Corona-Impfstoffe: Ökonomie des Impfens

Biontech bietet nicht den besten Impfstoff, denn er ist zu teuer und zu umständlich. Aber am Ende werden die Krebspatienten von ihm profitieren.

ie Corona-Impfstoffe von Herstellern wie Biontech/Pfizer müssen bei etwa -70 Grad Celsius aufbewahrt werden.

Mag es kalt: der Biontech/Pfizer-Impfstoff muss bei -70 Grad gelagert werden Foto: Eugene Hoshiko/ap

Corona ist nicht nur eine Infektion, sondern längst auch ein Fall für Investoren und Aktienmärkte. Die Geldgeber von Biontech haben sich bereits geäußert: Die Zwillinge Thomas und Andreas Strüngmann wollen ihre Anteile auf gar keinen Fall verkaufen. Die beiden Investoren halten rund 50 Prozent an der Firma, die sie zu einem „voll integrierten Pharmakonzern“ ausbauen möchten. Nicht nur Vakzine will man künftig produzieren, sondern auch Mittel gegen Krebs oder gegen Autoimmunkrankheiten wie Multiple Sklerose. Die Pharmaindustrie steht vor einer Revolution.

Es soll nicht zynisch klingen, aber die Coronapandemie ist für die Biotech-Branche eine gigantische Chance. Im Großmaßstab lässt sich jetzt testen, wie leistungsfähig das neue mRNA-Verfahren ist: Menschen werden Bauanleitungen für Proteine gespritzt, die dann von den eigenen Körperzellen hergestellt werden, um die Immunabwehr zu aktivieren oder neu zu codieren. Das funktioniert bei Viren, aber auch bei Krebszellen.

Ohne Corona hätte man noch jahrelang mit eingeschränkten Mitteln und einer übersichtlichen Zahl an Probanden klinische Studien durchgeführt. Corona beschleunigt diese Forschung sozusagen auf „Lichtgeschwindigkeit“, wie die Biontech-Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci ihr Impfprojekt genannt haben. Biontech dürfte in diesem Jahr etwa eine Milliarde Menschen zwei Mal impfen, sodass hinterher ein riesiger Datensatz zur Verfügung steht, wie das mRNA-Verfahren konkret wirkt.

Dank Corona erlebt die mRNA-Technologie jetzt einen „massiven Durchbruch, der sich sonst vielleicht noch einige Jahre verzögert hätte“, sagt der Molekularbiologe Emanuel Wyler vom Max-Delbrück-Centrum. Für Krebspatienten oder Menschen mit Multiple Sklerose ist das eine gute Nachricht.

Allerdings gibt es auch eine Paradoxie: Auf lange Sicht ist nämlich keineswegs gesichert, dass der Biontech-Impfstoff die effizienteste Art ist, um Corona zu begegnen. Biontech ist jetzt am Start, weil die mRNA-Technologie schlicht am schnellsten war. Es dauerte nur etwa ein Wochenende, um die Bauanleitungen für die Botenstoffe zu programmieren – und schon konnte Biontech in die Produktion einsteigen und die klinischen Studien beginnen.

Corona ist eine gigantische Chance für die Biotech-Branche. Jetzt lässt sich testen, wie leistungsfähig das neue mRNA-Verfahren ist

Der Biontech-Impfstoff wirkt zu 95 Prozent, wenn er zwei Mal gespritzt wird. Das ist grandios. Trotzdem hat der Impfstoff auch zwei allseits diskutierte Nachteile: Er kostet bis zu 17 Euro pro Dosis und ist damit sehr teuer. Außerdem muss das Vakzin bei minus 70 Grad gekühlt werden. Biontech hat zwar angekündigt, dass bis zum Sommer eine neue Variante entwickelt wird, die mit weniger Kälte auskommt.

Trotzdem ist klar: Für den globalen Süden ist Biontech völlig ungeeignet, schon weil meist die Kühlketten fehlen. Mittelfristig benötigt die Welt einen anderen Impfstoff – und er wird kommen. Momentan werden von rund 170 Forschergruppen mindestens sieben verschiedene Ansätze verfolgt, wie man gegen Corona immunisieren könnte.

Dazu gehört auch die traditionelle Technik, Impfstoffe zu gewinnen, indem man totes Virusmaterial verwendet. So nutzt AstraZeneca abgewandelte Erkältungsviren von Schimpansen – was zwei Euro pro Dosis kostet und im normalen Kühlschrank gelagert werden kann. Indien setzt daher auf diese Methode, obwohl sie wahrscheinlich noch optimiert werden muss. Bisher wirkt AstraZeneca nicht ganz so verlässlich wie das Produkt von Biontech.

Jedenfalls könnte sich im Rückblick erweisen, dass Biontech ein teurer Umweg war, um Corona zu bekämpfen. Dennoch ist es richtig, jetzt so viel wie möglich von diesem Impfstoff zu bestellen. Jedes Menschenleben ist kostbar, und momentan steht eben vor allem Biontech zur Verfügung. Zudem befeuern diese Milliarden eine Forschung, von denen noch viele Krebspatienten oder Menschen mit Autoimmunkrankheiten profitieren werden. Genau darauf setzen Investoren wie die Brüder Strüngmann.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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