Kampf gegen Vorurteile: Antisemitismus und Islamophobie
Juden- und Muslimhass existieren parallel und oft im gleichen Milieu. Eine offene Vorurteilsforschung ist Voraussetzung für ihre Bekämpfung.
M it dem Satz „Was unseren Vätern der Jud ist für uns die Moslembrut“ dokumentieren Rechtsradikale 2009 am KZ Mauthausen ihren Hass auf Muslime. Der Eindruck, dass Muslimhass den Judenhass abgelöst habe, ist jedoch falsch. Beide Ressentiments sind komplementär, beide existieren parallel und nicht selten im gleichen Ressentimentträger.
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Nicht zuletzt der Anschlag in Halle vor zwei Jahren hat gezeigt, dass der Hass gegen Juden virulent ist und – was nicht so prominent im Fokus der Berichterstattung steht – oft einhergeht mit dem Hass auf Muslime. Nicht zufällig steuerte der Täter nach dem gescheiterten Anschlag auf die Synagoge einen Dönerimbiss an.
Sein „Manifest“ wie auch die Gerichtsprotokolle bestätigen, dass sein rechtsradikales Weltbild von antimuslimischem Rassismus ebenso geprägt ist wie von antisemitischen Weltverschwörungsmythen. Es besteht eine Schieflage in der Wahrnehmung. Die deutsche Geschichte hatte eine besondere Sensibilisierung für Antisemitismus zur Folge – und das ist gut so und noch lange nicht ausreichend.
lehrt Journalismus und Kommunikation in Frankfurt am Main. Sie leitet das von ihr gegründete Institut für Medienverantwortung in Berlin (IMV), das sich für ein Schulfach Medienbildung einsetzt.
Aber das Außer-Acht-Lassen der islamophoben Komponente schafft ein reduziertes Framing, das der Problematik nicht gerecht wird. Zudem ist wichtig festzuhalten, dass Antisemitismus und Islamophobie nicht auf Rechtsradikale beschränkt sind. Während der Antisemitismus aufgrund sozialer Erwartungen in der Öffentlichkeit häufig weniger explizit vorgetragen wird, verrät er sich in Äußerungen und Meinungsumfragen.
Der Kampf um die Anerkennung von antimuslimischem Rassismus als vergleichbares Moment zur Spaltung der Gesellschaft hat noch einen weiten Weg vor sich. Der verallgemeinernde Verweis auf muslimische Attentäter oder Antisemiten trägt zur erschwerten Anerkennung der Gefahr bei, die sich durch Anschläge auf Moscheen und Personen zeigt und die nicht weniger virulent ist. Es ist deshalb ein Vergleich antisemitischer und antimuslimischer Diskurse angebracht.
lehrt Pädagogik an der Uni Mainz und ist freier Mitarbeiter im IMV. Zusammen mit Sabine Schiffer verfasste er das Buch: „Antisemitismus und Islamophobie. Ein Vergleich“, Westend-Verlag.
Nicht selten wird mit dem Verweis auf die Problematik des „Islamophobie“-Begriffs von der Existenz des antimuslimischen Rassismus abgelenkt. Doch auch der im 19. Jahrhundert geprägte Begriff des „Antisemitismus“ trifft nicht das Phänomen, das er beschreiben will. Wilhelm Marr – Journalist und Begründer der Antisemitenliga im Kaiserreich – suchte mit der Bezeichnung den christlich geprägten Antijudaismus, der durch die Aufklärung diskreditiert schien, wissenschaftlich zu verbrämen.
Dass er dafür einen Fachterminus der Sprachwissenschaft übernahm und aus der Sprachfamilie der Semiten nun allein die Juden fokussierte, führt bis heute zu dem Missverständnis, dass arabische Muslime – ebenfalls Semiten im linguistischen Sinne – glauben, sie könnten ja qua definitionem keine Antisemiten sein. Der Begriff ist also schief, aber inzwischen etabliert und akzeptiert– zumindest, was den Kern der Bedeutung anbelangt: Vorurteile, Hass und Gewalt gegen Juden als Juden.
