Erste Schulen öffnen trotz Corona wieder: Unterricht mit Mundschutz und Seife
Schwarz-Gelb hat in Nordrhein-Westfalen eine schnelle Öffnung der Schulen durchgedrückt – trotz massiver Proteste.
Viele Jugendliche haben dieselben Sorgen wie die stellvertretende Schulleiterin selbst: Wie groß ist das Infektionsrisiko, wenn nach sechseinhalb Wochen Corona-Isolation und Fernuntericht die Schule wieder beginnt? Können Abstandsregeln eingehalten, Ansteckungen vermieden werden? „Besonders vor der U-Bahn gab es sehr viel Angst“, sagt Künhaupt.
Das Berufskolleg hat deshalb vorgesorgt. Nur mit Maske darf die Schule betreten werden, hat das Lehrer*innenkollegium beschlossen. „Wir bilden auch Maßschneiderinnen und Maßschneider aus, haben deshalb viele Nähmaschinen“, erklärt Katja Frech, Lehrerin für Deutsch und Gestaltung. 360 Masken haben die Schüler*innen zum Selbstschutz genäht.
Das Kolleg ist damit plötzlich Vorreiter: Am Mittwoch hat Nordrhein-Westfalens schwarz-gelbe Landesregierung auf Druck der Öffentlichkeit und von Virolog*innen eine Maskenpflicht verkündet, die ab kommenden Montag auch in öffentlichen Gebäuden gelten soll. „Am späten Mittwochnachmittag sind dann auf einmal 2.000 Masken bei uns angekommen“, sagt Vize-Schulchefin Künhaupt. Noch am Dienstag habe sie die Lage dagegen als „katastrophal“ eingeschätzt – selbst Seifenspender und Handtuchhalter, Voraussetzung für die von FDP-Landesschulministerin Yvonne Gebauer angemahnten Hygieneregeln, hätten da noch gefehlt.
Schnell zurück zur Normalität
Gebauer und CDU-Ministerpräsident Armin Laschet haben die Schulen unter massiven Zeitdruck gestellt. Laschet will im Kampf um die Kanzlerkandidatur schnellstmöglich zurück zu einer „verantwortungsvollen Normalität“. Und Gebauer folgt ihrem Bundesparteichef Christian Lindner, der für ein schnelles Ende der Coronabeschränkungen trommelt. Von der Verabredung der Länderchefs mit Kanzlerin Angela Merkel, die Schulen erst am 4. Mai wieder zu öffnen, wollten deshalb beide nichts wissen. Gebauer verkündete am Samstagabend per Mail, dass es ab Donnerstag wieder losgeht.
Heftige Kritik kam vom Städtetag. Für Corona-Schutzstandards bräuchten die Schulträger mindestens eine Woche, polterte der CDU-Vorsitzende des NRW-Städtetages, Thomas Hunsteger-Petermann.
Aber auch Lehrer*innenverbände und die Opposition sind skeptisch. Im Internet kursieren Aufrufe zum Schulboykott. „Wut und Frust“ herrsche an den Schulen angesichts fehlenden Gesundheitsschutzes, sagt etwa Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft GEW. Von „mangelhafter Vorbereitung“ spricht die SPD – offenbar sind längst nicht alle Schulen mit Seife und Desinfektion ausgestattet.
Zweifel bleiben
„Wir riskieren steigende Infektionszahlen“, warnt etwa Sigrid Beer, schulpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag. Abschlüsse sollten auf Basis der bisherigen Durchschnittsnoten vergeben werden, fordert Beer deshalb – schließlich gehörten auch viele Lehrer*innen zur Risikogruppe.
„25 Prozent unserer Lehrerinnen und Lehrer werden aus gesundheitlichen Gründen ausfallen“, schätzt auch Christiane Künhaupt. Zwar sei sie „superglücklich“, dass der erste Schultag gut gelaufen sei: „Alle waren sehr diszipliniert.“
Wie ein regulärer Unterricht ab dem 4. Mai aussehen soll, stehe aber in den Sternen: Dann tauchen statt 350 wieder 2.000 Schüler*innen auf. Und die Klassen müssten auch noch geteilt werden, um den Corona-Abstandsregeln zu genügen, rechnet Künhaupt vor. „Ob wir die massive Mehrarbeit schaffen“, sagt die Vize-Schulleiterin, „weiß ich nicht.“
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alleingang des Finanzministers
Lindner will Bürgergeld kürzen
Putins Brics-Gipfel in Kasan
Club der falschen Freunde
Deutsche Asylpolitik
Die Hölle der anderen
Kritik an Initiative Finanzielle Bildung
Ministeriumsattacke auf Attac
Linke in Berlin
Parteiaustritte nach Antisemitismus-Streit
Investitionsbonus für Unternehmen
Das habecksche Gießkannenprinzip