Hasskriminalität in Berlin: Hass im Netz bleibt oft ohne Strafe
Die Berliner Staatsanwaltschaft stellt Großteil der Verfahren wegen Hasskriminalität ein. Was steckt dahinter?
Berlin taz | Die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen Hasskriminalität im Netz steigt in Berlin. Das ergibt sich aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage, die der Linken-Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg an die Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung gestellt hat. Vor Gericht landen die Verfahren nicht immer: Eine Vielzahl wird vorher eingestellt.
Aus der Antwort der Senatsverwaltung, die der taz vorliegt, geht hervor: 2020 erhob die Staatsanwaltschaft in nur 37 Verfahren wegen strafbaren Meinungsäußerungen Anklage vor Gericht, 2021 waren das 56 Fälle. Die Zahl der eingestellten Verfahren übersteigt die der Strafprozesse um ein Vielfaches: 2020 kam es in 749 Fällen zu einer sogenannten staatsanwaltlichen Erledigung, 2021 wurden sogar 1.642 Ermittlungsverfahren wegen Hasskriminalität eingestellt.
„Es muss auch zu Verurteilungen kommen“, fordert Schlüsselburg. „Das ist für die Opfer eine Genugtuung, das ist für den Rechtsstaat wichtig. Die Leute müssen merken, dass das nicht folgenlos bleibt.“
Wie groß die Herausforderung ist, strafrechtlich gegen Hass im Netz vorzugehen, weiß auch Josephine Ballon, Leiterin der Rechtsabteilung bei Hate Aid. Das gemeinnützige Unternehmen bietet Betroffenen digitaler Gewalt kostenlose Beratung und Hilfe bei der Prozesskostenfinanzierung. Erste Hürde sei häufig die Ermittlung der mutmaßlichen Täter*innen: „Häufig haben wir es mit Social-Media-Beiträgen zu tun“, erklärt Ballon. Die Kooperationsbereitschaft der Plattformbetreiber lasse da zu wünschen übrig. Ermittler*innen seien dann auf aufwändige Open-Source-Recherchen angewiesen, nicht überall reichten die Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden dafür aus.
2.391 eingestellte Verfahren
Doch die Antwort der Senatsverwaltung zeigt: In 1.620 der insgesamt 2.391 eingestellten Verfahren der vergangenen zwei Jahre waren die mutmaßlichen Täter*innen sehr wohl bekannt. Dennoch verwies die Staatsanwaltschaft in einer Vielzahl der Fälle auf §170 Absatz 2 der Strafgesetzordnung, laut der die Behörde eine Anzeige einstellen und zum Beispiel auf den Privatklageweg verweisen kann.
„Das deckt sich leider nicht mit dem Anspruch, den die Berliner Staatsanwaltschaft an sich selbst hat“, sagt Josephine Ballon. Die Juristin verweist auf eine bundesweite Verwaltungsvorschrift, die das öffentliche Interesse an der Verfolgung einer Straftat durch die Behörden definiert. Laut diesen „Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren“ (RiStBV) besteht ein öffentliches Interesse etwa dann, wenn rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe des Täters vorliegen.
Die Zentralstelle Hasskriminalität der Berliner Staatsanwaltschaft verweist auf Nachfrage der taz darauf, dass eine Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 der Strafgesetzordnung nicht nur wegen mangelndem öffentlichem Interesse erfolgen kann. Viele der Einstellungen bezögen sich vielmehr auf das Fehlen zureichender Anhaltspunkte für verfolgbare Straftaten oder Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen.
Zivilklagen für ein bisschen Gerechtigkeit
Die Opfer von Hasskriminalität, die Hate Aid betreut, gehen nur selten den Weg der Privatklage, bei der Geschädigte selbst gegen Täter*innen klagen, um eine strafrechtliche Verurteilung zu erreichen. „Das macht keiner freiwillig“, sagt Ballon. „Solche Klagen kosten sehr viel Geld und sind nicht von Erfolgsaussichten gekrönt.“
Hate Aid finanziert in diesen Fällen die zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung: Die Täter*innen, sofern bekannt, erhalten eine Abmahnung und werden aufgefordert, die Anwaltskosten zu tragen. Im Idealfall hält die geschädigte Person am Schluss einen Unterlassungstitel in der Hand. Die Ermittlungsbehörden nehme das nicht aus der Verantwortung: „Das Zivilrecht ist kein Ausgleich für mangelnde Strafverfolgung“, so Ballon.