5 Jahre Dieselskandal: Danke, Herr Winterkorn!

Der VW-Skandal um manipulierte Dieselmotoren wirkt wie ein Katalysator: Er beschleunigt die Abkehr vom Auto.

Ein Mann bückt sich zum Auspuff eines Autos hinunter

Was kommt wirklich aus dem Auspuff? Illustration: Katja Gendikowa

Die Jüngeren werden es kaum glauben: Es ist noch gar nicht so lange her, da kauften gerade umweltbewusste AutofahrerInnen ein Dieselfahrzeug. Denn die Motoren produzieren weniger CO2 als die mit Benzin angetriebenen, hieß es. Das stimmte zwar so nicht. Trotzdem: Der Diesel wurde als deutsche Antwort auf die Klimakrise verkauft. Das funktio­niert nicht mehr – dank des Dieselskandals von Volkswagen und anderen Autobauer.

Der Betrug hat vielen VerbraucherInnen und der Umwelt geschadet. Aber er hat auch einen immensen Kollateralnutzen. Durch den Skandal ist die Illusion geplatzt, Verbrenner-Autos könnten in irgendeiner Weise umweltfreundlich sein. Mit ihren Machenschaften haben AutomanagerInnen wie Ex-VW-Chef Martin Winterkorn oder der frühere Audi-Mann Rupert Stadler die Verkehrswende ein gutes Stück vorangebracht – obwohl ihnen sicher nichts ferner lag als das. Der Dieselskandal wirkt als Katalysator, als Beschleuniger: Er schiebt die Abkehr vom Auto an.

Vor fünf Jahren, am 18. September 2015, haben US-amerikanische Behörden öffentlich gemacht, dass der Autobauer Volkswagen bei Fahrzeugen mit Dieselmotor systematisch Abgaswerte manipuliert hat. Die wirklichen Werte waren weitaus schlechter als die, die bei staatlichen Kontrollen auf dem Prüfstand gezeigt wurden. Gleichzeitig hatte VW in den USA seine Dieselfahrzeuge als besonders sauber beworben. Innerhalb weniger Wochen wurde offenbar, dass die Branche sich skrupellos über Gesetze hinweggesetzt hatte.

Auch wenn Begriffe wie „Schummelsoftware“ und „Tricksereien“ die kriminelle Täuschung im öffentlichen Diskurs verniedlichen sollten: Diese Verschleierungstaktik ist nicht aufgegangen. Den allermeisten Menschen ist klar, dass Autokonzerne massenhaft betrogen haben. Allein VW hat weltweit 11 Millionen Fahrzeuge mit Abschaltvorrichtungen ausgestattet. Die von Dieselmotoren ausgestoßenen Stickoxide sind gefährlich, Menschen sterben durch Luftverschmutzung. Eine Folge des Skandals in Deutschland: Die Luftqualität in Städten wurde zu einem Megathema – mit der Konsequenz, dass Fahrverbote für Dieselautos ausgesprochen wurden. Auch wenn es dabei bislang nur um sehr wenige Straßen geht: Diese Verbote sind für die Autolobby ein Menetekel. Sie stehen für die nachlassende Bereitschaft der Gesellschaft, durch Autos verursachte Schäden klaglos hinzunehmen.

Das Auto war stets Maß aller Dinge

Das Auto gilt in Deutschland als sakrosankt – noch. Jetzt verliert es allmählich diesen Nimbus. In der Geschichte der Bundesrepublik war das Auto stets das Maß aller Dinge: Städte wurden über Jahrzehnte „autogerecht“ gebaut, Straßen und Plätze nicht nach den Bedürfnissen aller ausgerichtet, sondern nach denen der AutofahrerInnen. Mit absurden Folgen: Supermärkte und Einkaufszentren entstanden draußen auf der grünen Wiese. Dass sie nur mit dem Auto erreichbar sind, galt als Vorteil, nicht als Nachteil. Pkws beherrschen die deutschen Innenstädte, ob fahrend oder stehend. Garagen sind größer als etliche Kinderzimmer. Und jedes Jahr sterben Tausende durch Verkehrsunfälle, weit mehr als Hunderttausende werden verletzt.

