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Antisemitismus in DeutschlandDas Schweigen brechen

Gastkommentar von Monty Ott

Der Hass gegen Jü­din­nen:­Ju­den in Deutschland lebt. Er zieht seine Fäden durch die gesamte Gesellschaft – mal verhalten, mal ganz offen.

Kundgebung gegen Antisemitismus am 25.7.2021 in Berlin-Neukölln Foto: Jörg Carstensen/dpa

A uch 2021 wurde es wieder behauptet: Jü­din­nen:­Ju­den seien angeblich überprivilegiert und überrepräsentiert, der deutsche Staat bekämpfe den Antisemitismus konsequent und habe auch die Geschichte des industriellen Massenmordes an Jü­din­nen:­Ju­den vorbildhaft aufgearbeitet. Dabei wusste Adorno schon, dass Aufarbeitung in der deutschen Gesellschaft nicht meint, den Bann des Vergangenen ernsthaft durch helles Bewusstsein zu brechen, sondern darunter einen Schlussstrich ziehen zu wollen.

Der aktuelle Wahlkampf straft nicht nur jene Lügen, die denken, dass Antisemitismus aufrichtig bekämpft oder die Auseinandersetzung mit der Shoa in der Gesamtgesellschaft ernsthafter betrieben werde. Er führt auch vor, dass deutsche Aufarbeitung bedeutet, sich selbst zu loben, die Äußerung von Antisemitismus exklusiv bestimmten Gruppen zuzuschreiben, die Kritik damit von sich zu distanzieren und jegliche Kontinuitäten zu verleugnen.

Alle sind geläutert, Schuld sind die „Geflüchteten“, die „Linken“, die „Rechten“, nur nie man selbst oder das eigene Umfeld, und dann die Fahnen raus, wenn das deutsche Olympiateam eine weitere Goldmedaille zählt. Willkommen im Wahljahr 2021, in dem antisemitische Codes wie “Globalisten“ als legitimes Mittel des politischen Diskurses gelten.

Willkommen im Wahljahr, in dem Po­li­ti­ke­r:in­nen die Stimmen von verschwörungsideologischen Gruppierungen, die während der Pandemie antisemitische Feindbilder bekämpft und die Shoa relativiert haben, durch Dialog und Verständnis gewinnen wollen. Willkommen im Wahljahr, in dem je­de:r sich gegen Antisemitismus positioniert, ihn aber immer nur bei den anderen sehen will.

Monty Ott

schreibt seine Doktorarbeit zu queer-jüdischem Leben und engagiert sich im jüdisch-aktivistischen Medienprojekt „Laumer Lounge“. Außerdem arbeitet er gerade an seiner ersten Buchpublikation.

Willkommen im Wahljahr, in dem es zu massiven antisemitischen Ausschreitungen kam und viele progressive Gruppen dazu schwiegen. Während der Kampf gegen Antisemitismus von Rechts­po­pu­lis­t:in­nen instrumentalisiert werden konnte. Willkommen im Wahljahr, bei dem doch alles beim Alten ist, obwohl wir so dringend Aufbrüche brauchen.

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13 Kommentare

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  • Mich würde ehrlich gesagt eher interessieren, wie eine Gesellschaft gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit vermeiden kann. Neben Antisemitismus haben wir da ja noch Rassismus, Sexismus, Homophobie bzw. Homosexuellenfeindlichkeit, Transphobie … Diese Menschenfeindlichkeiten hängen doch alle miteinander zusammen.



    Meiner Auffassung sollten die Menschenrechte stärker in den Fokus genommen werden und verinnerlicht werden. Fängt in der Schule an und müsste in der Politik und Berichterstattung umfassend fortgesetzt werden. Zwar hat diesbezüglich bereits eine gesellschaftliche Sensibilisierung stattgefunden aber letztendlich doch nur sehr partiell. Denn eine glaubwürdige politische Verinnerlichung der Menschenrechte würde natürlich auch bedeuten, dass die deutsche Wirtschaft ein Lieferkettengesetz bekommt, welches nicht völlig verwässert und nutzlos ist. Könnte natürlich auch noch zur Folge haben, dass mehr Forderungen gestellt werden, die eine Gesellschaft gegenüber ihren diversen Minderheiten nicht nachkommen möchte aufgrund von Kostenfaktoren. Ja, Menschenrechte kosten auch mal Geld und das will dann doch irgendwer nicht aufbringen … Schon ein Stadion in Regenbogenfarben zu beleuchten könnte autokratische Investoren abschrecken oder verärgern und zukünftige Geschäfte erschweren oder unmöglich machen.



