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Neue Coronazahlen des RKIKein Rückgang? Kein Problem!

Die Zahl der täglichen Neuinfektionen stagniert bei knapp 1.000. Vor kurzem hielt das RKI diesen Wert für noch zu hoch, nun gilt er als akzeptabel.

Im Tagesbericht des RKI vom Dienstag entfallen allein 259 neue Fälle auf Pflegeheime Foto: Jonas Güttler/dpa

Berlin taz | Anders als in den vergangenen Wochen ist die Zahl der Corona-Neuinfektionen, die täglich beim Robert-Koch-Institut (RKI) gemeldet werden, in dieser Woche kaum noch gesunken. Das zeigen die neusten Fallzahlen des Instituts. Stattdessen hat sich der über 7 Tage gemittelte Wert auf einem relativ konstanten Niveau von 900 bis 1.000 Fällen pro Tag eingependelt. Die Reproduktionszahl, die angibt, wie viele weitere Menschen jeder Infizierte im Schnitt ansteckt, schwankte in den letzten Tagen um den Wert von 1.

„Wir nähern uns einem Plateau der täglichen Fallzahlen an“, erklärte RKI-Vizepräsident Lars Schaade am Dienstag in seiner Pressekonferenz. Ob die Zahl von rund 1.000 Neuinfektionen am Tag eine erträgliche Größenordnung ist, darüber gibt es allerdings unterschiedliche Ansichten – offenbar auch innerhalb des Robert-Koch-Instituts. Als entscheidend gilt, ob die Gesundheitsämter in der Lage sind, für alle neuen Fälle die engen Kontakte zu ermitteln, um sie in Quarantäne zu schicken oder testen zu können.

Auf die Frage, wo diese Grenze liege, hatte RKI-Vizepräsident Schaade am 24. April noch gesagt, dafür sei erforderlich, „dass diese Fallzahlen auf wenige hundert pro Tag sinken“. Nur vier Tage später antwortete RKI-Präsident Lothar Wieler auf die gleiche Frage, er würde „grob von einer Zahl von 1000 ausgehen“ – was genau jenem Wert entspricht, der erreicht war, als die Politik weitreichende Lockerungen der Corona-Maßnahmen beschlossen hat.

Eine echte Erklärung für diesen Unterschied gibt es nicht. „Das ist letztlich eine Einschätzungsfrage“, erklärte Schaade am Dienstag – verbunden mit der Behauptung, wenige hundert und 1000 seien „nicht so weit auseinander, dass das nun als echter Widerspruch interpretiert werden kann“.

ifo-Institut gegen zu schnelle Lockerung

Zu einer anderen Einschätzung kommt das Helmholtz-Institut für Infektionsforschung in einer gemeinsamen Studie mit dem ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, die am Mittwoch veröffentlicht wurde (hier als pdf). In dieser wird gefordert, „die Zahl der Neuinfektionen auf rund 300 Fälle pro Tag zu reduzieren“. Erst dann könne davon ausgegangen werden, dass die Gesundheitsämter in der Lage sind, alle Kontaktpersonen zu identifizieren.

Helmholtz- und ifo-Institut plädieren deshalb gemeinsam dafür, zunächst nur leichte, schrittweise Lockerungen der Corona-Beschränkungen vorzunehmen. So könne die Reproduktionszahl bei 0,75 gehalten werden, bis die Zahl der täglichen Neuinfektionen auf 300 gesunken ist. Das sei nicht nur aus gesundheitlicher Sicht vorteilhaft, sondern auch aus ökonomischer.

Eine stärkere Lockerung wäre wirtschaftlich zwar kurzfristig günstiger. Doch die Beschränkungen müssten dann so lange bestehen bleiben, „dass die wirtschaftlichen Kosten über den gesamten Zeitraum der Jahre 2020 und 2021 insgesamt höher ausfallen würden“.

Anders als viele Unternehmensverbände plädiert das wirtschaftsnahe ifo-Institut als Konsequenz aus der Anlyse darum für Zurückhaltung. „Vor diesem Hintergrund müssen die weitergehenden Lockerungen, die in allen Bundesländern Anfang Mai beschlossen wurden, kritisch beobachtet werden“, heißt es in der Studie.

Viele Fälle in Gemeinschaftseinrichtungen

Um die Gesundheitsämter bei der Ermittlung von Kontaktpersonen zu unterstützen, finanziert das Robert-Koch-Institut ihnen 400 neue, temporäre Stellen. Diese sind aber noch immer nicht vollständig besetzt. Auch die App, die die Verfolgung von Kontakten erleichtern soll, ist noch nicht einsatzbereit.

Erleichtert werden könnte die Situation dadurch, dass rund die Hälfte der neuen Fälle derzeit in Gemeinschaftseinrichtungen auftritt, wo eine Nachverfolgung einfacher sein dürfte. Im Tagesbericht des Robert-Koch-Instituts vom Dienstag entfallen allein 259 neue Fälle auf Heime und 147 auf medizinische Einrichtungen. Schulen und Kindergärten spielen mit 56 Fällen dagegen bisher nur eine geringe Rolle.

