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„Ich bin ein Beobachter, der Material sammelt“

Fuad Musa treibt sich immer wieder auf den Demonstrationen von Verschwörungstheoretikern und Coronaleugnern herum. Und er macht das aus Überzeugung: Schließlich kann er nur so diese Demos live – und kritisch kommentiert – im Internet zeigen. Und die Szene damit der Anonymität entreißen

Interview Tilman Baumgärtel Fotos Sophie Kirchner

taz: Herr Musa, Sie gehen auf Demonstrationen von Verschwörungstheoretikern und übertragen diese live als Stream im Netz. Dabei kommentieren Sie auf sehr sarkastische und kritische Weise. Woher kommt dieses Engagement?

Fuad Musa: Als ich im Frühjahr 2020 von diesen Hygienedemos gegen die Coronamaßnahmen gehört habe, bin ich neugierig geworden und dachte: Wer sind die denn? Der Organisator Anselm Lenz war mir kein Begriff, aber der hat Hinz und Kunz auf den Plan gerufen. Dem war es egal, wer da kam. Ich habe diese Hygienedemos erst mal inkognito beobachtet. Kapuze auf, Brille auf. Plötzlich habe ich die Hooligans gesehen. Vom BFC Dynamo, vom Chemnitzer FC und von Dynamo Dresden waren welche da, mit Quarzhandschuhen. Die Veranstalter von der Demo haben gesagt: „Wir sehen hier keine Rechten.“ Ich habe sie gesehen. Und ich dachte: Ey, das kann es doch nicht sein. Was geht denn hier ab? Da kann ich nicht still ein. Ich kann verstehen, dass viele Antifaschisten Angst hatten, dieses Geschehen von Nahem zu beobachten, weil sie erkannt und körperlich attackiert werden. Die Leute von der Hygienedemo konnten mich damals noch nicht einschätzen. Sie dachten, der sieht nicht aus wie ein typischer Antifaschist. Der ist relativ still, beobachtet das Geschehen und filmt ein bisschen. Das war mein Vorteil, aber das hat sich jetzt geändert.

Es hat sich unter anderem deswegen geändert, weil Sie nun regelmäßig von Coronaleugner-Veranstaltungen und anderen Demonstrationen live streamen. Warum machen Sie das?

Mein Ziel ist die Entanonymisierung dieser Leute. Ich nutze alle Recherchewege, um Informationen über die Teilnehmer herauszufinden. Was hat der für eine Vergangenheit? Warum nimmt der daran teil? War er schon immer so? Und den größten Teil der Teilnehmer kenne ich aus der Vergangenheit, von diesen „Friedensmahnwachen“, die es 2014 während der Ukrainekrise gab. Das sind immer die gleichen Leute. Aber nun hat das eine ganz andere Form angenommen, weil Michael Ballweg ins Spiel gekommen ist, der das gebündelt und so dieses Monster geschaffen hat aus Pegida in Ostdeutschland und Querdenken in Westdeutschland. Und deswegen müssen wir gegenhalten.

Dieses Entanonymisieren ist eine gut eingeführte Taktik der Linken und der Antifa. Man beobachtet Rechte, ihre Treffpunkte, ihre Demonstrationen und teilt das mit der Öffentlichkeit. Was ist die neue Qualität, wenn man das wie Sie im Livestream macht?

Man kann dann nichts mehr vertuschen. Du siehst: Das passiert gerade live. Das ist nicht aufgenommen und nicht geschnitten. So schlagen wir sie mit ihren eigenen Waffen. Ich zeige denen eins zu eins die Scheiße, die sie machen.

Dabei hilft Ihnen die technische Entwicklung …

Ja, bei den neuen Handys ist das Mikrofon besser. Die Kamera ist besser. Das Datenvolumen ist mittlerweile günstiger. Nicht billig, aber günstiger. Datenvolumen kostet in Deutschland immer noch viel Geld. Gerade Youtube oder Instagram sind Volumenfresser. Aber man hat so in einem kleinen kompakten Gerät einfach eine Menge Sachen, die funktionieren. Bei meinen Übertragungen ist der Zuschauer live dabei, bei einem Ereignis. Deswegen interessiert es die Leute. Das ist die neue Form des Protestes. Das haben die rechten Influencer relativ früh erkannt, und so verbreiten sie ihre Falschinformationen per Video und per Stream an Hunderttausende von Zuschauern im Netz. Die Mitte-links-Gesellschaft ist in dieser Welt sehr, sehr schwach. Wir sind noch nicht vernetzt genug. Wir sind noch zu viele Egoisten. Aber wir dürfen denen nicht das Feld überlassen. Wir müssen uns auch digital die Lufthoheit zurückerobern. Sonst ist das Resultat, das wir sehen, Massenaufläufe zu Pandemiezeiten wie bei den Querdenkern.

