Lastwagenfahrermangel in Großbritannien: Mit deutschem Lappen auf den Bock
Sie erhielten Post von der Regierung: Auf der Insel lebende deutsche Staatsbürger mit einem älteren Führerschein. Man braucht sie, denn sie dürfen kleine LKW fahren.
In dem Brief des Verkehrsministeriums, der der Zeitung vorliegt, wird den Angeschriebenen nahe gelegt, eine „Rückkehr“ in die Fernfahrerbranche in Betracht zu ziehen – auch wenn viele der Adressaten noch nie am Steuer eines Lasters gesessen hätten. „Es gibt großartige Möglichkeiten für Lastwagenfahrer in der Logistikbranche und die Arbeitsbedingungen haben sich im gesamten Sektor verbessert“, heißt es in dem Schreiben. „Ihre Fähigkeiten und Erfahrungen sind noch nie mehr gebraucht worden als jetzt.“
Aus dem britischen Verkehrsministerium hieß es, der Brief sei an fast eine Million Menschen mit Lkw-Führerscheinen gesendet worden. Aus Datenschutzgründen sei es unmöglich gewesen, die Liste der Empfänger genauer nach Berufen zu filtern.
Autofahrer mit deutschen Führerscheinen, die vor 1999 ausgestellt wurden, dürfen unter bestimmten Bedingungen kleine Lastwagen mit einem maximalen Gewicht von 7500 Kilogramm fahren.
„Es ist schön zu wissen, dass es noch immer Job-Perspektiven hier für uns nach dem Brexit gibt“, sagte ein 41-jähriger Deutscher, der mit seiner Frau in London lebt, dem Independent. „Wären wir nach Deutschland gegangen, wären wir wohl niemals als Lastwagenfahrer von Headhuntern angeworben worden.“ Vorerst wolle er seinen Job bei einer Investmentbank jedoch behalten, und seine Frau habe auch noch nie ein größeres Auto als einen Volvo gefahren und werde die „aufregende Möglichkeit“ wohl auch ausschlagen.
Der akute Fahrermangel hat auf der Insel derzeit drastische Konsequenzen: Vor den noch offenen Tankstellen bilden sich lange Schlangen, da Tanklaster viele nicht rechtzeitig beliefern können. Auch Supermarktregale blieben bereits teilweise leer. Panik- und Hamsterkäufe verschlimmerten die Lage zuletzt noch. In den vergangenen Tagen hatte die britische Regierung noch versucht, die Bevölkerung zu beruhigen und erklärt, die Krise sei unter Kontrolle. Doch der Sprit-Engpass hielt auch am Freitag an.
In Großbritannien fehlen schätzungsweise 100.000 Lkw-Fahrer. Wegen des Brexit sind viele Trucker auf den europäischen Kontinent zurückgekehrt. Außerdem hatten die Corona-Beschränkungen zur Folge, dass die Ausbildung ins Stocken kam. Zudem kämpft das Land bereits mit steigenden Gas-Preisen, die Energiekosten in die Höhe treiben und zu einer Waren-Verknappung geführt haben. Die Lieferengpässe führen auch dazu, dass Gebrauchsgüter vor dem Weihnachtsgeschäft deutlich teurer werden. Landwirte warnten am Freitag davor, dass eine Massenkeulung von Schweinen drohe, weil es auch an Metzgern und Schlachthofmitarbeitern mangele.
Am vergangenen Sonntag hatte die Regierung in London befristete Visa für 5000 Lkw-Fahrer und für 5500 Mitarbeiter in der Geflügel-Branche in Aussicht gestellt. Viele lehnten jedoch ab, weil ihnen der Zeitrahmen zu kurz war. Ab Montag setzt Downing Street Nr. 10 die Armee zur Überbrückung der Engpässe bei der Benzinversorgung ein. 200 Soldaten – davon 100 Fahrer – würden ein entsprechendes Training am Wochenende beenden und könnten dann mit Lieferfahrten starten, teilte die Regierung am Freitag mit.
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