AfD Thüringen erwiesen rechtsextrem: „Das ist eine neue Qualität“

Erstmals wird ein AfD-Landesverband als erwiesen rechtsextrem eingestuft. Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer über die Gründe – und Fallstricke.

Björn Höcke bei einer Kundgebung im Abendlicht

Darf man als „Faschisten“ bezeichnen: AfD-Rechtsaußen Höcke im März 2020 in Erfurt Foto: Karina Hessland/imago

taz: Herr Kramer, der Verfassungsschutz in Thüringen hat den Landesverband der AfD als erwiesen rechtsextrem eingestuft und zum vollen Beobachtungsfall erklärt, als ersten Landesverband bundesweit. Warum?

Stephan Kramer: Wir haben die AfD Thüringen im März vergangenen Jahres zum Verdachtsfall erklärt und nun zwölf Monate gesammelt, ausgewertet und festgestellt, dass in der Gesamtbetrachtung hier eine Bestrebung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung vorliegt. Deshalb gehen wir jetzt von einem erwiesen rechtsextremistischen Beobachtungsobjekt aus.

Woran machen Sie das fest?

Wie schon im letzten Jahr an der Entwicklung der politischen Programmatik des Landesverbandes, an den von ihm öffentlich vertretenen Positionen und seiner personellen Entwicklung. Und auch an der Entwicklung der Bezüge von Funktionsträgern und Mitgliedern des Landesverbandes zu rechtsextremistischen Personenzusammenschlüssen und der Zusammenarbeit mit rechtsextremistischen Akteuren, sowie an der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus im Landesverband.

Jenseits der „Identitären Bewegung“, um welche Bezüge geht es noch?

Vertreter des Landesverbandes pflegen teils offene Verbindungen zu Beobachtungsobjekten der „Neuen Rechten“, so der IBD, aber auch PEGIDA und anderen. Auch wird für eine Zusammenarbeit mit teilweise extremistischen Protestbewegungen, zum Beispiel „Zukunft Heimat“, geworben, um politische Transformationsprozesse über die „Straße“ zu beschleunigen. Gemeinsames Ziel ist die Etablierung eines Widerstandsmilieus.

Welche Rolle spielt Landes- und Fraktionschef Björn Höcke und der bereits vom Bundesamt als gesichert rechtsextrem eingestufte und offiziell aufgelöste „Flügel“, dessen Anführer Höcke ja ist?

Richtig ist, dass Herr Höcke aufgrund seiner führenden Rolle beim „Flügel“ als Rechtsextremist eingestuft worden ist. Er ist nach wie vor die führende Person des AfD-Landesverbandes und zuletzt auf verschiedenen Landesparteitagen und Delegiertenkonferenzen als Landeschef und Spitzenkandidat wiedergewählt worden. Dabei hat sich große Zustimmung manifestiert.

Wir gehen davon aus, dass Mitglieder und Anhänger des formal aufgelösten „Flügels“ herausgehobene Funktionen im Landesverband inne haben und maßgeblichen Einfluss auf ihn ausüben. Bei den bundesweiten Auseinandersetzungen über die Ausrichtung der Partei stellt sich der Landesverband stets an die Seite derjenigen, die eine Fortsetzung der Programmatik des „Flügel“ innerhalb der Strukturen der Partei anstreben.

53, ist seit Ende 2015 Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes. Zuvor war er Generalsekretär des Zentralrats der Juden und Leiter des Berliner Büros des European Jewish Congress. Er kandidiert für die SPD bei der Bundesatgswahl im September.

Besteht der „Flügel“ weiter?

Gute Frage, aber nicht entscheidend. Mitglieder des „Flügels“ haben führende Funktionen innerhalb des Landesverbands, die Gedanken, die Programmatik, die Ideologie des „Flügels“ prägen den Thüringer Landesverband. Kritik an diesen Positionen und Personen kommt nicht mehr vor oder spielt keine substantielle Rolle mehr.

Was ändert sich durch die Hochstufung, außer dass im Verfassungsschutzbericht nicht mehr steht, der AfD-Landesverband sei ein Verdachtsfall?

Das bedeutet, dass es die Partei in Thüringen im Kern ausmacht, dass sie eine erwiesen rechtsextreme Bestrebung gegen die freiheitliche Grundordnung ist. Wir werden also unsere Beobachtung fortsetzen und dabei jetzt auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzen – immer den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berücksichtigend natürlich. Und wir werden mehr Informationen darüber sammeln, wohin die Reise der Partei geht und wie groß die Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist.

Das hat auch Konsequenzen für jene, die in der Partei mitmischen und gleichzeitig Angestellte des öffentlichen Dienstes sind. Beides geht nicht: Man kann nicht loyal zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung dem Staat dienen und gleichzeitig Mitglied einer Bestrebung sein, die genau dagegen verstößt.

Wie gefährlich ist die AfD für die Demokratie?

Mit der Einstufung zeigen wir ja, dass wir die AfD für gefährlich halten. Und wir stellen diese Information nicht nur der Politik und den Behörden, sondern auch der Öffentlichkeit zur Verfügung.