Bitte beschreiben Sie ganz praktisch, wie Sie bei so einer Demonstration vorgehen. Sind Sie alleine, oder gehen Sie mit einem Team los? Gibt es jemanden, der Sie schützt, wenn es gefährlich wird?

An so einer Übertragung sind nicht viele Leute beteiligt. Meistens gehe ich alleine. Ab und zu kommen Leute mit, die ich kenne. Darauf bin ich stolz. Ich habe es geschafft, Menschen zu animieren, mutig zu sein und denen den Spiegel vorzuhalten, damit die Leute sehen: Ihr braucht keine Angst haben vor dieser aggressiven Bande. Deren Überlebenskunst ist es, uns einzuschüchtern. Den Schlüssel nehme ich ihnen weg. Du kannst mir drohen, du kannst mich beschimpfen. Du willst mir auf die Fresse hauen? Du hast einen Versuch. Wenn ich schneller bin, hast du ein Problem.

Also senden Sie ganz alleine?

Ich habe ein sehr gutes Social-Media- Team, das wirklich bravouröse Leistung bringt. Die sitzen zu Hause und überwachen den Stream und moderieren den Chat. Wenn ich in die Situation komme, dass die Polizei mich wieder anhält und sagt, ich hätte irgendwas getan, sage ich sofort: „Leute, bitte das Video speichern.“ Ich habe nur ein mobiles Gerät. Ich kann das nicht sichern, anders als jemand, der am Rechner sitzt.

Oft werden Sie auch von Demonstrationsteilnehmern provoziert und beleidigt.

Genau, die wollen, dass ich ausraste und mich wehre, damit sie mich anzeigen können. Aber den Gefallen tue ich ihnen nicht. Durch meine Aufnahmen habe ich aber gleich Material für eine Anzeige wegen Beleidigung gegen sie.

Fuad Musa

Der Mensch Fuad Musa wurde 1977 in Westberlin geboren und sieht sich selbst als „Berliner Original mit Berliner Schnauze“.

Der Aktivist Neben seinem Hauptberuf als IT-Fachmann verbringt der 44-Jährige seine Freizeit damit, Demonstrationen von Rechtsextremen und Coronaleugnern zu begleiten und live über seinen Twitch-Kanal WestBerlinerJunX zu streamen und Zusammenschnitte bei Youtube (www.youtube.com/user/daswahre100) zu veröffentlichen, inklusive seiner sarkastischen und entlarvenden Kommentare.

Die Initiative Mit seiner Initiative „Westberliner Junx“ betreibt er außerdem eine Website, auf der Drahtzieher aus der Welt der Rechtsextremen und Verschwörungsschwurbler auf der Basis seiner Videoaufnahmen demaskiert werden.

Was war eine besonderes brenzlige Situation für Sie?

Ich war bei diesem Treffen von Attila Hildmann und Oliver Pocher vor dem Reichstag dabei. Irgendwann hat die Polizei Oliver Pocher zur Seite genommen, und so konnte ich Attila Hildmann direkt konfrontieren. Der wusste nicht, wer ich bin, aber ich habe ihn gefilmt und er konnte nicht flüchten. Das war eine Situation, die für mich sehr gefährlich war. Da standen die ganzen Rechten drum herum und ich in der Mitte. Der Kreis wurde immer enger, hinter meinem Rücken waren zwei sportliche Typen mit Quarzhandschuhen. Es ist aber zum Glück nichts passiert.

Was gab es denn mit Attila Hildmann zu besprechen?

Ich habe ihm gesagt: „Sag mal, weißt du eigentlich, wer hier deine Zuhörer sind? Junge, das sind Rassisten, das sind Skinheads, das sind Hooligans. Was hast du nicht verstanden? Das sind Leute, die mögen deine und meine Hautfarbe nicht.“ Er konnte mir nicht in die Augen schauen. Er wurde nervös. Ich habe ihn komplett auf dem falschen Fuß erwischt. Er war es gewohnt, dass er seinen Protest macht und die Leute ihm zuhören, wenn er erzählt, dass er so ein toller Patriot und Arier ist. Wenn ich so etwas höre, denke ich mir: Junge, guck mal in den Spiegel. Wenn die die Macht hätten, wärst du einer der Ersten, der nicht deren Idealen entspricht. Du hast nicht verstanden, was ein Nationalsozialist ist. Und das ist das Problem: Diese Leute verstehen nicht, welchen Ideologen sie in die Karten spielen, auch ein Attila Hildmann nicht.