Kaum jemand würde versuchen, über die Kritik am Begriff Antisemitismus das Phänomen des Judenhasses zu bestreiten. Anders beim Islamophobie-Begriff, der in der internationalen Öffentlichkeit das repräsentiert, was die Wissenschaft im Deutschen korrekt als antimuslimischen Rassismus bezeichnet – davon ausgehend, dass sich langsam herumgesprochen hat, dass es keine Menschenrassen, aber Rassismus als ethnisierende Struktur gibt.
Phänomene und Vergleichsmomente
Wenn heute über Moscheebau und Muezzinruf gestritten wird, lohnt der Vergleich mit den Debatten um den Synagogenbau in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Besonders heftige Abwehrreaktionen gegen Indizien der Gleichstellung der bis dato Unterprivilegierten zeigten sich auch rund um die sogenannte Emanzipationsdebatte und die Anerkennung der Juden als Staatsbürger im preußischen Landtag Mitte des 19. Jahrhunderts.
Es wurde darüber diskutiert, ob die langjährig Ausgegrenzten loyale Staatsbürger sein könnten, gar als Lehrkräfte auf die Kinder einwirken dürften und ob man nicht das Predigen auf Deutsch vorschreiben sollte, um die Inhalte besser kontrollieren zu können. Diese Momente des Misstrauensdiskurses haben tatsächlich einige wiedererkennbare Vergleichsmomente mit den sarrazinesken Abwehrreaktionen auf erfolgreiche Integration heute.
Sehr vergleichbar – wenn auch nicht gleichzusetzen – ist die Grundstruktur eines Misstrauensdiskurses: Stereotyp ausgewählte Fakten werden ständig wiederholt und als repräsentativ für eine ganze Gruppe verstanden, Beispiele für das Behauptete finden sich immer. Es entsteht ein kohärentes System, das wie ein Filter für die weitere Wahrnehmung wirkt und damit der Selbstbestätigung zuarbeitet.
So lässt sich die Vorstellung von „Parallelgesellschaften“ konstruieren, die auch als „Staat im Staate“ – so das Bild aus dem antisemitischen Diskurs – gelesen werden können. Und wer aus den erwarteten Mustern ausbricht, etwa jüdische oder muslimische Gebräuche ablegt, die/der kann – ganz kohärent – mit dem Vorwurf der Verstellung belegt werden.
Rassismusleugnung und Projektionsversuche
Das einmal geschaffene geschlossene System an Vorstellungen kann, auch nach Phasen der Aufklärung und geglaubter Überwindung, immer wieder belebt werden unter Rückgriff auf längst widerlegte Falschbehauptungen. An dieser Stelle zeigt sich aber auch ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen antisemitischem und antimuslimischem Diskurs:
Während beide ins Verschwörungsmythische abgleiten, bildet der Antisemitismus bislang das Alleinstellungsmerkmal der omnipotenten Welterklärungsformel, die hinter allem auf den ersten Blick Unerklärlichen sofort jüdische Akteure vermutet. Und hierin liegt auch ein weiterer Unterschied in der Perspektivgebung:
Dem Überlegenheitsgefühl Muslimen gegenüber steht auf der anderen Seite ein Unterlegenheitsgefühl den als besonders mächtig interpretierten Juden gegenüber; wofür einige aktuelle Verschwörungsmythen im Covid-19-Kontext ein weiteres Beispiel für strukturellen Antisemitismus abgeben.
Die Angst vor einer Verharmlosung des Holocaust darf nicht dazu führen, dass der Maßstab für die Einschätzung von Bedrohungslagen zu hoch angelegt wird; und nicht dazu, dass man andere Abwertungsdiskurse neben dem Antisemitismus leugnet, wozu die Islamfeindlichkeit ebenso gehört wie Sexismus oder Homophobie, Antiziganismus, DDR- und Obdachlosenfeindlichkeit, wie dies der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, Wolfgang Benz, in seinem Plädoyer für eine Nutzbarmachung der Erkenntnisse aus dem gut erforschten antisemitischen Diskurs für eine offene Vorurteilsforschung – selbstverständlich ohne Gleichsetzung – anmahnt.