Seit der ­Manipulationsaffäre hängt der Autobranche etwa Anrüchiges an – ähnlich wie der Tabakindustrie

Trotz dieser Gefahr steht der eigene Wagen für Wohlstand und Erfolg. Noch immer ist bei ­vielen Menschen das Fahrzeug das Teuerste, was sie besitzen und wofür sie sich hoch ver­schulden. Dabei verlieren wenige Produkte so schnell an Wert wie ein Auto. Eine Kapitalanlage war ein Pkw nie, aber eine Investition ins Prestige. Das kippt gerade.

Ja, es gibt sie immer noch, die – vorwiegend männlichen – Autofahrenden, die sich über hohe PS-Werte und laute Motorgeräusche freuen. Aber: Sie sind auf dem Rückzug. Autofahren könnte das neue Rauchen werden – nicht verboten, doch selbst bei denen verpönt, freiwillig eingeschränkt und mitunter mit schlechtem Gewissen praktiziert, die es selbst betreiben.

AutokritikerInnen sind, gerade durch die Dieselaffäre, in die Offensive gekommen. In Parlamenten, bei Diskussionsveranstaltungen und Demonstrationen, in Konferenzen und an Stammtischen werden immer mehr und immer lauter Rücksichtnahme und Schutz für RadlerInnen und FußgängerInnen gefordert. Eine breite Mehrheit der BundesbürgerInnen ist für ein Tempolimit auf Autobahnen. Im Bundestag und Bundesrat wird das zwar immer wieder abgelehnt; aber auch immer wieder öffentlichkeitswirksam auf die Tagesordnung gesetzt. Die Grünen wollen eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene von der Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung abhängig machen. Der Einsatz für bessere Radwege ist zu einer Massenbewegung geworden. Hunderttausende engagieren sich für eine Umverteilung des öffentlichen Raums zugunsten von RadlerInnen und FußgängerInnen und zulasten der Autofahrenden.

Den AktivistInnen der Fridays-for-Future-Bewegung, die erst nach seinem Aufflammen entstanden ist, gibt der Dieselbetrug jede Menge Argumentationsmaterial. Bei Fridays for Future ist Verkehr ein zentrales Thema. Für viele junge Leute auch auf dem Land ist es eine gruselige Vorstellung, dass sie ein Auto brauchen, um mobil zu sein. Solche Leute gab es früher auch, aber es waren verschwindend wenige. Heute sind es viele.

Der Dieselskandal gibt ihnen und anderen AutokritikerInnen Rückenwind, weil er ihrem Anliegen eine neue Legitimität verliehen hat. Seit der Manipulationsaffäre hängt der gesamten Autobranche etwa Anrüchiges an – ähnlich wie der Tabakindustrie, die sich mit unlauteren Werbemethoden und Produktzusätzen ins (zumindest europäische) Abseits gebracht hat. Die RepräsentantInnen der Autobranche zeigen bis heute keine Demut angesichts des Schadens, den sie angerichtet haben. Die Branche steht deshalb weiter unter dem Generalverdacht, zu lügen und zu betrügen. Vielleicht nicht mehr beim Diesel, aber etwa bei Ver­brauchsangaben für den Spritverbrauch.

Das öffentliche Bild, das die Betrugsaffäre über das Innenleben des VW-Konzerns zeichnete, war verheerend: Autokratische Herrscher befehligten ein Heer von duckmäuserischen Verantwortlichen. Statt clevere technische Lösungen zu entwickeln, trickst und manipuliert das Personal – das ist so ziemlich das Gegenteil der viel gepriesenen deutschen Ingenieurskunst. Einstige Stars des deutschen Top-Managements (und Top-Verdiener) erscheinen heute als Kriminelle in Nadelstreifen. Gegen zig ehemalige und teils noch aktive Führungskräfte laufen Ermittlungen. Ex-Audi-Chef Stadler saß wochenlang im Gefängnis, bald wird ihm der Prozess gemacht. Auch der frühere VW-Boss Winterkorn wird sich in einem öffentlichen Strafverfahren verantworten müssen, gemeinsam mit weiteren, teils ehemaligen VW-Managern. Laut Landgericht Braunschweig gibt es einen „hinreichenden Tatverdacht des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs“.

