Flughafen BER: Abschiebeknast im Anflug?

Mit einem Behördenzentrum will Brandenburg Ein- und Ausreisen über den BER neu organisieren. Linke fürchtet, dass es vor allem ums Abschieben geht.

Flugzeug mit dem das Land Brandenburg im April 2021 eine Sammelabschiebung vom BER nach Afghanistan durchführte

Noch im April 2021 führte das Land Brandenburg vom BER aus eine Abschiebung nach Afghanistan durch Foto: Markus Golejewski / AdoraPress

BERLIN taz | Entsteht am Flughafen BER in den kommenden Jahren ein Abschiebezentrum mit Abschiebeknast? Das zumindest ist die Befürchtung der Brandenburger Linken-Politikerin Andrea Johlige. Sie vermutet, dass in Schönefeld ein „Abschiebedrehkreuz“ für ganz Deutschland entstehen könnte. Auch der Flüchtlingsrat Brandenburg warnt davor, dass sich das Land am BER bundesweit als „Vorzeige-Abschiebe-Standort“ etablieren wolle.

Tatsächlich plant Brandenburgs Landesregierung gemeinsam mit dem Bund am BER in Schönefeld nach eigenen Angaben ein Behördenzentrum, in dem die „Ein- und Ausreise von ausländischen Personen über den BER“ zukünftig „effizient und zügig“ bearbeitet werden soll. Dafür sollen dort Landes-, Bundes- und Kommunalbehörden zusammenarbeiten – so wie es etwa bisher schon in sogenannten Ankunftszentren geschieht.

An dem BER-Behördenzentrum ist demnach Platz für Brandenburgs Zentrale Ausländerbehörde (ZABH) vorgesehen, außerdem soll die Bundespolizei dort unterkommen – als Institution, die unter anderem Abschiebungen durchsetzt. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) soll vor Ort vertreten sein, dazu sind rund 120 Schlafplätze geplant für Menschen, die etwa über Resettlement-Programme oder über humanitäre Aufnahmen an den BER kommen, die im Rahmen des Flughafenasyls eine Schlafstätte brauchen oder freiwillig ausreisen wollen.

Auf einer Fläche von 4,4 Hektar sollen dafür mehrere Gebäude entstehen – darunter ein Ankunftsgebäude, Gewahrsamsgebäude, ein Rückführungs- und ein Transitgebäude.

Angebliches Vorzeigeprojekt

In einer Präsentation, die der Entwicklungsausschuss der Gemeinde Schönefeld (Landkreis Dahme-Spreewald) im März vorgeführt bekam und die der taz vorliegt, ist von einem „Vorzeigeprojekt von internationaler Bedeutung“ die Rede. Mit dem Aufnahme- und Ausreisezentrum werde eine „europaweit einmalige Einrichtung“ geschaffen. Das Projekt habe auf Landes- und Bundesebene „höchste Priorität“. 200 Arbeitsplätze sollen dort entstehen.

Abschiebungshaft Haft, um Abschiebungen durchzusetzen, ist keine Strafhaft. Sie darf nur unter besonderen Bedingungen angeordnet werden und kann bis zu sechs Monate dauern.

Ausreisegewahrsam Um eine Abschiebung durchzuführen, dürfen Menschen laut Bundesgesetz bis zu zehn Tage in Gewahrsam genommen werden. (usch)

Das Zentrum solle „Aufnahme und Ausreise von Drittstaatsangehörigen beschleunigen“, heißt es auch in einer gemeinsamen Erklärung von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) von Ende September. Der Bund könnte nach Angaben des zuständigen Staatssekretärs dort rund 90 Beschäftigte einsetzen. Eine Beteiligung des Landes Berlin ist bisher wohl nicht geplant.

