: Ein Troll heischt nach Aufmerksamkeit
Im ersten TV-Duell konfrontieren sich US-Präsident Donald Trump und sein Herausforderer Joe Biden. Bei der aggressiven Diskussion ist für Inhalte kaum Platz
Von Bernd Pickert
CNN-Anchorman Wulf Blitzer war schockiert. „Das war die chaotischste Präsidentschaftsdebatte, die ich je gesehen habe,“ sagte er kurz nach dem Ende des ersten TV-Duells zwischen US-Präsident Donald Trump und seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden. Und er fügte hinzu, er „wäre nicht überrascht, wenn es die letzte Debatte“ zwischen diesen beiden Kandidaten gewesen wäre.
Dabei sind die TV-Debatten der Kandidaten (Hillary Clinton war bislang die einzige Kandidatin), seit 1960 eine feste Instanz im US-Wahlkampf, selten ein Ort echter Diskussion politischer Inhalte. Wer als Gewinner ausgemacht wird, hat nicht unbedingt die besseren Argumente, sondern hat, wie damals John F. Kennedy gegen Richard Nixon, im Wortsinne die bessere Figur gemacht. Und doch war diese anders.
Die Ausgangslage war klar: Biden führt seit Monaten konstant in den Umfragen. Und das sogar in den umkämpften sogenannten Swing States, „Schwingstaaten“ in denen normalerweise auf der Kippe steht, welche der beiden Parteien gewinnt. Biden war es, der in der Debatte durch grobe Fehler etwas zu verlieren hatte.
Trump setzte alles daran, Biden aus dem Konzept zu bringen, ihn so sehr zu nerven, dass aus dem demokratischen Präsidentschaftsanwärter jener stotternde, sich verhaspelnde und verunsicherte alte Mann würde, als den die Republikaner*innen ihn stets charakterisieren. Aber das hat nicht funktioniert. Biden blieb erstaunlich ruhig, auch wenn ihm Trump beständig ins Wort fiel. Und als Biden dann sagte, Trump möge doch einfach mal den Mund halten, sprach er vermutlich sogar vielen Zuschauer*innen aus der Seele, die von Trumps ständigem Dazwischenreden zu diesem Zeitpunkt schon reichlich genervt waren.
Die Debatte war kein „Game Changer“, kein Ereignis, das die Dynamik des Wahlkampfes und der politischen Auseinandersetzung in den USA grundlegend verändern dürfte. Nur 10 Prozent derjenigen, die angeben, wahrscheinlich zur Wahl zu gehen, bezeichnen sich derzeit noch als unentschieden. Um die müsste es bei solch einer Debatte eigentlich gehen, die Kandidaten müssten sie von sich und ihren Positionen zu überzeugen versuchen.
Aber wer sich angesichts der seit Langem bekannten Persönlichkeiten Biden und Trump bislang noch nicht hat entscheiden können, hätte womöglich inhaltliche Unterschiede, Lösungsansätze und Positionen erfahren wollen. Fehlanzeige. Zwar war die Debatte von Moderator Chris Wallace (Fox News) in Vereinbarung mit beiden Wahlkampfteams in sechs inhaltliche Segmente aufgeteilt worden. Aber insbesondere der Präsident hatte zu keinem Punkt etwas anderes zu bieten als heftige persönliche Angriffe auf den Herausforderer und die maßlos übertreibende Verteidigung und Lobpreisung seiner eigenen Amtsführung. Einen Plan für die kommenden vier Jahre stellte er in keinem einzigen Punkt vor – und wenn Biden zu Derartigem ansetzte, unterbrach Trump immer wieder.
Die Debatte, in deren Verlauf Moderator Wallace immer verzweifelter versuchte, Trump an die vereinbarten Regeln zu erinnern und ihn dazu zu bringen, Biden ausreden zu lassen, war wie ein auf eine Bühne gekippter Twitter-Thread. Trumps Rolle war dabei die des Trolls, der beständig um Aufmerksamkeit heischt und um Fütterung bittet, mit einem gehörigen Schuss Whataboutism, also dem Versuch, ständig vom angesprochenen Thema auf andere zu lenken. Rassismus? Was ist mit den Ausschreitungen auf der Straße? Seine Steuer? Bidens Sohn hat Millionen in der Ukraine verdient. Biden versuchte, das so weit wie möglich zu ignorieren, schaffte es aber nicht. Eine Debatte kann so nicht zustande kommen.
Trump führte alles vor, was seine Gegner*innen an ihm besonders verabscheuungswürdig finden: schikanierendes Verhalten, Verachtung der Spielregeln, Selbstbeweihräucherung, glatte Lügen. Oder, übersetzt in das Vokabular seiner Anhänger*innen: Stärke und Authentizität, Verachtung des traditionellen Politbetriebs, Selbstbewusstsein und den Mut, als Einziger die Wahrheit zu sagen.
Und so hat Trump geschafft, was ihm schon 2016 zunächst die unerwartete republikanische Nominierung eintrug und schließlich zur Präsidentschaft verhalf: Alle reden über ihn. Er ist es, der Anhänger*innen und Gegner*innen an die Wahlurnen mobilisiert. Trump versteht das Aufmerksamkeitsgeschäft wie kein Zweiter. Es ist wie beim Profiboxen: Der unflätige Champion, der seine Gegner beleidigt, füllt die Hallen – die einen lieben ihn, die anderen wollen ihn endlich k. o. sehen, aber alle kommen und zahlen.
Von Joe Bidens Alternativvorschlägen bleibt nach dieser einer Demokratie unwürdigen Debatte wenig hängen, außer vielleicht der Ankündigung, die USA ins Pariser Klimaabkommen zurückzuführen und Trumps Steuergeschenke an die Reichen rückgängig zu machen.
Allenfalls die Linke dürfte enttäuscht sein, weil sich Biden vom Green New Deal genauso distanzierte wie von Bernie Sanders’ Vorschlägen zur Gesundheitsreform oder den Forderungen nach einer Mittelumschichtung von der Polizei zu Sozialeinrichtungen, wie sie aus der Black-Lives-Matter-Bewegung kommen.
Aber diese Debatte war nicht nur anders, weil sie so chaotisch ablief und Trump dem Moderator kaum eine Chance ließ, die Regeln durchzusetzen. Präsident Trump zweifelte nun auch in der auf allen Kanälen übertragenen TV-Debatte die Legitimität der Wahl an. Er ruft seine Anhänger dazu auf, die Vorgänge in den Wahllokalen „zu überwachen“ – was von den meisten als Aufruf zur Einschüchterung demokratischer Wähler*innen verstanden wird. Und er distanziert sich von den militant-rechtsextremistischen „Proud Boys“ nicht, sondern ruft sie vielmehr auf, sich bereitzuhalten.
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