Blick über Sarajewo

Die Container boten den Menschen Schutz vor Heckenschützen, Sarajevo 1993 Foto: Yorck Maecke/GAFF/laif

Vor 30 Jahren begann der Bosnienkrieg:Gleiche Logik, gleicher Schrecken

Bei Menschen, die die Belagerung von Sarajevo erlebten, wecken die Bilder aus der Ukraine schlimme Erinnerungen. Auch sie lebten lange in Ungewissheit und Angst.

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5.4.2022, 15:38  Uhr

In Sarajevo, der Hauptstadt Bosniens und Herzegowinas, ist es schwierig, den Blick nicht nach oben zu richten. Hin zu den umliegenden Bergen, wo sich im Winter die Sonne schwertut, aufzusteigen und der Stadt etwas Wärme und Licht zu bringen.

Seit dem 24. Februar, dem Tag, als der völkerrechtswidrige russische Angriff auf die Ukraine begann, halten die Leute selten nach der Sonne Ausschau. Vielmehr blicken vor allem Ältere mit Sorge nach oben. Sie blicken dorthin, von wo die serbischen Belagerer die Stadt 1992 bis 1995 drei Jahre lang mit Artillerie beschossen.

Die Bilder aus der Ukraine, vor allem die aus Mariupol, haben viele Be­woh­ne­r:in­nen Sarajevos in Schrecken versetzt. Es erinnert sie an das, was sie vor 30 Jahren erlebten. Wird es jetzt wieder Krieg geben?, fragen sie. Nicht nur die Situation in der Ukraine beunruhigt, weil da Angst ist, dass der Krieg auf angrenzende Länder überschwappt. Auch die Nachrichten aus der serbischen Teilrepublik Bosniens und Herzegowinas, der Republika Srpska, und aus deren Hauptstadt Banja Luka sind beunruhigend. Denn Putins Obsession eines russischen Großreichs hat, übertragen auf Serbien, auch Unterstützer.

Milorad Dodik, der „starke Mann“ der bosnischen Serben, hat sich kürzlich damit gebrüstet, dass er in den vergangenen Jahren Wladimir Putin mehr als 20 Mal getroffen hat. Dodik macht keinen Hehl aus seiner Sympathie für den russischen Diktator. Die Russen haben schon 2017 Militärs und Geheimdienstleute nach Banja Luka geschickt und sind dabei, serbische Männer als „Sonderpolizisten“ auszubilden.

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Dodik will den serbischen Teilstaat von Bosnien und Herzegowina abtrennen, was die Bevölkerungsmehrheit des Landes nicht hinnehmen könnte. Kommt hinzu, dass auch der kroatische Nationalistenführer Dragan Čović sich mit Dodik verbündet hat und sich ebenfalls als Putin-Unterstützer outet.

„Wenn Putin gewinnt, dann hat er einen Stützpunkt in unserem Land“, sagt Meho Alićehajić, ehemaliger Deutschlehrer und Historiker. Das sei sehr gefährlich und müsste die Nato auf den Plan rufen. Die EU aber sei sehr schwach und verhandele mit diesen Politikern, anstatt sie in die Wüste zu schicken.

Für Meho Alićehajić, der als Kind den Zweiten Weltkrieg erlebte und den gesamten letzten Krieg in Sarajevo mit seiner Frau ausharrte, taucht mit dem Ukrainekrieg das Trauma von damals wieder auf, „dieses Leben unter der ständigen Gefahr, ohne Wasser und Heizung, ohne Strom, kaum Essen, nur ein bisschen humanitäre Hilfe“. Der jetzt 89-Jährige wurde damals beim Wasserholen bei dem Brunnen der Brauerei von Granatsplittern getroffen. „Die Serben haben bewusst in die Schlange geschossen, so wie jetzt die Russen in eine Brotschlange in Charkiw.“

Abertausende Gebäude wurden damals in der 300.000 Einwohner zählenden Stadt Sarajevo zerstört, über 11.000 Erwachsene und 1.500 Kinder getötet, 55.000 Menschen zum Teil schwer verwundet. „Hinzu kommt, dass niemand jene als Kriegstote gezählt hat, die krank waren, keine Medikamente mehr bekamen“, sagt Meho Alićehajić. Es seien viel mehr Menschen in dem Krieg gestorben als offiziell bekannt. „Und das ist auch in den Kampfgebieten der Ukraine jetzt so.“

Am Morgen des 5. April 1992 war alles noch friedlich, erinnern sich Meho Alićehajić und seine Nachbarn. „Alle Leute aus der Nachbarschaft machten sich damals auf den Weg.“ Sie gingen zur Demonstration für den Frieden, die nahe dem Parlament und dem Hotel „Holiday Inn“ stattfand, wo die serbischen Abgeordneten tagten. Sie waren dort zusammengekommen, weil zwei Drittel der Bevölkerung am 2. März 1992 bei der Volksabstimmung für die Unabhängigkeit des Landes gestimmt hatte. Die serbische Führung aber wollte die Unabhängigkeit verhindern. Am 6. April sollte das Land von der EU diplomatisch anerkannt werden.

