Mit Kamala Harris als Vize wollen die US-Demokraten Trump besiegen

Sie ist politisch moderat, doch als erste schwarze Frau in dieser Position steht sie für einen Neuanfang: Kamala Harris soll unter dem demokratischen US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden Vizepräsidentin werden

Sie kennen sich schon lange und hatten zuletzt eine bittere Auseinandersetzung: Kamala Harris und Joe Biden Foto: Mike Blake/reuters

Aus New York Dorothea Hahn

Als der designierte demokratische US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden am Dienstagnachmittag seine Entscheidung bekannt gibt, Kamala Harris zur Vizepräsidentin zu machen, schafft er es erstmals nach Monaten wieder in die Schlagzeilen. Aus sämtlichen Lagern seiner Partei und von Gruppen quer durch das Land kommen überschwängliche Glückwünsche. Ex-Präsident Barack Obama twittert, als wäre das nur noch eine Kleinigkeit: „Und jetzt lasst uns diese Wahlen gewinnen.“

Das Weiße Haus hingegen reagiert mit persönlichen Beleidigungen. Präsident Donald Trump redet von dem „langsamen Joe“ und der „falschen Kamala“. Er nennt sie „fies“ – ein Adjektiv, das er für starke Frauen reserviert.

Inhaltliche Kritik kommt bloß von radikalen Linken. „Der Autor des Strafgesetzes von 1994 und eine Cop“, witzelt der New Yorker Autor Doug Henwood bitter, „das ist das perfekte Ticket für diesen Black-Lives-Matter-Moment.“ Zahlreiche Bernie-Sanders-Fans veröffentlichen solche Gedanken in den sozialen Medien. Sie hatten bis zum Schluss gehofft, dass Biden eine Linke an seine Seite holen würde.

Kamala Harris ist zugleich eine historische Neuerung und eine Garantin für die Kontinuität an der Spitze. Die vor 55 Jahren in Kalifornien geborene Demokratin ist die Tochter einer indischen Mutter und eines Vaters aus Jamaika. Das macht sie zu der ersten Frau aus einer Minderheit, die Aussicht auf den zweithöchsten Posten im Land hat. Sie gehört zum selben moderaten Flügel der Demokratischen Partei wie Biden, die Clintons und Obama. Bevor sie US-Senatorin wurde, war sie Justizministerin in Kalifornien und Staatsanwältin in San Francisco. Aus ihrer Zeit als Staatsanwältin eilt ihr der Ruf einer Hardlinerin voraus. Einer, die kleine Vergehen hart verfolgt und die die Polizei nicht für Fehlverhalten zur Rechenschaft gezogen hat.

Biden und Harris kennen sich schon lange. Als Justizministerin von Kalifornien stand sie in Kontakt mit seinem verstorbenen Sohn Beau, der in dem kleinen Bundesstaat Delaware als Justizminister diente. Als sie später in den US-Senat einzog, schwor Joe Biden als Vizepräsident sie ein.

Im Vorwahlkampf stießen die beiden öffentlich in einer bitteren Auseinandersetzung über Rassismus zusammen. Bei einer Debatte beschrieb sie den Kontrast zwischen seiner Sympathie für alte weiße Segregationisten im US-Kongress und ihrer persönlichen Erfahrung als kleines Schwarzes Mädchen in Kalifornien, das dank der Desegregation im Schulbus in eine „integrierte Schule“ fahren konnte.

Bevor Biden sie auswählte, hat er sich wochenlang Zeit gelassen und Dutzende von hochqualifizierten Frauen für den Posten sondiert. Darunter waren auch mehrere andere ehemalige Mitbewerberinnen um die Präsidentschaftskandidatur, die Linke Elizabeth Warren und die Zentristin Amy Klobuchar.

Biden hatte schon in der Endphase des Vorwahlkampfs, als nur noch er und Bernie Sanders im Rennen waren, versprochen, dass er eine Frau nehmen würde. Als im März nach mehreren anfänglichen Niederlagen Bidens Siegessträhne bei den Vorwahlen begann, wurde gleichzeitig klar, dass eine afroamerikanische Vizepräsidentin politisch opportun sein könnte. Denn es war Jim Clyburn, einflussreicher Schwarzer Kongressabgeordneter aus South Carolina, der Biden zu den Stimmen der afroamerikanischen WählerInnen verhalf. Der brutale Tod von George Floyd unter dem Knie eines Polizisten in Minneapolis am 25. Mai lieferte ein weiteres Argument. Als anschließend Black-Live-Matter-DemonstrantInnen an Hunderten von Orten quer durch die USA ein Ende von Rassismus und Gewalt verlangten, ließ Bidens Kampagne durchblicken, dass er über eine Frau aus den Minderheiten nachdenke.

Am 3. November finden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt. Das Tandem Biden-Harris will versuchen, die Ära Trump bei dieser Wahl zu beenden. Schon optisch könnten die Kontrahenten kaum unterschiedlicher sein. Trump wird vermutlich erneut mit Mike Pence ins Rennen ziehen. Neben den beiden weißen Männern wirken Biden und Harris deutlich repräsentativer für die Vielseitigkeit des Landes.