„Die Pläne sind völlig überdimensioniert“, sagt die Linken-Abgeordnete Johlige. „Und wenn man sich die Bebauung anguckt, dann wird ganz klar: Der Fokus liegt auf Ausreise. Einreise spielt eine untergeordnete Rolle.“ Das zeige sich allein schon an der Anzahl und der Größe der geplanten Häuser. „Das T-Gebäude, das das Flughafenasyl und den Abschiebegewahrsam beherbergen soll, wird sich leicht zu einem Knast umbauen lassen“, vermutet Johlige außerdem. „Das Zentrum soll auf Jahrzehnte genutzt werden. Wenn der Bund dann eine Haftanstalt fordert, wird sich das Land dem nicht verschließen können.“ Sie befürchtet, dass der Flughafen damit für Sammelabschiebungen auch aus anderen Bundesländern genutzt werden solle. Die ZABH gehe von rund 600 bis 700 Gewahrsamsfällen pro Jahr aus – das seien deutlich mehr als bisher.

Johlige kritisiert außerdem, dass die Planungen bisher weitgehend am Landtag vorbei gelaufen seien. „Wir wissen noch nicht, was es kosten soll, aber ich halte 100 Millionen für realistisch“, sagt sie. „Die Baukosten und die geforderten neuen Stellen werden den Landeshaushalt auf Jahrzehnte hin belasten.“ Darüber müsse es eine Diskussion im Landtag geben. „Und auch über die Frage, ob wir so ein Zentrum politisch überhaupt wollen“, so Johlige. Ihr Eindruck ist, dass die Landesregierung und das Innenministerium bisher im Innenausschuss absichtlich „niedrig gestapelt“ hätten, um möglichst unauffällig Tatsachen zu schaffen – etwa über den Bebauungsplan. Denn im Innenausschuss sei das Zentrum weit weniger bombastisch verkauft worden als vor der Gemeindevertretung in Schönefeld.

Grüne schließen Abschiebehaftanstalt aus

Bei Brandenburgs Grünen, die gemeinsam mit SPD und CDU das Land regieren, ist man ebenfalls alarmiert, will aber zunächst die Fakten prüfen. „Die Informationen sind noch sehr spärlich“ sagt die Landesvorsitzende Julia Schmidt. Die Partei wolle die Planungen zu dem Projekt allerdings kritisch hinterfragen. „Wir holen derzeit Informationen auf allen Ebenen ein“, bisher habe man auch an keiner Stelle zu irgendetwas zugestimmt. „Aber es ist ganz klar, dass es mit uns dort keine Abschiebehaftanstalt geben wird, und das hat uns das Innenministerium auch so bestätigt“, sagt Schmidt.

Tatsächlich war die Frage nach einer Abschiebehaftanstalt eine der „roten Linien“ der Grünen in den Koalitionsverhandlungen nach der Landtagswahl 2019, seit der in Brandenburg SPD, CDU und Grüne gemeinsam regieren. In den Koalitionsvertrag schaffte es dann die eher schwammige Formulierung, dass die „Anordnung von Abschiebehaft“ nur „die Ultima Ratio“ sein könne. Bei den Grünen versteht man dies als deutliche Absage an eine Haftanstalt.

Auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Schönefeld (dem heutigen Terminal 5, derzeit geschlossen) befindet sich bereits ein Abschiebegewahrsam. In der Antwort auf Johliges Anfragen verweist die Landesregierung darauf, dass es erste Überlegungen für eine Ausreiseeinrichtung am BER bereits seit 2017 gebe. Damals war die Abschiebehaft auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt aus Brandschutzgründen geschlossen worden. Doch diese Pläne habe das Land 2019 „aufgrund der bevorstehenden Landtagswahl“ ausgesetzt und anschließend „mit Rücksicht auf die Festlegung im Koalitionsvertrag“ zurückgestellt.

Das Projekt befindet sich demnach derzeit noch in der Vorplanung. Die Gemeindevertretung Schönefeld hat im August ein Verfahren eingeleitet, um auf dem Gelände Bauplanungsrecht zu schaffen. Anfang November soll das Zentrum noch einmal Thema im Innenausschuss sein.

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