„Der Rassismus-Vorwurf ist absurd“

Künstler Stephan Balkenhol wehrt sich gegen den Verdacht, sein „Mann mit Giraffe“ vor Hagenbecks Tierpark sei schwarz und verharmlose die „Völkerschauen“. Es sei ein Weißer aus nachgedunkelter Bronze

Eine Frage des Materials: Blendend weiß war der Bronze-Mann auch im Urzustand im Atelier nicht Foto: Uli Deck/dpa

Von Petra Schellen

Man erkennt ihn nur mit Mühe: den Mann auf der Riesen-Giraffe, die weithin sichtbar an einer Kreuzung vor Hagenbecks Tierpark steht. Das Männchen sitzt da, als wisse es nicht, ob es rauf- oder runterklettern soll. Die Giraffe schaut unbeteiligt.

Es ist eine typische Skulptur des 1957 geborenen Künstlers Stephan Balkenhol, der meist Menschenfiguren schnitzt oder in Bronze gießt. Mal kommen sie solo, mal mit Tier oder als Faun daher. Das Markenzeichen: weißes Hemd, schwarze Hose, ein Durchschnittsmensch. Mal hat er einen Elefantenkopf, mal umarmt er einen Fisch oder sitzt auf einem Riesen-Seepferd. Balkenhol hat die „Bojen-Männer“ auf Alster und Elbe gestellt und in Metz den Widerstandskämpfer Jean Moulin porträtiert. Meist schafft er Männer, manchmal Frauen, meist bekleidet, manchmal nackt. Immer sind es Weiße.

„Das stimmt nicht“, sagt jetzt Peter Gutzeit, Co-Vorsitzender der Eimsbüttler Linksfraktion. Der Giraffen-Mann vor Hagenbeck habe dunkle Haut und könne als Afrikaner wahrgenommen werden. „Viele erkennen darin den bestehenden und systemrelevanten Alltagsrassismus“, sagt Gutzeit und regt bei der Kulturbehörde die Entfernung der Skulptur an.

Die Behörde hatte das 2001 aufgestellte, 560.000 DM teure Kunstwerk mit 60.000 DM gefördert. Das Übrige hatte Hagenbeck bezahlt. Von dort stammte auch die Idee zu dieser Eigenwerbung, mit der sich Hagenbeck nebenbei als Kulturförderer profilierte. Die stets an „Leuchttürmen“ interessierte Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos) hatte das auf öffentlichen Grund platzierte Werk seinerzeit gern enthüllt.

Damals war das Gesicht des Giraffen-Mannes noch bronzefarben. Niemand fand des problematisch, das Werk vor einen Zoo zu stellen, der von 1875 bis in die 1930er-Jahre Menschen aus „exotischen“ Ländern in „Völkerschauen“ präsentierte. Heute aber, in Zeiten von Kolonialismus-Debatte und Anti-Rassismus-Demonstrationen, könnten sich People of Colour brüskiert fühlen, glaubt Gutzeit.

Die Frage ist, wie weit das dem Kunstwerk selbst zuzuschreiben ist. Denn erstens wirken die Gesichtszüge der Figur eher europäische und bedienen keine rassistischen Stereotyp. Zweitens ist der Mann vollständig bekleidet und wird weder bloß- noch ausgestellt. Drittens birgt seine Haltung – das Ausharren am Giraffenhals, als umarme er ein Stofftier – keinerlei kolonialen Subtext. Er vollführt auch keine zirkusreifen Kunststücke à la „Völkerschau“, sondern bleibt in einer absurden, fast abstrakten Pose.

„Die Unterstellung, das Werk sei rassistisch, ist absurd“, sagt Stephan Balkenhol der taz. „Das ist ein weißer Mann aus nachgedunkelter Bronze.“ Was daran liege, dass er die Haut seiner Figuren – anders als die bemalten Partien – stets unbearbeitet lasse. Und Bronze verfärbe sich ganz selbstverständlich mit der Zeit. „Das Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar ist auch nachgedunkelt, und da behauptet keiner, das seien jetzt Afrikaner“, sagt Balkenhol. Natürlich könne man fragen, warum er ausgerechnet einen weißen Mann als Alter Ego gewählt habe. „Vor Fehldeutungen ist man als Künstler nicht gefeit.“

Dabei behandele die Skulptur eigentlich sehr allgemein die Beziehung zwischen Mensch und Tier. „Die Ambivalenz zwischen Affektion und Aggression, zwischen Kuscheln und Kampf beschäftigt mich seit 30 Jahren“, sagt Balkenhol. „Das mündet in die Frage, wie der Mensch die Welt erkundet – in diesem Fall die Giraffe: Ist sie Wild- oder Kuscheltier?“

Bei näherem Hinsehen bergen Physiognomie und Haltung des Bronze-Manns weder rassistische Klischees noch einen kolonialen Subtext

Auch die Hamburger Künstlerin Hannimari Jokinen, Mitglied im Arbeitskreis Hamburg Postkolonial, findet die Skulptur nicht rassistisch. „Schwarze Madonnen aus nachgedunkeltem Holz stellt ja auch niemand infrage“, sagt sie. Die Deutung von Kunst liege zwar im Auge des Betrachters, aber der sei auch aufgerufen, genau hinzuschauen. „Und wer den ‚Mann mit Giraffe‘ abfotografiert und vergrößert, sieht ja, dass er keine Klischees transportiert.“

Im Übrigen, sagt Balkenhol, wäre das Gesicht längst wieder bronzefarben, hätte Hagenbeck es, wie vereinbart, regelmäßig gereinigt. „Das Gesicht müsste mittlerweile – anders als die bemalten Stellen – sandgestrahlt und mit Klarlack überzogen werden“, sagt er. „Das geht problemlos innerhalb eines Tages.“ Warum das bislang nicht geschah und für wann eine Reinigung geplant ist, teilte Hagenbeck auf taz-Anfrage nicht mit.

Es gibt bei Hagenbecks Tierpark weit problematischere Kolonialismus-Reminiszenzen: Neben dem Denkmal für Zoogründer Carl Hagenbeck, deren Entfernung die Fotografin Johanna Brinckmann in einer Petition fordert, ist da der Haupteingang von 1907. Er zeigt Elefanten, Löwen sowie zwei leicht bekleidete „Ureinwohner“ verschiedener Kontinente. Mit großen Gesten winkten sie einst das Publikum heran und warben für die „Völkerschauen“. Diese Spektakel waren hoch profitabel: Die Zuschauer kamen in Massen.

„Sich um diese kolonialen Relikte zu kümmern wäre wichtiger als die Debatte über Balkenhols Giraffen-Skulptur“, sagt Hannimari Jokinen.