Sollte Bosnien und Herzegowina sich für unabhängig erklären, dann werde das Land im Blut versinken, hatte Radovan Karadžić, der politische Führer der bosnischen Serben und Vorsitzende der Serbischen Demokratischen Partei (SDS), gedroht. Deshalb gingen Hunderttausende für den Frieden demonstrieren; es kamen Busse aus dem ganzen Land. Plötzlich fielen Schüsse. Die ersten Kugeln trafen zwei junge Frauen auf einer Brücke über den Miljacka-Fluss; der Krieg hatte begonnen.

Meho Alićehajić und weitere Nachbarn meldeten sich dann freiwillig bei den Verteidigungskräften aus Polizei und Reservisten, die sich nach und nach zur Bosnischen Armee (Armija BiH) formierten. Die gesamte Bevölkerung war mobilisiert; „No pasarán“, dieser Schlachtruf aus dem Spanischen Bürgerkrieg, war in aller Munde. Der Widerstandsgeist war erweckt. Genau wie jetzt in der Ukraine.

Die Stadt unter sich aufteilen

Mitte März 1992, also drei Wochen vor dieser Demonstration, war es mir und einem ukrainischen Kollegen gelungen, den Serbenführer Radovan Karadžić in seinem Hauptquartier im Holiday Inn zu interviewen. Sarajevo, so sagte er, solle in drei Teile aufgeteilt werden: In einen muslimischen Ostteil, die Altstadt. Novo Sarajevo und die angrenzenden modernen Stadtviertel wiederum seien der serbische Teil. Und im Westen um Rajlovac könnten die Kroaten ein Gebiet erhalten, sagte er. Wie solle das gehen? Das hieße Umsiedlungen, viel Leid für die Bevölkerung, intervenierten wir. Karadžić antwortete nicht. Sein Plan für Bosnien und Herzegowina war bereits entschieden.

Stipe Mesić, der letzte Präsident Jugoslawiens und ab dem Jahre 2000 Präsident Kroatiens, erklärte vor zwei Jahren auf einer Konferenz im Tito-Bunker von Konjic, was hinter dem Bosnienkrieg steckte. Im März 1991 hatten sich die Präsidenten Serbiens und Kroatiens unter vier Augen getroffen und vereinbart, dass Bosnien territorial zwischen den beiden Staaten aufgeteilt werden solle. Bosnien und Herzegowina habe kein Existenzrecht.

Nach dem Treffen hatte Mesić dann Tudjman gefragt: Was passiert dann mit Alija Izetbegović, dem Führer der Muslime Bosniens? „Nema Alije“, es wird keinen Alija mehr geben. Gemeint war, es werde keine bosnischen Muslime mehr geben.

Karadžić sollte von serbischer Seite diese Strategie umsetzen und hatte mit Ratko Mladić einen Oberkommandierenden, der als „Schlächter des ­Balkans“ in die Geschichte einging. Die in sich verwobene multinationale ­Gesellschaft sollte auseinandergerissen werden.

Auch die kroatischen Nationalisten machten sich bereit: Mate Boban, ihr Führer, traf sich mehrmals mit Karadžić, um die territorialen Ansprüche abzustecken. Ab Mai 1993 stellten beide Seiten die Kämpfe gegeneinander ein. Die Nationalisten beider Seiten machten sich daran, die letzten Reste der traditionellen bosnischen Gesellschaft zu zerschlagen.

Von der Fensterfront des von Österreichern am Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Gebäudes nahe dem Nonnenkloster, der Sufimoschee und der katholischen Schule in Sarajevo, wo Meho Alićehajić wohnt, erscheint die Silhouette des Bergzuges Vraca zum Greifen nah. Von dort oben, von dem weitläufigen Gelände des Partisanendenkmals, ist im Gegenzug auch das Gebäude mit bloßem Auge zu erkennen. Von Vraca aus konnte jedes Haus in der Stadt beschossen werden.