    Momentan ist es uns Europäern ja auch lieber Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen zur Abschreckung oder ewig in Moria einzupferchen. Die Alternativen würden halt mehr Kosten verursachen. Und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit glaubwürdig umfassend zu bekämpfen ebenso. Die Sonntagsreden vom Bundespräsidenten sind dagegen ein Schnäppchen! Bleibt u.a. zu hoffen, dass keine gesellschaftliche Abstumpfung gegenüber der Gewaltzunahme bzw. gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeiten die Folge sein wird!

    • @Frederik Nyborg:

      Da der Antisemitismus sich nachweislich qualitativ von anderen Formen der Menschenfeindlichkeit unterscheidet, reicht, wie die Forschung, die sein verschwörungsideologisches Projektionspotenzial im Detail erforscht hat, reicht eine generelle Erziehung zur Bejahung der Menschenrechte nicht ansatzweise aus. Schon der klassische Antisemitismus des 19. Jahrhunderts wurde vorangetrieben von Leuten, die betonten, persönlich nichts gegen Juden zu haben.

      Wilhelm Marr, der affirmativ den modernen Antisemitismus entwickelte und seinen als eine "Antisemitismus der Vernunft" bezeichnete, konnte darauf verweisen, dass zwei seiner drei Ehefrauen jüdisch gewesen seien. Und ein Großteil derer, die hierzulande den eindeutig antisemitischen Verschwörungsmythos verbreiten, der Mossad müsse in die Anschläge von 9/11 verwickelt sein, da dabei keine Juden umgekommen sein, wird jeden Verdacht des Antisemitismus empört von sich weisen.

      Alleine die prompte Abwehr des Hinweises auf Notwendigkeit der Antisemitismus unter Verweis, es sei vielmehr jede Menschenfeindlichkeit zu bekämpfen, was von der Sache ja prinzipiell niemand bestreitet, enthält als Implikation den stillschweigenden Vorwurf, hiermit würde ein "jüdisches Privileg" eingefordert, als ob sie die Zunahme des Antisemitismus zu verantworten. Es sind solche Reflexe, die zeigen, wie nötig eine Verstärkung der Aufklärung und politischen Gegenwehr gegen die hartnäckige Persistenz dieses schrecklichen Phänomens ist. Gerade, dass es selbst unter den Nachkommen der Mörder so reflexhaftdeutlich wird, ist erschreckend .

      • @Anja Böttcher:

        Eine Verinnerlichung der Menschenrechte schließt eine Differenzierung nicht aus. Das Antisemitismus eine Sonderstellung einnimmt, bezweifele ich daher in keiner Weise. Doch die bisherigen Maßnahmen zur Bekämpfung des Antisemitismus sind doch gescheitert, da eine erhebliche Zunahme des Antisemitismus zu verzeichnen ist. Ohne eine glaubwürdige Verinnerlichung der Menschenrechte wird es nicht funktionieren. Und Menschenrechte immunisieren auch gegen menschenverachtende Verschwörungstheorien. Außerdem ist mir keine seriöse Menschenrechtsorganisation bekannt, die antisemitisch agiert oder Verschwörungstheorien folgt. Das schließt sich nämlich prinzipiell aus, ansonsten ist es nicht seriös.



        Auch wenn man sich die Psychogramme der Judenretter ansieht, wird deutlich, dass dort größtenteils bestimmte menschenrechtskonforme Werte vorherrschend und verinnerlicht waren. Die Bekämpfung des Antisemitismus wird daher nur gelingen, wenn die Menschenrechte unterstützt und weltweit umgesetzt werden bzw. der Kurs dahingehend ausgerichtet wird. Alles andere wird scheitern und erneut ins Chaos führen! Ich bin daher etwas entsetzt, über Ihre gegen die Menschenrechte gerichteten sehr aggressiven Ausführungen!

  • Die (extremen)Rechten haben sich im Laufe der Zeit so einiges angeeignet ,so zum Beispiel auch Dresscodes der linken Szene ,wie Palituch ,Lederjacke, auch lange Haare,sowie auch andere Begriffe und Symbole,die ursprünglich keinen direkten faschistischen Bezug haben.



    Wikipedia sagt zu Globalismus:



    "Abseits davon wird er in öffentlichen und soziologischen Debatten dazu benutzt, um Grundannahmen der marktliberalen Globalisierung als „neoliberal“ zu kritisieren. „Globalismus“ erscheint in diesem Sprachgebrauch als polemisches Synonym für eine Ideologie des globalisierten Marktradikalismus."



    (de.wikipedia.org/wiki/Globalismus)



    Dieser Gebrauch/Deutung von "Globalismus,Globalist ",etc. ist wesentlich älter als der Gebrauch als "antisemitisches Codewort"! Muß man sich wirklich auf die Spielchen der Rechten einlassen und ihnen damit die Deutungshoheit überlassen? Dann braucht man andere Begriffe,die aber auch irgendwann übernommen werden. "Ausländer" wurde durch "Migrationshintergrund" ersetzt,dieser Begriff wird auch schon länger von den Rechten als Code benutzt. Also muß was anderes her ,welches wiederum..." Ick bün all hier",sagte der Igel zum Hasen.