Mit Beginn der Prozesse gegen Verantwortliche des Dieselbetrugs wird der Ansehensverlust der Autoindustrie weitergehen. Das schwächt jene, die einen Kulturkampf gegen das Auto beklagen. Es gibt ein hartes Ringen um den Rück- und Fortschritt im Verkehr, bei dem es nicht immer nur nach vorne geht. Immerhin: Wer heute „Freie Fahrt für freie Bürger“ fordert, wirkt aus der Zeit gefallen. Es war ein AfD-Politiker, der gegen die in der Coronakrise entstandenen temporären Fahrradwege in Berlin geklagt hat und seinen Sieg vor Gericht als Erfolg gegen die „Autohasser“ verbucht hat. Der Autolobbyverband ADAC, der auch gegen die temporären Radwege gewettert hat, ist hingegen nicht vor Gericht gezogen. Der Verband hat nicht einmal über den Erfolg der AfD gejubelt, sondern mahnt, dass sich die „ideologischen Fronten zwischen Auto- und Fahrradfahrern“ nicht weiter verschärfen dürften. Auch die Mitglieder des ADAC stehen nicht mehr ungebrochen zum Auto. Will der Verband sie nicht verprellen, muss er sich um ein fortschrittliches Image bemühen – und es ist ein Schritt nach vorne, dass er das tatsächlich versucht. Wenn selbst die härtesten Autolobbyisten Zugeständnisse machen, ist eine Menge erreicht.

Der Dieselskandal hat vieles verändert

Der Dieselskandal hat nicht nur die gesellschaftliche Haltung zum Auto verändert. Er führt auch zu einer Veränderung der Branche selbst. 32 Milliarden Euro hat der Betrug VW bislang gekostet. In den Umbau des Konzerns zum Elektroautobauer will Volkswagen in den kommenden Jahren 33 Milliarden stecken. Eine Million E-Autos sollen bis 2023 gebaut werden, bis 2025 1,5 Millionen. Das wird die Konkurrenten unter Druck setzen und die ganze Branche verändern. Ohne den Dieselskandal hätte VW den Umbau nicht derart forciert – schon weil das frühere Führungspersonal mental dazu nicht in der Lage gewesen wäre. Elektroautos lösen nicht das Problem verstopfter Straßen und fehlender Busse und Bahnen. Aber auch nach einer erfolgreichen Verkehrswende wird es weiter individuellen Autoverkehr geben – dann aber wenigstens mit umweltfreundlicheren Pkws.

Eins ist unvermeidlich: Die Zahl der Autos muss deutlich sinken. Staus, verstopfte Innenstädte, Unfälle und schlechte Luft beweisen das täglich. Aber: Weniger Autos bedeutet auch weniger Arbeitsplätze im Autobauerland, und das ist ein gravierendes Problem. Weit mehr als der Dieselskandal setzt die Coronakrise die Autobranche ökonomisch extrem unter Druck. Dass die Bundesregierung bislang darauf nicht wie nach der Finanzkrise 2008 mit einer Abwrackprämie für alle Autos reagiert hat, darf getrost auch als Folge der sich ändernden gesellschaftlichen Stimmung gewertet werden.

In der Krise kann die sich aber schnell drehen. Massenentlassungen können dazu führen, dass gewonnenes Terrain im Kampf gegen das Auto wieder verloren geht. Solange es keine Perspektive für die Hunderttausende in der Branche Beschäftigten gibt, bleibt die Abkehr vom Auto fragil. Einen Masterplan für den Um- und Abbau der Branche kann es nicht geben. Denn es handelt sich dabei um einen lernenden Prozess, der immer wieder neu justiert werden muss. Das heißt aber nicht, dass der Strukturwandel hinausgezögert werden darf. Im Gegenteil. Gerade um Arbeitsplätze zu retten, muss er vorangetrieben werden.

Wie schnell und konsequent Autohersteller umschwenken können, hat gerade VW mit seiner Elektrooffensive als Antwort auf den Diesel­skandal bewiesen.

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