Oben auf dem Gelände des Partisanendenkmals wird es gegen Abend still. Die Besucherinnen und Besucher mit ihren spielenden Kindern sind weggegangen. Die lange Reihe der Stelen mit den Namen der im Zweiten Weltkrieg getöteten Männer und Frauen erscheinen in der Dämmerung fast unheimlich. „Schau mal“, sagte wenige Monate vor seinem Tod am 8. April 2021 Ex-General Jovan Divjak, indem er auf die Namen der Getöteten deutete, „hier kannst du die Geschichte der Stadt kennenlernen.“ Auf diesen Stelen gebe es keine ethnischen Trennungen.

Jovan Divjak war bosnischer Serbe und entschied sich, seine Stadt zu verteidigen. Er wurde als Vizekommandeur der bosnischen Armee zum Hassobjekt der serbischen Extremisten um Radovan Karadžić und Ratko Mladić. Divjak verkörperte in seiner Person die bürgerliche und multiethnische Identität Sarajevos. Divjak sah im Nationalismus eine primitive und zerstörerische Denkform, die letztendlich in den Faschismus führe. Die Partisanen hätten mit der Parole „Brüderlichkeit und Einheit“ vor allem die Menschen in Bosnien und Herzegowina zusammengeführt. 40 Prozent der Familien waren gemischt. Die Nationalisten wollten diese Gesellschaft auseinanderreißen und die gemeinsame Kultur zerstören.

Menschen rennen über eine Straße, manche ducken sich hinter Containern

Blick über Sarajevo Foto: Armin Durgut/PIXSELL/imago

Vor dem Angriff hatte Karadžić Briefe an alle Serben Sarajevos geschickt und sie aufgefordert, die Stadt für ein paar Tage zu verlassen. Er rechnete, wie Putin heute in der Ukraine, nicht damit, dass die Menschen Widerstand leisten. Er glaubte, die serbischen Truppen würden die Stadt schnell einnehmen, dann sollten die Serben in die „gesäuberte“ Stadt zurück. Viele folgten dem Ruf; ­einige aber blieben.

Die Serben glaubten an den schnellen Sieg

Von Seiten der Angreifer hatte niemand den Verteidigern so viel Mut zugetraut. Vor allem die bosnischen Muslime, die Volksgruppe der Bosniaken, hatten in den Augen der nationalistischen Serben wenig Kampfgeist.

Anfangs lief es ja auch für die serbische Seite nach Plan. Indem es den Serben gelungen war, die Jugoslawische Volksarmee, die damals zu den größten Armeen Europas gehörte, unter ihre Kontrolle zu bringen, gingen sie zunächst im Osten des Landes gegen die wehrlose muslimische Mehrheitsbevölkerung in die Offensive. Mladić’ Truppen nahmen das Tal der Drina ein, töteten viele Menschen in Višegrad und Foča, steckten Frauen in Vergewaltigungslager, zwangen alle, die sich retten konnten, in die Flucht.

Serbische Truppen, verstärkt von Freischärlern, stießen entlang der Sava nach Westen vor. Die westbosnischen Städte Banja Luka und Prijedor fielen ihnen ohne Kampf in die Hände. Dort wurden „Krisenstäbe“ tätig, die Nicht­serben zwangen, weiße Binden zu tragen, um sie schließlich in Konzentrationslagern zu internieren. Allein in Prijedor starben im Sommer 1992 über 3.200 Menschen in den Lagern Omarska und Keraterm.

Die serbischen Truppen besetzten im Herbst 1992 über 66 Prozent des Territoriums von Bosnien und Herzegowina. Zehntausende Menschen verloren dabei ihr Leben. 2 von 4,5 Millionen Einwohnern flohen in die noch von der bosnischen Armee gehaltenen Gebiete oder ins Ausland. Allein Deutschland hat damals mehr als 300.000 Menschen aufgenommen.

Und dann noch das: Die kroatische Seite fing im Mai 1993 an, das verbliebene Restbosnien anzugreifen und Gebiete für ihren Parastaat Herceg-Bosna zu erobern. Die kroatisch-bosnische Armee HVO schoss mit Artillerie auf die von Muslimen bewohnte historische Altstadt von Mostar. Sie zerstörten die berühmte Alte Brücke, das Wahrzeichen der Stadt, das zudem die Verbindung der Kulturen symbolisiert.