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17 Kommentare

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  • Im Merkur hat Herr Drosten gesagt, dass mit mehr als zehntausend weiteren Toten zu rechnen sei. Er nannte das einen "goldenen Weg", damit die Wirtschaft wieder in Fahrt käme. Ich hab es so satt, dass Geld mehr gilt als Leben

    • @Patricia Winter:

      Geld und Leben sind kein Gegensatz.

  • Wie das Fähnchen auf dem Turme



    sich kann dreh’n bei Wind und Sturme.



    So soll sich mein Händchen dreh’n,



    dass es eine Lust ist anzuseh’n.

    (Aus Theodor Fliedners Liederbuch von 1842)

  • In deutschen Krankenhäusern liegt bei der Hygiene immer noch Vieles im Argen.Die Gesundheitsämter sollten da mit ihrer Trägheit gar nicht einbezogen werden.



    Wir sollten Hygienebeauftragte wieder zur Pflicht werden lassen, diese aber nicht mehr bein deutschen TÜV, sondern in den Niederlanden ausbilden lassen. Eine solche in den Niederlanden ausgebildete Beauftragte erledigt die Meldeaufgabe der Corona- und Coronakontaktfälle "mit links".Für Heime gilt Ähnliches. Entbinden wir die Gesundheitsämter von dieser Aufgabe, der sie nicht gewachsen sind! Gleichzeitig verringern wir damit die Zahl der MRSA-Toten um einige Zehntausende.

  • Ein bisschen Kontext würde helfen. Zum einen werden seit zwei Wochen die Schutzmassnahmen mit einem Tempo aufgehoben, dass von einigen als "unverantwortlich" bezeichnet wird. Trotzdem steigen die Zahlen nicht an.



    Dann wurden in den letzten beiden Wochen gezielt Massenscreenings in Pflegeheimen und Schlachthöfen durchgeführt. Anders als bei den Standardtests werden dort auch Tests bei symptomfreien Verdachtsfällen durchgeführt - wodurch es keine Dunkelziffer gibt und die Anzahl der positiven Tests um den Faktor 5-10 höher liegt als beim Standard-Testverfahren (nur bei Symptomen, nur bei > 15 min Gesichtskontakt zu Infizierten).



    Nicht zuletzt wird noch die Anzahl der Tests ausgeweitet, Testkriterien gelockert, und vermutlich funktioniert auch auch die Durchführung von Tests und die Weiterleitung der Testergebnisse besser bei niedrigeren Fallzahlen, da das System nicht überlastet ist: Ergebnisse, die eigentlich erst nächste Woche in der Statistik erschienen wären, erscheinen schon heute.



    Um zu beurteilen, was von den Zahlen zu halten ist, braucht man zuerst ein gutes Verständnis, wo die Zahlen herkommen, und was sie bedeuten.

  • Zitat: „In dieser wird gefordert, ‚die Zahl der Neuinfektionen auf rund 300 Fälle pro Tag zu reduzieren‘. Erst dann könne davon ausgegangen werden, dass die Gesundheitsämter in der Lage sind, alle Kontaktpersonen zu identifizieren.“

    Wer glaubt denn sowas? Wie soll denn ein Gesundheitsamt alle „Kontaktpersonen“ ausfindig machen, die ein Infizierter in den vorangegangenen 14 Tagen quasi im Vorbeigehen angesteckt haben könnte? Wenn Mund-Nase-Masken keinen 100%igen Schutz bieten, der Sicherheitsabstand manchmal unfreiwillig nicht eingehalten werden kann, weil Leute drängeln, und Schmierinfektionen wirklich ein Problem sein können, ist jeder Supermarktbesuch doch so was wie Russisch Roulett! Wer weiß denn schon genau, wer wann in welchem Laden eingekauft hat? Noch gibt es keine Totalüberwachung. Und das ist auch gut so, will mir scheinen.

    Überhaupt hab ich diese Zahlen-Jongleure „gefressen“. Und die, die ihnen glauben, gleich mit. So lange nicht jeder Mensch in diesem Land getestet wird, gibt es nicht mal ‘ne Momentaufnahme der Situation. Und was drei Tage später ist, weis sowieso kein Mensch vorher. Corona KANN schließlich Beschwerden machen, MUSS aber NICHT.

    Hier wird allen Ernstes so getan, als wäre die Natur (und was sonst wäre Corona?) vom Menschen zu beherrschen, wenn er nur einen Doktortitel hat und einen Spitzenposten in der Politik. Als wären wir noch in den 1960ern! Welch eine Selbstüberschätzung! Wenn dieses Virus auch nur halb so gefährlich ist, wie überall behauptet wird, wäre ein wenig mehr Demut der Lage wohl entschieden angemessener. Aber mit Demut ist ja doch schlecht herrschen, gel?

