Ermittlungen wegen Hass im Netz: Ein Terrorist ist kein Pimmel
Der Journalist Patrick Gensing wird von Rechten als „Mitglied der linksterroristischen Antifa“ bezeichnet. Interessiert das die Staatsanwaltschaft?
Die mutmaßlichen Verfasser, die Gensing in einem Beitrag auf ihrer Homepage ein „Mitglied der linksterroristischen Antifa“ nannten, sind in diesem Fall die Mitglieder der „Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft e.V.“ (SWG). Der Verein existiert seit 1962 und ist einer der ältesten extrem rechten Vereine Hamburgs. Er organisiert Veranstaltungen und gibt halbjährlich ein Magazin heraus, das Deutschland Journal. Die Artikel darin tragen Überschriften wie „Masseneinwanderung zerstört unseren Wohlstand“ oder „Traditionswürdiges der Wehrmacht“.
Der Gründer des sich konservativ gebenden Vereins, Hugo Wellems, war unter Josef Goebbels Referent im Propagandaministerium. Über sich selbst schreibt der Verein: „Wir werben dafür, daß wir Deutschen selbstbewußt zu unserer über 1.100-jährigen Kultur und ihrem ‚spezifischen Beitrag zur Weltzivilisation‘ stehen und damit zu unseren Tugenden, die ein wichtiger Teil unserer Eigenart sind.“
Dass Journalist*innen zur Zielscheibe von rechter Hetze werden, ist alles andere als eine Seltenheit – vor allem, wenn sie bei öffentlich-rechtlichen Medien arbeiten und gerade, wenn sie zu Rechtsextremismus recherchieren. Über Gensing schrieb die SWG in einem Artikel vom März 2018: „Eine Recherche belegt, dass sich Patrick Gensing, Chef der geistig völlig verwahrlosten Propagandakompanie, bereits 2015 als eingefleischtes Mitglied der linksterroristischen Antifa outete.“
Kleine und große Hürden bei den Ermittlungen
Gensing meldete das am 10. September 2021 der Polizei, also zwei Tage nach dem Pimmelgate. Die Innenbehörde hatte damals beteuert, die Hausdurchsuchung bei der Ex-Freundin des Verfassers des Pimmel-Tweets habe nichts mit einer Vorzugsbehandlung des Senators zu tun, sondern sei auf ein grundsätzlich hartes Vorgehen gegen Hatespeech zurückzuführen.
In der Realität widerspricht die Erfahrung von Betroffenen dem meistens. „Jeder, der mit Beleidigung im Netz konfrontiert wird, weiß, dass da seit Jahren nichts passiert“, sagt Gensing. Er habe testen wollen, wie ernst die Ansage der Behörde nach dem Pimmelgate gemeint war – allerdings ohne jegliche Erwartung.
Die Staatsanwaltschaft schickte Gensing per Post eine Zeugenbefragung an die von ihm angegebene Adresse des NDR. Allerdings war Gensing pandemiebedingt im Homeoffice und wusste nichts von dem Brief. Als seine Antwort ausblieb, stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren am 17. Dezember ein. Der Grund: Es habe kein Täter ermittelt oder keine Straftat festgestellt werden können.
Ob die Zeugenbefragung zwingend notwendig gewesen wäre, um den Täter zu ermitteln, ist allerdings fraglich, angesichts des öffentlich einsehbaren Impressums auf der Homepage der SWG. Auch die Frage, an welcher Stelle des Artikels Gensing als Terrorist bezeichnet werde, lässt sich mit einem Blick auf die Überschrift schnell beantworten. Zudem fragte die Staatsanwaltschaft Gensing, ob er denn nun Mitglied der Antifa sei und das öffentlich geäußert habe, etwa bei Twitter.
„Üble Nachrede“ ist keine Beleidigung
Auf die Frage, ob die Behörde Andy Grote auch gefragt habe, ob er tatsächlich ein Pimmel sei und dies öffentlich geäußert habe, verwies die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Liddy Oechtering, auf den juristischen Unterschied zwischen den beiden Fällen: „Für den Tatbestand der üblen Nachrede muss die Tatsache, die über das Opfer verbreitet wurde, ‚nicht erweislich wahr‘ sein. Insoweit ist es von Bedeutung, inwieweit die behauptete Tatsache zutreffend ist.“ Bei einer Beleidigung wie „Pimmel“ ist es hingegen irrelevant, ob sie zutrifft.
Als Gensing die Zeugenaussage verspätet abschickte, nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder auf und überwies sie an die Polizei. Gensing sagt, er habe zwar gelacht, als er gelesen habe, dass die Staatsanwaltschaft keinen Täter ermitteln konnte, aber so lustig finde er das eigentlich gar nicht. „Wenn die sich nicht mal die Mühe machen, ein Impressum zu lesen, stärkt das nicht gerade das Vertrauen in staatliche Stellen“, sagt er. Es zeige zudem, dass Betroffene rechter Hetze nach wie vor alleingelassen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“