Die Zerstörung war umfassend, die meisten Gebäude waren nur noch Skelette, Scharfschützen schossen auf alle Menschen, die sie sehen konnten. Die Menschen überlebten fast 9 Monate lang in den Kellern, die durch Gänge miteinander verbunden wurden. 5.000 Menschen sollen damals umgekommen sein. Doch Ost-Mostar hielt dem ständigen Beschuss stand. Die Kroaten konnten die Altstadt nicht einnehmen.

Die Bilder aus der Ukraine, vor allem die aus Mariupol, haben viele Be­woh­ne­r:in­nen Sarajevos in Schrecken versetzt. Die Bilder erinnern sie an das, was sie vor 30 Jahren erlebten. Wird es jetzt wieder Krieg geben?

Die Bilder aus Mariupol wecken für Leute, die diese Hölle überlebt haben, Erinnerungen, an den Hunger, den Durst. Indem die kroatisch-bosnische Armee HVO die Zufahrtswege nach Zentralbosnien abriegelte, waren zwei Millionen Menschen fast ein Jahr lang von der Außenwelt abgeschnitten. Die gering bemessene humanitäre Hilfe durch die UN erreichte zwar die Städte Zenica und Tuzla, doch sie konnte nur an Kinder und Alte verteilt werden.

Das von der bosnischen Regierung gehaltene Territorium bestand im Sommer 1993 eigentlich nur noch aus von Feinden eingekreisten Enklaven. Im Winter 1993/94 glaubten viele Menschen, sie würden nicht überleben.

Doch langsam konsolidierte sich der Widerstand. Die bosnische Armee organisierte sich trotz aller Widrigkeiten, hielt die Frontlinien. Nach dem Kriegsverbrechen in dem Dorf Ahmići nahe Vitez, als Kroaten über 20 Häuser mitsamt den Bewohnenden anzündeten und über 100 Menschen, die meisten Frauen und Kinder, elendiglich verbrannten, wurden alle Kräfte mobilisiert. Die kroatische HVO wurde Stück für Stück aus Zentralbosnien vertrieben, kroatisch dominierte Städte wie Vitez und Kiseljak wurden von bosnischen Truppen umzingelt.

Jeder Krieg geht einmal zu Ende

Den USA gelang es zudem, den kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman zu einer Umkehr seiner Strategie zu bewegen. Im März 1994 wurde das Washingtoner Abkommen beschlossen, die Blockade Zentralbosniens wurde beendet, es kamen wieder Lebensmittel in die umkämpften Gebiete. Die bosniakisch und kroatisch kontrollierten Gebiete wurden in diesem Abkommen in der Föderation Bosnien und Herzegowina zusammengefasst, der kroatische Parastaat Herceg-Bosna aufgelöst.

Jeder Krieg geht einmal zu Ende. Der Weg dahin aber war in Bosnien sehr schmerzlich. Die Vereinten Nationen haben in Bosnien versagt. In Sarajevo zählten UN-Truppen lediglich die Granateinschläge. Ihr Mandat verbot es ihnen sogar, bei schreienden Kriegsverbrechen einzugreifen. Dass die UN-Truppen im Juli 1995 nicht in der Lage waren, die als „sicheren Hafen“ deklarierte von Serben belagerte Enklave Srebrenica zu schützen, gehört zu den dunkelsten Kapiteln der UN-Geschichte. Über 8.000 Menschen wurden ermordet. Die UN-Kommandierenden in Bosnien, der französische General Bernard Janvier und der Brite General Michael Rose, hatten den Einsatz von Nato-Flugzeugen, die schon in der Luft waren, um die vorrückenden serbischen Truppen anzugreifen, verhindert.

Nach dem Genozid von Srebrenica allerdings sollte nach dem Willen der USA und auch Europas endlich Frieden geschaffen werden. Endlich trat die Nato auf den Plan. Serbische Artillerie-Stellungen um Sarajevo wurden beschossen. Die Menschen in Sarajevo atmeten auf. „Die verstehen nur eine Sprache, die der Gegengewalt“, war die Meinung in der Stadt.

Die aus der Enttäuschung gewachsene antiwestliche Stimmung drehte sich wieder. Endlich kam Hilfe von dort. Kroatische und bosnische Truppen rückten vor, die Serben verloren im August 1995 binnen zehn Tagen alle Eroberungen in Kroatien und mussten sich nach Bosnien zurückziehen. Im September 1995 dann gelang es bosnischen und kroatischen Truppen, die Serben auch in Bosnien zu schlagen. Doch sie kontrollierten immer noch 50 Prozent des Landes.

