Netflix-Kontroverse in Ägypten: Skandal! Frau ohne Slip!

Die arabische Neuverfilmung von „Perfect Strangers“ bringt Konservative in Ägypten auf die Palme. Eine Szene ist besonders umstritten.

Eine Menschengruppe steht in einem Garten

Szene aus der arabischen Neuverfilmung des Films „Perfect Strangers“ Foto: Rudy Bou Chebel/netflix

KAIRO taz | Die erste Netflix-Produktion eines arabischen Spielfilms sorgt in Ägypten für eine Kontroverse über Moral und Sexualität – und hat sogar zu Aufrufen geführt, den Streamingdienst in dem Land komplett zu blockieren. Dabei ist der Film „Ashab wa-la A’azz“ (Die allerbesten Freunde), der vor eineinhalb Wochen sein Debüt feierte, ein nicht sehr einfallsreiches Remake des italienischen Filmhits „Perfect Strangers“. Die arabische Produktion bleibt nah am Original und seinen anderen Neuverfilmungen in 17 Sprachen.

Eine ganze Reihe arabischer, vor allem libanesischer Filmstars spielt in „Ashab wa-la A’azz“eine Gruppe von Freunden in Beirut, die beschließt, einen Abend lang die Inhalte ihrer Handynachrichten offenzulegen. Was als Spiel beginnt, endet in der schonungslosen Offenlegung intimster Details, und wird zu einer Zerreißprobe für den Freundeskreis. Ein unterhaltsamer, aber eigentlich harmloser Film.

Doch ein homosexueller Charakter und die Thematisierung von Sexualität sowie außerehelichen Beziehungen erweisen sich für einen Teil des konservativen ägyptischen Publikums als zu provokant. Besonderen Anstoß findet eine Szene, in der die ägyptische Schauspielerin Mona Zaki ihren Slip auszieht, bevor sie das Haus verlässt, um Freunde zu treffen.

In den ägyptischen Talkshows schien es in den vergangenen Tagen kein anderes Thema zu geben. Oberster Anwalt der vermeintlichen Moral ist der langjährige Parlamentsabgeordnete Mustafa Bakri. In der Sendung „El-Hakaya“ des TV-Senders MBC Misr fuhr er die ganz großen Kanonen auf: „Das ist der Versuch, eine bestimmte Agenda zu fördern, um Chaos in Ägypten zu säen und die ägyptische Regierung zu zerstören.“

Im Parlament sprach Bakri von einer Verschwörung der Filmemacher gegen arabische Werte. Die Art, wie Araber porträtiert würden, entspreche nicht den Moralvorstellungen in Ägypten und der weiteren arabischen Welt. Bakri forderte gar, Netflix gänzlich zu blockieren. Der Film verbreitete Gift. „Er versucht, unser Leben im Namen der Freiheit der Sexualität neu zu definieren.“ Selbst Homosexualität werde gerechtfertigt.

Schauspielverband verteidigt Zaki

Der ägyptische Schauspielverband verteidigt dagegen den Film und hat sich auch hinter Schauspielerin Mona Zaki gestellt. Niemand dürfe zur Zielscheibe werden, weil eine Rolle nicht dem persönlichen Geschmack entspräche, erklärte der Verband. Auch ägyptische Filmkritikerinnen wie Magda Moris verteidigen die Netflix-Produktion: „Sollen wir wirklich eine Webseite blockieren, die täglich neue Filme streamt? Das endet dann damit, dass wir auch Facebook verbieten. Wohin soll das führen?“, erwiderte sie Bakri in der Talkshow „El-Hakaya“.

Die bekannte libanesische Fernsehmoderatorin Dima Sadek spricht sogar offen von einer arabischen Doppelmoral. Es sei akzeptabel, wenn in einem Film ein verheirateter Mann gleich zwei Affären habe. Aber wenn eine verheiratete Frau einem Mann eine Facebook-Botschaft schreibt, sei die Hölle los, führte sie auf Twitter aus.

Sadek wirft arabischen Gesellschaften vor, die Augen zu verschließen: „Ja, es gibt Homosexuelle, die gemieden und verfolgt werden. Ja, es gibt Frauen in unseren Gesellschaften, denen vorgeworfen wird, verdorben zu sein, wenn sie nach einer Chance suchen, ihre Weiblichkeit zu finden, während dieselbe Gesellschaft den Männern das Recht gewährt, außereheliche Affären zu haben.“

Am Ende macht Sadek dem Moralapostel Bakri noch einen persönlichen Vorwurf: Sie habe ihn im Jahr 2003 um ein Interview für eine Studienarbeit gebeten. Bakri soll ihr daraufhin Blumen geschickt und ihr angeboten haben, das Interview in ihrem Hotelzimmer zu führen. Sie habe diesem Ehemann und Vater, der sich um die Moral sorgt, eine angemessene Antwort gegeben.

Letztendlich macht die Kontroverse eine interessante Entwicklung deutlich: Mit Streamingdiensten wie Net­flix, Amazon Prime oder Apple TV sind der ägyptischen Filmzensur anders als im Kino und im staatlich kontrollierten Fernsehen Grenzen gesetzt. Die Ägypter und Ägypterinnen stimmen heute per Mausklick ab: Das umstrittene Werk ist in Ägypten seit Tagen der meistgesehene Film auf Netflix.

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Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)

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