Statt die vielfältigen und vielschichtigen Bedrohungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt jeweils ernst zu nehmen und anzugehen, ist immer wieder das Ausspielen einzelner Betroffener gegeneinander sowie der Verweis der Problematik auf das Internet zu beobachten.
Religionisierung des Nahostkonflikts
Während Muslime auf Juden, Juden auf Muslime, alte Medien auf das Internet und die Politik auf Clans verweisen, werden zu leicht die Entwicklungen und Initiativen übersehen, die sich gegen diese pauschalierenden Zuweisungen stellen und zeigen, dass sich gemeinsam Zeichen setzen lassen – so vor Jahren, als Rabbiner und Imame gemeinsam eine Erklärung gegen Gräberschändungen verfassten, oder Initiativen wie Salam-Shalom, die den Glauben an einen Friedensprozess im Nahen Osten nicht aufgeben wollen.
Sie ernten nicht selten Hass statt Unterstützung. Aber Meinungsfreiheit umfasst Volksverhetzung nicht, sie endet bei der Verletzung der Würde des Anderen. Und Hetze betreiben – bewusst oder unbewusst – Akteure aus Politik, etablierten Medien und neuen Angeboten im Internet. Die Verantwortung der Justiz wäre es, derlei Grenzüberschreitungen überall konsequent zu verfolgen und es nicht undurchsichtigen Internetkonzernen zu übertragen, bei anschlussfähigen Themen Zensurmöglichkeiten für die Kommunikationskontrolle zu implementieren.
Deshalb braucht es Medien, die das Doppelmaß in der Anerkennung von Straftatbeständen aufdecken und nicht gar noch bedienen – vermeintlich oder tatsächlich aus woken Haltungsprinzipien. Dass die hier aufgezeigte Problematik um Antisemitismus und Islamophobie kein Problem des Internets ist, wie es gerade angesehene Medien gerne glauben machen wollen, beweist der Holocaust selbst.
Während natürlich Social Media, Algorithmen, Microtargeting und Filterblasen ihren Teil zu sich polarisierenden Diskursen beisteuern, erhalten diese vor allem dann diskursives Gewicht, wenn sie von Trägern eines gewissen Ansehens kolportiert werden. Hier ist zwischen Idealen und Ansprüchen und deren Umsetzung zu unterscheiden.
Allein ein Vergleich von Pressefotos zur Illustration der Berichterstattung belegt schnell, wie orthodoxe Juden und kopftuchtragende Musliminnen gerne als Motive für das Visual Framing herangezogen werden, obwohl sie nur eine Minderheit in ihren meist zu homogen dargestellten Communitys sind.
Die bildlich-religionisierende Zuweisung im Konflikt um Israel-Palästina mit religiöser Symbolik – oder auch deren sprachliches Pendant – macht den Territorialkonflikt nicht lösbar und lenkt erfolgreich von den relevanten Rechtsgrundlagen ab: dem Völkerrecht. In Deutschland mischt sich in die auch international erkennbaren Tendenzen auffällig ein Moment der Schuldabwehr – etwa durch die Projektion von Antisemitismus vornehmlich auf Muslime.
Sowie es sich hier gebietet, die gleichen Rechtsgrundlagen zum Maßstab für alle zu machen, so verhält es sich ebenso mit der Bekämpfung klar definierbarer Hassrede in der Jurisdiktion. Antisemitismus und Islamophobie sind aber noch auf anderen Ebenen zu bekämpfen. Eine Analyse ihrer Grundlagen ist eine wichtige Voraussetzung dafür, ebenso wie der Wille zur Veränderung.
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