Gewerkschafterin über Schulchaos in NRW: „Das Chaos ist unzumutbar“

Die Schulpolitik der schwarz-gelben Regierung Laschet sei ein ständiges Hin und Her, kritisiert Maike Finnern, NRW-Vorsitzende der GEW.

Stühle stehen auf den Tischen in einem Klassenzimmer in Oberhausen in Nordrhein-Westfalen, daneben ist der leere Flur der Schule zu sehen

Ein Klassenzimmer in NRW: Zum Gesundheitsschutz fehlt es an Platz, kritisiert Maike Finnern Foto: Fabian Strauch/dpa

taz: Frau Finnern, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet hat seine FDP-Schulministerin Yvonne Gebauer zurückgepfiffen und klargestellt, dass erst beim Treffen der Länderchef*innen mit Kanzlerin Merkel am 6. Mai entschieden wird, ob die Grundschulen wie geplant ab dem 7. Mai öffnen. Warum ärgert Sie das?

Maike Finnern: Das Chaos in der NRW-Schulpolitik ist unzumutbar. Am Donnerstagmittag hat das Ministerium per Schulmail, also per Erlass, verkündet, dass Viertklässler*innen am 7. Mai wieder zur Schule gehen sollen und dass die Jahrgänge eins bis drei am 11. Mai folgen. Gegen 23.30 Uhr kommt dann die Ansage, dass erst am 6. Mai wirklich entschieden wird. Dieses ständige Hin und Her, das es auch schon beim Start der Abschlussklassen gab: Das ist unmöglich. So kann man mit Schüler*innen, Eltern und Lehrer*innen nicht umgehen.

Wo ist das Problem? Bis 7. Mai sind es noch ein paar Tage.

Zum Gesundheitsschutz unter Coronabedingungen fehlt es an Platz, an Lehrer*innen, an Hygienematerial. Wenn die Klassen zum Schutz vor Infektionen halbiert oder sogar gedrittelt werden müssen, werden auch doppelt und dreimal so viele Räume und Lehrer*innen gebraucht.

Und die gibt es nicht?

Es gibt Schulen, da gehören bis zu 50 Prozent der Lehrer*innen zur Risikogruppe – sind also über 60, haben Vorerkrankungen oder sind schwanger. Trotzdem drückt sich Schulministerin Gebauer um die klare Aussage, dass an allen Schulen zumindest bis zu den Sommerferien kein normaler Unterricht möglich sein wird.

Was dann?

Das Ministerium spricht von einem rollierenden System – also tageweisem Unterricht. Die Kinder und Jugendlichen werden in diesem Schuljahr nur einen Tag pro Woche in die Schule kommen können. Natürlich wollen alle, dass die Schüler*innen wieder direkten Kontakt zur Schule bekommen. Aber von der Vorstellung, dass Klassenarbeiten oder Tests geschrieben werden, dass regulärer Unterricht stattfindet – davon muss man sich verabschieden. Nicht umsonst hat der Landtag entschieden, dass in diesem Schuljahr alle Schüler*innen versetzt werden, also niemand sitzenbleibt.

Aber mit tageweisem Unterricht kann der Corona-Sicherheitsabstand von 1,5 Metern eingehalten werden?

In den Klassenräumen ja, an den Bushaltestellen natürlich nicht. Schon in den Pausen muss immer wieder an die Abstandsregeln erinnert werden. Die Schüler*innen haben sich wochenlang nicht gesehen – die haben die 1,5 Meter einfach nicht im Kopf. Um die Schulen in dieser Notsituation zu entlasten, haben wir als Gewerkschaft wie auch die Grünen gefordert, die Abschlussprüfungen nach der zehnten Klassen und fürs Abitur ausfallen zu lassen. Durchschnittsnoten auf Basis der bisherigen Leistungen wären besser gewesen.

51, ist Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Nordrhein-Westfalen und Realschullehrerin für Mathematik und Deutsch.

Wieso?

Die Prüfungen und Korrekturen binden viel Arbeitszeit, in der auch Unterricht möglich gewesen wäre. Das ist auch eine Frage der Bildungsgerechtigkeit: Vergleichbar sind die Prüfungsergebnisse zumindest in diesem Jahr überhaupt nicht. Viele Schüler*innen werden zu Hause optimal gefördert, haben ein eigenes Zimmer, einen eigenen Rechner. Andere wohnen beengt, bekommen die Existenzsorgen der Eltern mit und haben nur ein Smartphone, mit dem die Aufgaben nicht sinnvoll bearbeitet werden können.

Wie geht es nach den Sommerferien weiter?

Dass es wie vor Corona acht Stunden Unterricht am Tag in Klassen von 30 Schüler*innen und mehr gibt, halte ich für nicht realistisch. Aber: Der Distanzunterricht macht deutlich, wie extrem ungleich Bildungschancen verteilt sind. Zumindest im kommenden Schuljahr brauchen wir eine gute digitale Ausstattung für alle – auch für Kinder aus finanzschwachen Familien.

Aber es gibt doch Unterstützung vom Bund?

Der Bund stellt für Computer zwar 150 Euro pro Familie zur Verfügung – aber das reicht natürlich nicht. Jetzt ist das Land NRW gefordert: Alle Schüler*innen brauchen gute, vergleichbare Arbeitsmittel – und Lehrer*innen endlich Dienstrechner.

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