Den schließlich im November 1995 in Dayton, Ohio ausgehandelten Friedensvertrag aber konnten die serbischen Nationalisten unter den Jahre später als Kriegsverbrechern verurteilten Karadžić und Mladić durchaus als Sieg ansehen. Ihre Strategie, Bosnien und Herzegowina und damit die gemeinsame multinationale Gesellschaft zu zerschlagen, wurde von der internationalen Gemeinschaft akzeptiert. Und wird von ihren Nachfolgern in der serbischen Führung fortgeführt.

Die Grenzen zwischen der serbischen Teilrepublik, der sogenannten „Republika Srpska“, und der „Föderation Bosnien und Herzegowina“ wurden in Dayton festgelegt. Beide Seiten kontrollieren seither rund 49 Prozent der Fläche des Landes, 2 Prozent macht die Sonderzone Brčko aus. Und die serbische Teilrepublik kann in allen Belangen der Politik die Geschicke des Landes mitbestimmen.

Die bosnische Journalistin Aida Cerkez, die während des bosnischen Krieges und danach für die amerikanische Presseagentur AP berichtete, hat kürzlich einen bewegenden Brief an die Menschen in der Ukraine verfasst. Sie beschreibt darin eindringlich die Lage während der 1.425 Tage langen Belagerung Sarajevos ohne Wasser, Essen, Strom, Heizung und dem von den internationalen Mächten auferlegten Waffenembargo. Sie fragte sich, was sie heute in ein Hilfspaket für die Ukraine packen soll, und fand schließlich ihr altes T- hirt von vor 30 Jahren. „Sarajevo will be“, steht darauf. Das habe ihr damals Halt gegeben.

Aida Cerkez, bosnische Journalistin, die die Belagerung Sarajevos erlebte, schreibt dies an die Ukrai­ne­r

„Es wird viele Opfer geben, ihr werdet widerstehen müssen, ihr werdet neuen Mut finden“

Aida Cerkez will keinen gekünstelten Trost verbreiten, sie schreibt mit Empathie, ohne unrealistische Hoffnungen für die Leute zu wecken. Ihr müsst da durch, es wird viele Opfer geben, ihr werdet widerstehen müssen, ihr werdet neuen Mut finden, ihr werdet auch erkennen, dass es am meisten schmerzt, wenn die Wahrheit über eure Lage verdreht wird, ist ihre Botschaft. „Das Schlimmste sind die Lügen.“ Wie jene, die Verteidiger würden sich selbst beschießen.

„Sarajevo will be“ und „Ukraine will be“

Aber immerhin bekomme die Ukrai­ne Waffen, die wurden den Verteidigern Sarajevos damals vorenthalten. „Ukrai­ne will be“ schrieb sie – in Anlehnung an „Sarajevo will be“. Ihr Brief fand seinen Weg in die internationalen Medien und wurde in der Ukraine weit verbreitet.

Mitten durch das Gelände des Partisanendenkmals verläuft heute die unsichtbare und doch allgegenwärtige Grenze. Die serbisch-bosnische Führung will „ihren“ Landesteil mit Serbien vereinigen. Dahinter steht neuerdings das Konzept der „serbischen Welt“; alle Gebiete, wo Serben leben, sollen in einem Staat vereinigt werden. Das ähnelt dem Konzept Putins, die Ukraine wieder in die „russische Welt“ zurückzuführen.

Am Partisanendenkmal vorbei führt eine Straße hinunter nach „Ost-Sarajevo“, wie das moderne Neubaugebiet dort genannt werden will. Hier haben sich viele Serben, die früher in Sarajevo lebten, angesiedelt. Die Wohnungen sind neu und preiswert. Im Café neben dem Gavrilo-Princip-Denkmal aber wollen die jungen Leute nicht über Politik sprechen, schon gar nicht über Putins Krieg. Sie haben andere Probleme.

Der 19-jährige Dragan will in Belgrad studieren, doch weiß er nicht, wie er das finanzieren soll. Die Unis in der Republika Srpska hätten keine Reputation. Und in Sarajevo? Alle lachen, auf so eine Idee könne nur ein Ausländer kommen.

Eine andere junge Frau, Vesna, hat ein bisschen Angst, denn ihr Vater arbeitet in Sarajevo. „Wenn wir uns abtrennen, wäre hier eine Grenze und er verlöre seine Arbeit.“ Das ginge dann vielen Serben so.

Jobs gäbe es keine, „wir alle müssen hier weg, nach Serbien, in die EU oder England“. Das unterscheidet diese Jugendlichen nicht von jenen auf der anderen Seite.

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