschland dominiert, die erwartete gigantische Infektionswelle ausgelöst. Allein in den letzten drei Monaten Februar, März und April wurden 15 Millionen Neuansteckungen registriert, in den zwei Jahren zuvor waren es insgesamt nur 10 Millionen. Doch schon seit sieben Wochen sinkt die Fallkurve kontinuierlich. Aktuell werden zwei Drittel weniger Infektionen registriert als beim Höchststand der Omikron-Welle Ende März.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Skeptiker vom „Team Vorsicht“ geben nun zu bedenken, dass ja anders als noch vor wenigen Wochen kaum mehr getestet werde. Und ohne Tests sehe man die Pandemie nur nicht. Das wäre nicht von der Hand zu weisen, wenn nicht auch andere, weniger anfällige Indikatoren das Abflauen der fünften Coronawelle belegten.

Die Hospitalisierungsrate, mit der das Robert Koch-Institut die Belastung der Krankenhäuser durch Co­ro­na­pa­ti­en­t:in­nen bemisst, ist wieder auf ein Niveau gesunken, wie es zuletzt Ende Januar gemessen wurde. Und wichtiger noch: Die Zahl der Covid-19-Patient:innen, die auf Intensivstationen behandelt werden müssen, ist so niedrig wie seit Anfang September nicht mehr. Von einem Zusammenbruch der intensivmedizinischen Versorgung durch Überlastung, wie er im Dezember kurz bevorstand, sind wir aktuell weit entfernt. Dank Omikron!

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Denn diese Coronavariante hat sich an die ersten Erkenntnisse der Wis­sen­schaft­le­r:in­nen gehalten. Sie ist zwar mehr als zehnmal so ansteckend wie ihre Vorgängerinnen. Aber sie führt auch – in Kooperation mit den vielen Impfungen – zu deutlich weniger schweren Erkrankungen. Und damit relativ auch zu weniger Toten.

Unter Omikron werden nur noch etwa 12 Coronatote pro 10.000 registrierten Infektionen beobachtet. Bei der Vorgängervariante Delta waren es Ende 2021 noch bis zu 10 Mal mehr – trotz hoher Impfquote. Während der dritten Welle Anfang 2021 waren es sogar gut 25 Mal so viele. Da war Corona tatsächlich die furchterregende Pandemie, von der man noch nicht viel weiß, der man gerade deshalb alles Mögliche entgegenstellen musste. Laut der aktuellen Sterberate ist eine Coronainfektion – ja, tatsächlich – sogar harmloser als eine Grippe. Dank Omikron.

Liegen diejenigen also falsch, die laut beklagen, dass die Pandemie seit dem weitgehenden Wegfall nahezu aller Beschränkungen nur nicht mehr gesehen werde? Tatsächlich scheint es so, als könne die Dunkelziffer aktuell höher liegen denn je. Aber selbst das belegt nicht die Schwere der Pandemie, sondern das Gegenteil. Wenn es viel mehr Infizierte gibt als von der Statistik erfasst, dennoch aber die Pa­ti­en­t:in­nen­zahl in den Kliniken und die Zahl der Todesfälle nicht steigt, sondern sinkt, dann ist Corona im Frühling 2022 wirklich noch viel harmloser, als es die offizielle Statistik zeigt. Dank Omikron.

Corona wird endemisch
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Ist Corona also vorbei? Leider nein. Im Gegenteil, wir werden damit leben müssen. Es tritt so langsam ein, was Virologen wie Christian Drosten von der Charité schon Anfang des Jahres vorhergesagt hatten. Corona wird endemisch und zu einem der vielen Viren, denen wir im Laufe unseres Lebens immer wieder begegnen werden. Wir gewöhnen uns daran.

Medizinisch betrachtet heißt das: Unsere Körper, die vor zwei Jahren noch nicht wussten, was sie Corona entgegensetzen sollten, haben Abwehrmechanismen entwickelt. Mit jeder Begegnung mehr. Und Omikron hat ihnen dabei entscheidend geholfen – gerade weil es so viele Menschen so schnell erreicht hat.