Sie verwickeln oft Demonstrationsteilnehmer in Diskussionen, nicht nur Attila Hildmann. Verbreitet man damit nicht auch deren Ideologie?

Ich will ja wissen, was für Leute auf diese Demos gehen. Darum stelle ich sie. Ich beobachte das Geschehen erst mal. Ich bin ständig in Bewegung. Ich bleibe nicht stehen. Und dann komme ich langsam rein. Und irgendwann weiß ich: Jetzt kannst du sie konfrontieren. Ich habe mir bei diesen Leuten einen gewissen Status erarbeitet. Die wissen, dass sie mich nicht verjagen können und dass sie mich besser nicht ärgern sollten. Die gehen Berichterstatter ja richtig aggro an. Natürlich kommen sie auch bei mir mit Sprüchen. Aber sie vermeiden es tunlichst, mit mir eine körperliche Konfrontation zu suchen. Wenn man jemanden gestellt hat, muss man schnell auf den Punkt kommen. Meistens reichen ein, zwei Fragen. Dann weiß ich, ob jemand nur zuschaut oder ob er ein Demonstrant ist. Und ich weiß, ob er den Verschwörungsquatsch wirklich glaubt oder ob er einfach nur dumm ist. Die Überzeugungstäter befrage ich dann so lange, bis sie sich um Kopf und Kragen reden.

Und das lassen die sich gefallen?

Die haben mich auf dem Schirm. Ich habe Drohungen gehabt. Ich bin deswegen dreimal umgezogen. Ich bin auch am Hauptbahnhof von sieben, acht Leuten angegriffen worden. Die Täter sind nie gefasst worden. Dadurch bin ich vorsichtiger geworden.

Die Veranstalter der Coronademonstrationen bezeichnen sich ja selbst als politisch neutral. Sie würden nur gegen die Coronamaßnahmen protestieren. Sie bezeichnen Sie in ihren Streams immer wieder als Nazis und Antisemiten. Können Sie das erklären?

Diese Leute behaupten, dass wir in Deutschland in einer Diktatur leben. Das ist Unsinn. Wir leben in einem der wohlhabendsten Länder der Welt mit einem hohen sozialen Standard und gesicherten Grundrechten. Wenn ich in Deutschland krank werde, kann ich zum Arzt gehen. Wenn mir Unrecht geschieht, kann ich vor Gericht gehen, und wenn ich mir keinen Anwalt leisten kann, wird mir einer gestellt. Ich habe – im Gegensatz zu meinen Eltern – noch nie einen Krieg erlebt. Ich sage nicht, dass in Deutschland alles perfekt ist, auf keinen Fall. Aber wir werden nicht von unserer Regierung unterdrückt, wie diese Leute es behaupten. Querdenker sind Verfassungsfeinde. Die wollen das Grundgesetz abschaffen und ihr eigenes Gesetz etablieren. Das sagen die ganz offen. Ich weiß nicht, ob der Ballweg wirklich ein Rassist oder ein Nazi-Sympathisant ist. Aber er lässt sich mit der Reichsbürgerszene ein, die sehr gefährlich ist. Und er kassiert natürlich ordentlich ab.

Die Coronaleugner halten sich aber selbst für Antifaschisten und vergleichen sich ununterbrochen mit den Juden im Dritten Reich, mit Sophie Scholl und Dietrich Bonhoeffer …

Wir sind noch nicht vernetzt genug. Wir sind noch zu viele Egoisten

Ja, das ist ungeheuerlich. Das ist eine Relativierung des Nationalsozialismus und des Holocaust. Das waren Menschheitsverbrechen, die Millionen von Menschen das Leben gekostet haben. Die Coronamaßnahmen sollen sicherstellen, dass nicht so viele Leute diese gefährliche Krankheit bekommen. Das ist etwas vollkommen anderes. Wer das vergleicht, ist für mich ein Nazi. Wenn ich solche Vergleiche höre, ist das Gespräch beendet. Und wenn jemand seine Maske nicht trägt und keinen Abstand hält, ist das für mich Körperverletzung.

Würden Sie sich selbst als Antifa bezeichnen?

Ich bin nicht der typische Antifa. Ich bin gegen Faschismus und Rassismus, aber politisch bin ich irgendwo Mitte-links angesiedelt.