Warum haben Sie die Hochstufung jetzt vorgenommen, wenige Monate vor der Bundestags- und vermutlich auch der vor Landtagswahl in Thüringen, auch wenn dafür erst noch der Landtag aufgelöst werden muss? Sie greifen damit in den Wahlkampf ein. Ist das nicht eine problematische Konstellation?

Ja, das ist es. Deshalb waren die Informationen ja auch vertraulich, sie haben nun leider den Weg in die Öffentlichkeit gefunden. Klar war, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht proaktiv Öffentlichkeitsarbeit zu dem Themenschwerpunkt machen, sondern nur jetzt reagieren und die Gründe für unser Tun darstellen.

Wir sind uns darüber im klaren, dass es bei bevorstehenden Wahlen möglicherweise eine gesteigerte Neutralitätspflicht von Behörden gibt. Das ist einhellige Rechtsprechung, ein Zeitraum, der sich dabei herauskristallisiert hat, sind sechs Monate…

die Sie jetzt reißen.

Ja, und das bedeutet, dass wir in einen Willensbildungsprozess eingreifen. Wichtig ist dabei aber, dass es im vorliegenden Fall um die höchste Einstufung geht, um eine erwiesen rechtsextreme Bestrebung. Deshalb erscheint es uns gerechtfertigt, gerade mit Blick auf die Wahlen, deutlich zu machen, für wie gefährlich wir die AfD halten, so dass sich die Bürger ein Bild machen können, womit sie es hier zu tun haben.

Was aber nur funktioniert, wenn es öffentlich wird…

Zweiter Punkt ist, dass der Termin für die Landtagswahl formaljuristisch noch nicht fest steht. Dazu ist die Auflösung des Landtags im Juli notwendig und noch ist offen, ob es die notwendige Mehrheit dafür überhaupt geben wird.

Letzter Punkt: Die Gerichte haben auch gesagt, dass eine Behörde wie der Verfassungsschutz, der ja ein Frühwarnsystem ist, auch trotz Wahlen die Hände nicht in den Schoß legen kann. Wir müssen unseren gesetzlichen Auftrag wahrnehmen.

Der „Flügel“ ist schon vom Bundesamt bereits als erwiesen rechtsextrem eingestuft, Herr Höcke auch. Bringt Ihre Einstufung zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt viel? Oder muss man nicht eher davon ausgehen, dass die AfD klagt und Sie ihr wegen der zeitlichen Nähe zu den Wahlen ein Argument in die Hände spielen? Das Bundesamt musste diese Erfahrung bereits machen.

Ich habe die Argumente ja aufgelistet, die haben wir abgewogen. Aber es gibt eben auch keine gesetzliche Vorschrift, die uns von unserer Aufgabe vor Wahlen entbindet. Und auch die Arbeit des Bundesamtes entbindet die Landesämter nicht von ihrem Beobachtungsauftrag mit Blick auf die landesspezifische Situation.

Außerdem ist unsere Einstufung eine neue Qualität für die Beobachtung der Landespartei, denn die Einstufung des „Flügels“ hat sich nur auf eine Parteigliederung bezogen. Jetzt ist erstmals ein ganzer Landesverband als erwiesen rechtsextrem eingestuft.

Die AfD wirft Ihnen persönlich vor, den Verfassungsschutz zu missbrauchen, weil Sie selbst für die SPD für den Bundestags kandidieren und mit der Einstufung einem Mitbewerber schaden. Was entgegen Sie?

Die AfD beleidigt und diffamiert, das sehe ich sportlich. Jeder Beamter, auch der Chef des Verfassungsschutzes hat das Recht, sich politisch zu engagieren und für Mandate zu kandidieren.

Wenn nun behauptet wird, dass meine Motivation zur Einstufung der AfD quasi darin begründet ist, dass ich selbst kandidiere, dann ist das schlicht falsch: Bei der Einstufung geht es ja nicht um Kramers Wünschdirwas-Konzert, sondern um das Ergebnis eines Sammlungs- und Bewertungsprozesses der ganzen Behörde, die von zahlreichen Kontrollinstanzen begleitet ist. Aber natürlich steht es der AfD frei, diese Einstufung einer juristischen Nachprüfung zu unterziehen. Dem sehe ich gelassen entgegen.

Aktualisierung: Der Thüringer Verfassungsschutzchef Stephan Kramer hat am Freitag mitgeteilt, dass er seine Bundestagskandidatur für die SPD zurückzieht. „Angesichts der aktuellen Gefahren und Bedrohungslage habe ich mich für meine Aufgaben als Behördenleiter des Verfassungsschutzes im Land Thüringen entschieden und will mich auf diese mit voller Aufmerksamkeit konzentrieren“, teilte er in einer Erklärung mit. „Ich nehme die Entscheidung mit großem Respekt auf und bedauere sie dennoch“, sagte dazu SPD-Landeschef Georg Maier, der auch Innenminister und damit Kramers Vorgesetzter ist. „Stephan Kramer hat sich entschieden, seinen beruflichen Aufgaben den Vorrang zu geben und keinerlei Zweifel an seiner neutralen Amtsführung zuzulassen.“ Die „haltlosen Unterstellungen“ in Bezug auf Kramers Integrität weise er auf das Schärfste zurück.

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