Drosten hatte die Omikron-Variante schon im Januar als „Nachdurchseuchungsvirus“ und im Grunde „perfektes erstes endemisches Virus“ bezeichnet. Mittlerweile sieht er sich bestätigt. Vor wenigen Tagen freute sich der Charité-Mediziner auf Twitter über aktuelle Forschungsergebnisse. Durch die Omikronwelle sei die Immunität in der Bevölkerung offensichtlich so sehr gestiegen, dass nun die Schwere der Erkrankungen bei weiteren Infektionen nachlasse. Dank Omikron.

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Der Preis allerdings, den die Gesellschaft für diese auch bei Ungeimpften erhöhte Immunität durch Gewöhnung zahlen musste, zahlen muss, ist brutal hoch. Das darf man nicht vergessen. Seit Anfang Februar starben noch mal rund 18.000 Menschen an Corona, an Omikron. Das waren zwar ein paar Tausend weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, aber immer noch unfassbar viele. Hinzu kommen die unzähligen mit Long Covid Erkrankten und das durch die Allgegenwart des Virus nochmals gestiegene Risiko für Vorerkrankte.

Tschüss, scheinbare Sicherheit

Aber man muss auch wissen: Keine Coronapolitik, nicht einmal die härteste Zero-Covid-Strategie à la China ist imstande, sämtliche Opfer zu verhindern. Es wird immer Menschen geben, die durchs Raster fallen, vor allem die mit einem erhöhten Risiko. So wie in anderen Bereichen auch. Gesellschaft ist ein für viele schmerzlicher Kompromiss.

Der Autoverkehr in Innenstädten wird auch nicht komplett verboten, nicht einmal vor Kitas, obwohl Kinder ein höheres Risiko haben, überfahren zu werden. Der Alkoholkonsum wird nicht untersagt, nicht einmal an Christi Himmelfahrt, obwohl statistisch belegt ist, dass durch die Vatertagsexzesse rund fünfmal mehr alkoholbedingte Unfälle passieren als an Durchschnittsdonnerstagen, mehr sogar noch als an Neujahr und am 1. Mai. Und der Klimawandel wird nicht gestoppt, obwohl er nachweislich zu Tausenden Toten durch Hautkrebs führt.

Die zwei Jahre der Coronapandemie haben immerhin gezeigt, dass man die Kompromisse bei der notwendigen gesellschaftlichen Risikoabwägung auch anders aushandeln kann als zuvor gewohnt. Dass das Wohl der Allgemeinheit eine größere Rolle spielen darf als das egoistische Mir-doch-egal. Wenn diese Erkenntnis auf andere Bereiche übertragen werden könnte, wäre sehr viel gewonnen.

Zu diesem Abwägen gehört aber auch, sich von nur scheinbar Sicherheit versprechenden Regeln wieder zu verabschieden. Zum Beispiel von Quarantäneregeln, die nicht einmal annähernd kontrolliert werden können. Die Chance dafür wäre gegeben, dank Omikron.

Spielräume zu nutzen, war aber schon vor der Pandemie nicht für alle einfach. Corona, so sagte vor Kurzem ein ob der trotz hoher Impfquoten anhaltenden Beschränkungen Frustrierter aus der Kulturbranche, sei die beste Ausrede für die 70 Prozent der Bevölkerung gewesen, die es schon vorher nicht vom Sofa geschafft hätte. Die nun endlich einen gesellschaftlich anerkannten Grund hatten, warum sie nicht ins Kino, Theater oder Konzert gehen. Die übrigen 30 Prozent können sich nun wohl auf einen sehr lebendigen Sommer freuen.

Und im Herbst? Kommt vielleicht doch noch eine hochansteckende und zugleich sehr tödliche „Killervariante“, wie Karl Lauterbach kürzlich befürchtete? Ausgeschlossen ist das nicht, aber in Sicht ist sie auch nicht. So oder so gilt: Impfen hilft!

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

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