Dafür sorgen nicht nur ihre Alters-, Geschlechts- und Hautfarbenunterschiede, sondern auch ihre jeweilige Herkunft und der Lebenslauf. Biden kommt aus einer katholischen Familie von der Ostküste. Harris ist zwischen vielen verschiedenen Einwandererkulturen an der Westküste aufgewachsen. Ihre religiöse Erziehung spielte zwischen einer Schwarzen Baptistengemeinde und einem Hindutempel. Ihre Eltern haben sich an der Universität Berkeley kennengelernt, wo ihre Mutter Medizin und ihr Vater Wirtschaftswissenschaften studierte.

Nach der Trennung der Eltern zog Harris mit ihrer Schwester und ihrer Mutter für mehrere Jahre nach Kanada. Wenn sie prägende Ereignisse ihrer Kindheit und Jugend beschreibt, gehören dazu Bürgerrechtsdemonstrationen in Kalifornien, bei denen ihre Eltern sie im Kinderwagen schoben, und die Selbstverständlichkeit, mit der ihre Mutter ihre Karriere in der Forschung verfolgte. Als zusätzliche kulturelle Erfahrung bringt Harris das Zusammenleben mit einem weißen jüdischen Ehemann mit.

Bei seinem Amtsantritt im Januar wäre Biden, falls er im November die Wahlen gewinnt, 78 Jahre alt. Damit wäre er der älteste Mann, der neu ins Amt käme. Da für den Fall des Ausfalls des Präsidenten automatisch die (oder der) Vize nachrückt, war eines der Auswahlkriterien für die Vizepräsidentin, dass sie vom ersten Amtstag an in der Lage sein muss, die Geschäfte zu führen. Auf Harris, darin sind sich die DemokratInnen einig, trifft das zu. Auch der demokratische Sozialist Bernie Sanders glaubt das.

Der Parteitag der DemokratInnen, der in der nächsten Woche wegen der Pandemie nur mit einer kleinen Besetzung in Milwaukee stattfindet, soll die Einheit aller Parteiflügel demonstrieren, die im Vorwahlkampf weit ausein­andergedriftet waren.

Dabei werden auch die New Yorker Linke Alexandria Ocasio-Cortez und Bernie Sanders sprechen. Sie wollen versuchen, das moderate Tandem Biden-Harris dazu zu drängen, die zentralen Forderungen der Linken aufzunehmen. Von der staatlichen Krankenversicherung für alle über das Streichen von Studienschulden und Universitätsgebühren bis hin zu einer Strafrechtsreform.

In den Vorwahlen hat Harris nirgends überzeugend abgeschnitten. Als im März in ihrem Heimatstaat Kalifornien die Vorwahlen stattfanden, war sie schon seit Monaten ausgeschieden.

Die demokratischen ParteistrategInnen hoffen dennoch darauf, dass Harris sowohl WählerInnen in der Mitte als auch bei moderaten RepublikanerInnen gewinnen kann. Und dass es ihr gelingen könnte, auch weiße Mittelschichtfrauen aus den Vorstädten anzusprechen, von denen 2016 noch viele für Trump gestimmt haben.

Im Vorwahlkampf hatte Harris weder die Unterstützung von afroamerikanischen noch von linken WählerInnen. Letztere nahmen ihr die Hardliner-Staatsanwältin übel. Seither haben Bernie Sanders’und Joe Bidens Teams gemeinsam an dem Präsidentschaftsprogramm gearbeitet und sich angenähert. Sanders versichert, Biden werde der „fortschrittlichste Präsident seit dem New Deal“ werden.

Senatorin Harris machte inzwischen zahlreiche neue Vorstöße, um diejenigen zu unterstützen, die durch die Coronapandemie in finanzielle und wirtschaftliche Not geraten sind. Unter anderem verlangt sie 2.000 Dollar monatliche Beihilfen für Arbeitslose und besondere Unterstützung für „unersetzbare Beschäftigte“ und Schwarze Frauen. Doch unter Bernie Sanders’AnhängerInnen sind immer noch viele, die sich nicht vorstellen können, für Biden zu stimmen.

Trump schießt sich indessen auf den Endspurt im Wahlkampf ein, indem er versucht, Biden und Harris unwählbar für RepublikanerInnen zu machen. Unter anderem bezeichnet er die beiden als „Sozialisten“ und „Radikale“ und veröffentlichte ein Anti-Harris-Video. Er wirft Kamal Harris außerdem vor, dass sie bei den Anhörungen seines obersten Richters, Brett Kavanaugh, harte Fragen gestellt hat.

Mit dem Geschimpfe macht Donald Trump zugleich bei linken WählerInnen Werbung für seine GegenspielerInnen. Trump ist es – stärker als Biden –, der daran erinnert, dass Harris die von ihm viel kritisierte Familienplanungsorganisation Planned Parenthood und deren Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen unterstützt, dass sie gegen Fracking ist und dass sie eine Einwanderungsreform befürwortet.