Aber sie filmen auch bei Antifa-Demos …

Ich filme keine antifaschistische Szene. Ich schütze sie, weil die noch mal in anderer Form gefährdet sind. Durch meine Livestreams bei ihren Demos sehen sie: Was macht der Gegner gerade? Bei einer Blockade, bei der die Polizei sagt, „ihr kommt da nicht rein“, komme ich rein. Ich kann denen behilflich sein. Sie können an meinen Bildern sehen, wie sie sich taktisch bewegen müssen.

Ist das, was Sie machen, Journalismus?

Ich bin kein Journalist. Ich bin ein Beobachter, der Material sammelt. Mit dem können dann ich und andere arbeiten. Ich berichte, ich analysiere aus einer antirassistischen, antifaschistischen Sichtweise. Und dabei benutze ich dieselben Waffen wie meine Gegner. Ich sage: Nicht nur die können diese Tonart. Ich kann diese Tonart auch. Wir müssen denen den Spiegel vorhalten, um sie zu besiegen. Lerne von deinem Feind, um deinem Feind irgendwie den Garaus zu machen.

Was motiviert Sie bei Ihrer Arbeit?

Eben gerade weil ich in der Vergangenheit selbst schon kurzzeitig auf Demagogen hereingefallen bin, hat das in mir den besonderen Ansporn geweckt, diese Dinge und Themen besonders zu hinterfragen. Ich will, dass andere sensibler dafür sind, wie gefährlich solche Verschwörungstheorien sind. Demagogie kann tödlich sein, siehe Hanau.

Deren Überlebenskunst ist es, uns einzuschüchtern. Den Schlüssel nehme ich ihnen weg

Ist das, was Sie machen, für die Zuschauer nicht auch arg bequem? Fuad Musa geht auf die Demos und engagiert sich, und wir können uns das zu Hause auf dem Sofa ansehen?

Während einer Pandemie soll man eben Kontakte vermeiden. Ich gehe sozusagen als Stellvertreter für die rücksichtsvolle und vernünftige Gesellschaft hin. Aber unter anderen Umständen ist es natürlich sehr wichtig, dass viele Leute zu solchen Demonstrationen kommen, um zu zeigen, dass die Mehrheit gegen die Rechten ist. Aber man kann mich auch vom Sofa aus unterstützten. Ich habe die Organisation „Westberliner Junx“ gegründet, ein antirassistisches Projekt. Man kann für uns recherchieren und an unserer Website mitarbeiten, wo wir Informationen über Querdenker und Nazis sammeln. Wir brauchen sogar Leute, die Fotos bearbeiten!

Wer sind die Westberliner Junx?

Ich bin der Impulsgeber. Aber viele Sachen sind Teamarbeit. Frauen können natürlich auch mitmachen. Das X steht für die X-Chromosomen… (lacht) Westberliner Junx soll ein Gefühl sein, es soll dir etwas mitgeben. Und wir wollen natürlich die Infrastruktur der Rechten im Netz kaputtmachen: Wir wollen deren Youtube-Kanäle schließen. Ich möchte nicht mehr, dass Rechte streamen. Und da muss es Mittel und Wege geben, und uns ist jedes Mittel recht – nicht mit Gewalt, sondern taktisch. Wir schauen uns die Szene an. Wir analysieren sie. Wir benutzen die Seite Hassmelden.de, um offiziell Anzeigen zu stellen. Das ist ganz, ganz wichtig. Jetzt beobachtet der Verfassungsschutz Querdenken. Daran waren wir nicht unbeteiligt. Wir haben Vorarbeit geleistet. Und jetzt sind sie auf dem Schirm. Das war das Ziel.

Warum heißt die Gruppe denn „Westberliner Jungs“? Westberlin gibt es jetzt doch seit dreißig Jahren nicht mehr …

Aber ich bin nun mal ein typisches Westberliner Kind … Das Feeling eines Migranten war damals folgendes: Du bist irgendwo groß geworden. Da ging es nicht darum, ob jemand türkische, kurdische, arabische oder deutsche Wurzeln hatte. Das hat uns gar nicht gejuckt. Nein, wir haben uns gesagt: „Der kommt aus meiner Straße, und die Straße hält zusammen.“ Man hat die Faschos gesehen in der S-Bahn, man ist damit groß geworden, und auch, wenn man sich nicht kannte, war man sich ohne Absprache einig, dass es jetzt von allen Seiten auf die Fresse gibt. Ich propagiere keine Gewalt! Aber dass uns heute diese ganzen Verschwörungsideologen und Faschos auf der Nase herumtanzen und immer mutiger werden, weil der Staat so lange geschlafen hat, das ist scheiße. Da ist etwas verlorengegangen.

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