Edeka und Primark kürzen Weihnachtsgeld: Nachträgliche Strafe für Streikende

Edeka und Primark haben Mitarbeiter*innen, die im Sommer gestreikt haben, das Weihnachtsgeld gekürzt. Rechtlich ist das möglich.

Ein Mann mit einer Primark-Tüte geht an einem Graffito mit dem Schriftzug "Shop" vorbei.

Weniger Weihnachtsshopping für Verkäufer*innen: Primark und Edeka knausern Foto: Andrew Matthews/dpa

HANNOVER taz | Böse Überraschung zum Jahresende: Bis zu 300 Euro Weihnachtsgeld weniger stehen bei einzelnen Mit­ar­bei­te­r*in­nen der Edeka Minden-Hannover und von Primark in Niedersachsen auf der Abrechnung.

Der Grund: Sie haben im Sommer für höhere Löhne gestreikt. Die Gewerkschaft Ver.di ist empört: „Wegen der Pandemie haben sich die Kolle­g*in­nen in der Tarifrunde sogar zurückgehalten und unter anderem auf Großkundgebungen verzichtet“, schreibt Sabine Gatz, die als ver.di-Landesfachbereichsleiterin Handel in Niedersachsen und Bremen die Tarifverhandlungen geführt hat, in einer Pressemitteilung.

Hunderttausende Beschäftigte im Einzelhandel profitierten von der Tariferhöhung. „Die vergleichsweise kleine Gruppe Streikender hat diesen Tarifabschluss erst möglich gemacht und wird jetzt für ihren Einsatz abgestraft“, so die Gewerkschafterin. „Wir fordern die Unternehmen auf, diese Strafmaßnahme umgehend rückgängig zu machen.“

Edeka interpretiert das Ganze anders: „Wir haben einen Tarifvertrag geschlossen, der besagt, dass Weihnachtsgeld nur für jeden vollen Monat der Beschäftigung gezahlt wird (ein Zwölftel pro Monat). Streiktage gelten ebenso wie beispielsweise eine Auszeit oder andere unbezahlte Fehltage nicht als Arbeitszeit. Somit erlischt für diesen Monat auch der Anspruch auf das (anteilige) Weihnachtsgeld“, schreibt eine Unternehmenssprecherin auf taz-Anfrage. Primark äußert sich ähnlich.

Diese Regelung gibt es nur in Niedersachsen

Nun lagen die Streiktage in diesem konkreten Fall nicht alle in einem Monat. Die Tarifverhandlungen zogen sich von Mai bis Oktober, im Juni, Juli, September und Oktober hat die Gewerkschaft jeweils zu einzelnen Warnstreiktagen aufgerufen. Im Extremfall bekommen aktive Mitglieder also für vier Streiktage vier Monatsanteile abgezogen. Die Edeka-Unternehmenssprecherin schreibt, sie gehe selbstverständlich davon aus, dass diese Abzüge, wie auch die Bezahlung an den Streiktagen selbst, von der Gewerkschaft kompensiert wird.

In der Tat hat Ver.di es möglicherweise versäumt, solche Fälle klarer zu regeln. Von einer „Formulierungslücke im Tarifvertragstext“ spricht die Gewerkschaft in ihrer Pressemitteilung. Eigentlich sollte die Kürzung des Weihnachtsgeldes nur bei längeren Abwesenheiten wie unbezahltem Urlaub oder Langzeiterkrankungen angewandt werden.

Rechtlich lässt sich das auf Streiktage übertragen, dazu gibt es einschlägige Gerichtsurteile – wenn man das nicht eindeutig und ausdrücklich ausschließt. Mündlich sei das damals bei der Einführung der Regelung auch vereinbart, aber dann nicht schriftlich fixiert worden, so Ver.di-Sprecherin Gatz. Entstanden ist die Regelung schon in den 80er-Jahren, zu tatsächlichen Kürzungen kam es aber erst in den 90ern – damals durch Real und Karstadt, die beide heute nicht mehr existieren.

Die Regelung in dieser Form gibt es der Gewerkschaft zufolge nur im Einzelhandel in Niedersachsen. Man habe mehrfach versucht, sie neu zu verhandeln, sei aber an der Arbeitgeberseite gescheitert, sagt Gatz. Aber auch in Niedersachsen wird sie nicht von allen gleichermaßen angewandt: Rewe, Kaufland, Netto und H&M sollen darauf verzichtet haben, zumindest dieses Mal und soweit es bisher bekannt ist.

Andere Arbeitgeber sind großzügiger

Immerhin gilt der Handel ja auch als einer der Arbeitsbereiche, die in dieser Pandemie am Ärgsten gebeutelt wurden: Ständig wechselnde Zugangsvorschriften und Hygienekon­zepte, Lieferengpässe, aggressive und verängstigte Kunden – all das musste in erster Linie von den Beschäftigten zwischen Warenregalen und Supermarktkassen aufgefangen und ausgehalten werden. Viele Unternehmen – auch Edeka – haben deshalb Corona-Boni an ihre Mit­ar­bei­te­r*in­nen verteilt.

Auch deshalb ist die Gewerkschaft verwundert über die Hartleibigkeit in diesem Punkt. Immerhin hat der Lebensmitteleinzelhandel ja sogar zusätzliche Gewinne eingefahren – anders als etwa die Modegeschäfte, die zwischenzeitlich von Lockdowns betroffen waren oder nur begrenzt Kunden einlassen durften.

Von Primark ist man aggressives „Union Busting“, also die systematische Bekämpfung von Arbeitnehmervertretungen, durchaus gewohnt – noch immer läuft etwa in Hannover die Auseinandersetzung um die fristlose Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden.

Edeka dagegen legt in seiner Außendarstellung sonst großen Wert auf die regionale Verankerung und gute Personalentwicklung. Noch während der langen und zähen Auseinandersetzungen zwischen Handelsverband und Ver.di ist das Unternehmen im Juli mit einer eigenen freiwilligen Entgelterhöhung vorgeprescht.

Betroffen sind nur 150 Mitarbeitende

„Was die Unternehmen jetzt machen, ist zutiefst unmoralisch und das Gegenteil von fairem sozialpartnerschaftlichem Umgang“, sagt Barbara Gorgs, Ver.di-Tarifkommissionsmitglied der Edeka Minden-Hannover Regionalgesellschaft. Keiner der Mitbewerber im Lebensmitteleinzelhandel habe das Weihnachtsgeld bei den Streikenden gekürzt.

Vielmehr sei sogar denen, die keinen Anspruch auf Weihnachtsgeld haben, weil sie nicht in der Gewerkschaft organisiert sind, das volle Weihnachtsgeld bezahlt worden, so Gorgs: „Unsere Kol­le­g*in­nen brauchen ihr tarifliches Weihnachtsgeld, um Jahresrechnungen zahlen und ihren Kindern ein Weihnachtsgeschenk machen zu können.“ Als „Nachtreten“ bezeichnet Gatz den Vorgang.

Insgesamt kann es dabei auch nicht um Unsummen gehen: Ver.di spricht von ungefähr 150 Betroffenen bei Edeka und Primark zusammen. Das dürfte in der Summe weniger sein, als der Weihnachtswerbespot in diesem Jahr gekostet hat.

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