  • 0G
    02589 (Profil gelöscht)

    Wenn es konstant bei etwa täglich 1 Tsd. neuen Fällen bliebe, dann wären es bis Ende des Jahres noch über 200.000 Fälle, bei einer Mortalitätsrate von ca. 4.% laut RKI sterben dann noch über 8.000 Menschen dies Jahr an Corona. Durch die Lockerungen, Grenzöffnungen, Tourismus und Reisen dürften die Zahlen eher noch steigen. Viele denken schon es ist vorbei, die Bundesliga spielt wieder, nein, eher nicht. Anscheinend ist das die Quote, die man in Kauf nimmt um die Wirtschaft nicht ganz zu ruinieren. Und 2021 dürfte es weiter gehen, bis ein Impfstoff da ist, oder auch nicht, für Malaria, Aids, Denquefieber, etc. gibt es bis heute keine Impfung, aber teils Medikamente. Prima Aussichten, wenn dann noch ein paar Irre auf Demos den Virus weiter verbreiten. .

    • @02589 (Profil gelöscht):

      Die Mortalitätsrate beträgt in Deutschland etwa 0,37%. Übertreiben Sie also nicht. Nur wenn die Kliniken überlastet sind, was für D. nicht anzunehmen ist, steigt die Mortalität.

    • @02589 (Profil gelöscht):

      Es werden dieses Jahr ca 1.000.000 Menschen in Deutschland sterebn. Die Anzahl der "Coronatoten" (mit, nicht an) wird unter der an MRSA Verstorbenen liegen. RKI gibt die Todesrate mit 1-2 % an. Geschätzt. Die einzigen belastbaren Zahlen derzeit sind die 0,37 % aus der Heinsberg Studie. Beruhigen sie sich!

    • @02589 (Profil gelöscht):

      4% wovon denn? Von allen Infizierten? Von allen mit Syptomen? Von allen Getesteten? Von allen, die mit Lungenproblemen auf der Intensivstation landen? Von allen, die trotz Intensivbehandlung verstorben sind?



      Die Heinsberg-Studie ergab, dass 15 Prozent der Menschen dort an Covid-19 erkrankt waren. Die Sterberate lag in Gangelt bei 0,37 Prozent. Diese Zahlen sind zwar erklärtermaßen nicht so einfach auf ganz Deutschland übertragbar, aber zwischen 0,37% und 4% liegen ganze Welten. Das zeigt doch vor allem eines - man sollte die jeweilige Bezugsgruppe schon ganz genau kennen, bevor man solche Zahlen in die Welt setzt.

  • Entscheidend wird sein, wie gut man die Entwicklung in den einzelnen Landkreisen beobachten und nachverfolgen kann. Da, wo es nur sehr wenige oder gar keine Infektionen gibt, besteht doch - mangels Notstand - keinerlei Grund für Maßnahmen, die über das Abstands- und Hygienegebot hinausgehen.

  • Die Zahl von 1000 kam nicht von ungefähr. Ich habe leider die Quelle nicht zur Hand, aber diese Zahl wurde schon oft genannt wenn es darum geht auf ein erträgliches Maß zu kommen.

    • 0G
      01349 (Profil gelöscht)
      @Henrik WM:

      Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die Zahl 400, weiß aber auch nicht, woher.

      • @01349 (Profil gelöscht):

        Ich erinnere mich an die Zahl 42 und weiß, woher.

  • Die Zahl von 1000 kam nicht von ungefähr. Ich habe leider die Quelle nicht zur Hand, aber diese Zahl wurde schon oft genannt wenn es darum geht auf ein erträgliches Maß zu kommen.

    • @Henrik WM:

      ach ja - es ist gut, wenn das RKI mal eine Weile schweigt und im Hintergrund bleibt und denkt; diese Zahlenspiele sind nur ganz grobe Anhaltspunkte. Wir haben keine neue Welle, also reparieren wir die ökonomischen Schäden und regeln erkennbare Schwachstellen (Fleischindustrie, Volksfeste, Großveranstaltungen).

  • Wenn man sich die deutschen Fallzahlen mal auf dem Dashboard ansieht - und zwar die Aktivität der letzten 7 Tage in den Landkreisen - dann fallen einem sofort die wenigen Hotspots auf, die allein etwa 1/3 aller Fallzahlen ausmachen.

    Man kann dann dazurechnen, das die aktuellen Ausbrüche oft (nicht immer) durch einzelne befallene Einrichtungen hervorgerufen werden. Die Betroffenen treten also in schön abgegrenzten Rudeln auf, was die Sache erleichtert.



    Da kann man dann schon differenzieren.

    Ich behaupte mal frech, das ein Landratsamt mit einer 5-köpfigen Task Force mindestens einen Corona-Fall pro Tag bearbeiten können sollte. Zumindest so, dass die Rückverfolgung einen Unterschied macht. Über 90% der Landkreise sind bereits (vorläufig) in so einer luxuriösen Situation.

    Das die das auch wirklich tun, müssen wir natürlich glauben, denn man sieht das nicht.



    Auf der Suche nach offensichtlichen Schlampern sollten wir Bürger allerdings wohl zuerst in den Spiegel schauen.