  • "Globalismus" verwenden auch Kommunisten.

  • "Alle sind geläutert, Schuld sind die „Geflüchteten“, die „Linken“, die „Rechten“, nur nie man selbst oder das eigene Umfeld, und dann die Fahnen raus, wenn das deutsche Olympiateam eine weitere Goldmedaille zählt."

    Hm, das heisst also, jeder Sportfan, der bei Olympia oder einer WM eine deutsche Fahne rausholt, ist Antisemit?



    Das halte ich für eine sehr gewagte Behauptung.

  • Das Wort "Globalist" wird im verlinkten Taz Artikel ( taz.de/Vorwuerfe-g...-Maassen/!5771000/ ) von Herr Hillenbrand nicht verwendet. Er macht dort die Verwendung des Begriff "Globalismus" zu Vorwurf.

  • "antisemitische Codes wie “Globalisten“ "

    Mir ist der Begriff aus linker wie rechter Kritik an "Globalismus" uns "Neoliberalismus" bekannt. Siehe auch Andreas Speit in der taz: taz.de/Wo-querdenk...traeumen/!5754829/ .



    Dass er nun ein spezifisches "antisemitischer Code" sei, kann ich nicht nachvollziehen. Wer hat ihn als solchen definiert? Dadurch wird jegliche Kritik am Globalismus als antisemitisch definiert.

  • "Dabei wusste Adorno schon, dass Aufarbeitung in der deutschen Gesellschaft nicht meint, den Bann des Vergangenen ernsthaft durch helles Bewusstsein zu brechen, sondern darunter einen Schlussstrich ziehen zu wollen."

    Das bezieht aber die Aufarbeitung der GANZEN Vergangenheit ein. Und genau das ist das Problem. Denn es gibt in Deutschland durchaus engagierte Menschen, die gegen Antisemitismus kämpfen und gleichzeitg Feindbilder pflegen, die schon die Nazis prägten. Antisemitismus einerseits und deutsch militaristisches Gehabe mit entsprechender Feindbildpflege sind m.E. nicht voneinander zu trennen. Wer sich beispielsweise als deutscher Politiker mit Stahlhelm in der Ukraine der Presse präsentiert, hat das scheinbar nicht begriffen.



    Wer über Antisemitismus redet, muss die Frage nach der Verarbeitung ALLER Verbrechen Nazideutschlands im Auge haben.

    • @Rolf B.:

      Wollen Sie wirklich mit logischen Kurzschlüssen argumentieren wie der Autor?

      Denn jede, die bei Olympia eine Deutschlandfahne herausholt, ist eine Antisemitin?

      Ob sie Habecks Auftritt gut oder schlecht finden, ist eine Sache.

      Bei Antisemitismus sind wir deshalb aber noch nicht.

      • @rero:

        Sorry, von Olympia und Deutschlandfahne auf Antisemitismus schließen ausschließlich Sie hier. Ich sehe da keinen Zusammenhang mit meinem Kommentar.

        Es geht um die Frage der Aufarbeitung der GANZEN Vergangenheit.

        • @Rolf B.:

          Das bezieht sich auf den Artikel ,in dem es heißt:"Alle sind geläutert, Schuld sind die „Geflüchteten“, die „Linken“, die „Rechten“, nur nie man selbst oder das eigene Umfeld, und dann die Fahnen raus, wenn das deutsche Olympiateam eine weitere Goldmedaille zählt. Willkommen im Wahljahr 2021, in dem antisemitische Codes wie “Globalisten“ als legitimes Mittel des politischen Diskurses gelten."



          Dem Autor geht es auch um das GANZE.

  • Der Gesellschaft geht es materiell gut - wenn auch sehr ungleich verteilt. Psychisch und in einzelnen Gewaltübergriffen (die aber viel bewirken), geht es vielen schlecht, viele Gruppen stehen in Fronten gegeneinander.

    Auf der Ebene der emotionalen Öffnung für Menschen kann man den Autor verstehen und möchte ihm/ihr Empathie zeigen, um Wunden zu heilen. Auf der Ebene einer politischen Auseinandersetzung zwischen gesellschaftlichen Gruppen und individuellen Menschen scheint mir der Rundumschlag des Artikels wenig zu bringen. Alles sind Täter, ewig, wer ist überhaupt noch Deutschland - die Zugereisten?, und dann die Opferumkehr, dass die Täter sich überfordert sehen in den an sie herangetragenen Ansprüchen, und das Leid all der anderen, und so viele sind psychisch getroffen und verletzt.

    Ich glaube nicht, dass das irgendwohin führt.