Buch über Antisemitismus: Jews don’t count

Comedian David Baddiel fragt: Warum sind alle gegen alle Arten von Diskriminierung außer gegen Antisemitismus?

Zwei Sänger am Mikrofon, links und rechts je ein Gitarrist

Sarkastisch im Ton, links und Atheist: David Baddiel, hier vor dem England-Italien-WM-Finale Foto: Alamy/Roger Parkes

In Großbritannien ist der Comedian und Schriftsteller David Baddiel eine der prominentesten jüdischen Stimmen. Hierzulande ist er dagegen bislang nur wenigen ein Begriff, vorrangig als Autor einiger ins Deutsche übersetzter Romane und Kinderbücher. Sein neues Buch, ein politisches Sachbuch, dürfte nun seinen Bekanntheitsgrad auch auf dem Kontinent schlagartig erhöhen. Denn es geht darin um ein Thema, das erschreckend aktuell ist: Antisemitismus.

Nun herrscht gewiss kein Mangel an Büchern über Judenfeindschaft, doch Baddiels Buch sticht aus der Flut an Veröffentlichungen heraus: Es ist kein historischer Abriss, keine soziologische Analyse, sondern ein aus persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen gespeister Essay. Sein Ton changiert zwischen Empörung, Sarkasmus und nüchternem Kommentar, an die Stelle des auftrumpfenden J’accuse! tritt die Technik der Collage.

Baddiel wägt seine Urteile vorsichtig ab, macht einen Schritt vor, einen zurück, und präsentiert doch eine prägnante These, die durch eine Fülle an empirischem Material gestützt wird: Für viele Menschen „mit gutem Gewissen“, die sich „gegen Homophobie, Rassismus und andere Arten der Diskriminierung“ richten, so der Klappentext, zählen die Juden nicht.

David Baddiel: „Und die Juden?“. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. Hanser Verlag, München 2021, 136 S., 18 Euro

Über Juden, so zeigt Baddiel anschaulich, darf man in progressiven Kreisen Witze reißen, und niemand schreitet ein, wenn sie verächtlich gemacht, ausgegrenzt oder stigmatisiert werden. „Jews don’t count“ lautet der englische Originaltitel des Buches.

Wirklich progressiv?

Baddiel, dessen Großeltern mütterlicherseits 1939 vor den Nazis nach England geflohen waren, stellt sich die Frage, wie es sein kann, dass sich selbst für links und progressiv haltende Menschen Antisemitismus herunterspielen, relativieren – oder sogar selbst betreiben. Juden, so stellt er fest, gelten vielen Antirassisten als „weiß“, „privilegiert“ und „reich“, weshalb sie auf der Seite der Unterdrücker stünden, gegen die Hass und Gewalt verständlich, wenn nicht gerechtfertigt sei.

Dass dieses tumbe Unterdrücker-Unterdrückte-Schema zwar einem moralischen Impuls entspringen mag, mit Gesellschaftskritik aber wenig zu tun hat, bleibt bei Baddiel nur angedeutet.

Er identifiziert sich selbst mit jenem progressiven Milieu, das ihn, den Juden, als Unterdrücker markiert. Da nützen auch alle etwas hilflos vorgebrachten Beteuerungen nichts, er stehe der Politik Israels kritisch gegenüber, wähle die Labor Party und sei Atheist. Anstatt die Grundstruktur der progressiven Weltsicht infrage zu stellen, fordert Baddiel, auch Juden sollten als unterdrückte und marginalisierte Gruppe Anerkennung finden.

Die Haltung, Juden unabhängig von dem, was sie glauben, meinen oder tun, für Ausbeuter und Unterdrücker zu halten, nennt Baddiel zurecht „rassistisch“.

Nicht einfach Rassismus

Gleichzeitig fällt er aber nicht auf das neuerdings wieder so beliebte Spiel herein, den Antisemitismus einfach unter das Label „Rassismus“ zu subsumieren und damit dessen Spezifik zu unterschlagen. Treffsicher nennt er diese Gleichmacherei in Anspielung auf die rechte Hetze gegen die Black-Lives-Matter-Bewegung das „All Lives Matter der Linken“. Falsche Generalisierung verdeckt die Unterschiede.

Wie aber ist nun das Verhältnis von Antisemitismus und Rassismus präzise zu beschreiben?

Baddiel führt den Begriff der „high-low status duality“ ein (in der etwas ungelenken deutschen Übersetzung „Hoch-Niedrig-Dualität“), der die Widersprüchlichkeit des antisemitischen Syndroms auf den Punkt bringt: „Juden werden von Rassisten auf die gleiche Weise stereotypisiert wie andere Minderheiten – als verlogen, diebisch, schmutzig, niederträchtig, stinkend –, aber eben auch als vermögend, privilegiert, mächtig, als geheime Herrscher über die Welt. Auf irgendeine Weise sind Juden sowohl Untermenschen als auch im Verborgenen die Herren der Menschheit.“

In der Konsequenz führe dieser Dualismus zu einer doppelten Ausgrenzung aus dem „heiligen Kreis“ der schützenswerten Minderheiten: Erstens gehörten Juden nicht dazu, zweitens seien sie Unterdrücker. Für White Supremacists seien sie „definitiv nicht weiß“, hält Baddiel fest, für so manchen Antirassisten dagegen „nicht braun oder schwarz“.

Größere Gefahr von rechts

Beide Lager stimmten darüber ein, dass die Juden sowohl fremd als auch mächtig seien. Der Autor blendet die unmittelbar größere Gefahr durch rechte Gewalt nicht aus (die islamistische dagegen schon), aber es ist das Entsetzen, dass Antisemitismus auch im eigenen politischen Lager grassieren kann, das ihn umtreibt.

David Baddiels bestechende Analyse ist schmerzhaft, besonders für ein politisches Milieu, das sich selbst für immun gegenüber antisemitischen Einstellungen hält.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.