Terroranschlag in Hanau: Trauer, Wut und #gegenhalten

Migrantenverbände äußern scharfe Kritik nach dem Terroranschlag von Hanau. Für den Abend sind in Berlin zwei Mahnwachen angekündigt.

Trauer in Hanau Foto: Kai Pfeffenbach/reuters

BERLIN taz | Die Türkische Gemeinde Deutschlands (TGD) findet in einem Statement zum Terroranschlag in Hanau am Donnerstagvormittag deutliche Worte: „Wir klagen diesen rassistischen Terror an. Wir klagen aber auch die Brandstifter*innen in Politik und Medien an.“ Die in Kreuzberg ansässige Dachorganisation von bundesweit rund 260 Vereinen erklärte, es gebe einen Zusammenhang zwischen „Politiker*innen, die durch ihre achtlose Wortwahl Motive liefern und Rassismus den Boden bereiten“ und damit Ansporn würden für „rassistische Täter zu selbsternannten ‚Problemlösern‘ zu werden. Zuerst verschieben sich die Grenzen des Sagbaren, dann kommt die Gewalt“, heißt es in der Erklärung.

Auch die Medien müssten achtgeben, nicht durch „unsensible Berichterstattung Opfer und ihre Familien zu entmenschlichen, indem nur von ‚Shisha-Morden‘ die Rede ist oder von ‚fremdenfeindlichen oder ausländerfeindlichen‘ Motiven.“ Die TGD stellt fest: „Diese Menschen waren Hanauer*innen.“ Über sie solle berichtet werden „mit Namen, Geschichten und Mitgefühl, wie im Fall von Walter Lübcke“.

Am Mittwochabend waren in Hanau zehn Menschen ermordet worden, weitere wurden schwer verletzt. Tatorte waren Shisha-Bars, laut Polizei haben viele der Opfer einen Migrationshintergrund. In einem Bekennerschreiben und -video, das der taz vorliegt, spricht der mutmaßliche Mörder Tobias R., der tot in seiner Wohnung gefunden wurde, unter anderem über „Ausländerkriminalität“ in Deutschland. Eine Ausweisung von Migranten könne „keine Lösung mehr sein, da die Existenz gewisser Volksgruppen an sich ein grundsätzlicher Fehler ist“. Es müssten daher mehrere „Völker komplett vernichtet werden“, erklärt der 43-Jährige.

Auch der Migrationsrat Berlin beklagt in einer Erklärung am Donnerstag „die permanente Verweigerungshaltung der Politik, sich aktiv gegen Rassismus und Rechtsextremismus zu stellen“. Auch er kritisiert die Medien, die von “Schießerei“ statt einem Terroranschlag schrieben und „von einem ‚wirren‘ Bekennerschreiben statt einem rechtsextremen, hassvollen Bekennerschreiben“. Die Organisation fragt: „Gab es gar keine Lehren aus dem Terror des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds? Gibt es keine Lehren aus den andauernden Angriffen auf die Unterkünfte von Geflüchteten, auf Moscheen und Synagogen, auf Frauen, die als muslimisch ‚erkannt‘ werden, aus Hetzjagden und den Enthüllungen um neonazistische Netzwerke in Polizei- und Verfassungsschutzbehörden oder in der Bundeswehr?“

Geisel: „rechtsterroristischer Mord“

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) bezeichnete den Anschlag am Donnerstag als „mutmaßlich rassistisch-rechtsterroristischen Mord“. Der Täter habe „unglaubliches menschliches Leid über Hanau und das ganze Land gebracht“, so Geisel. Im Augenblick gebe es zwar keine Bezüge nach Berlin, er wisse aber, „dass die Menschen in unserer Stadt beunruhigt sind“, und werde daher „kurzfristig“ Vertreter*innen von Migrantenverbänden einladen, um über die aktuelle Sicherheitslage zu sprechen. Auch Geisel betonte: „In Hanau wurde keine Shisha-Bar angegriffen. In Hanau wurden Menschen getötet, die zu uns gehören.“

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Eine Gruppe namens „Kein Generalverdacht“, die sich vor dem Hintergrund der massiven Polizeirazzien in Nordneukölln zur angeblichen Bekämpfung von „Clankriminalität“ gegründet hat, hat per Facebook für den heutigen Donnerstagabend 18 Uhr zu einer Gedenkveranstaltung am Hermannplatz aufgerufen.

Politiker von SPD, FDP und Grünen, darunter SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, Sawsan Chebli, Christian Lindner und Werner Graf rufen auf Twitter unter dem Hashtag #gegenhalten zur einer Kundgebung am Brandenburger Tor auf, ebenfalls um 18 Uhr.

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Am 19. Februar 2020 erschoss der Rechtsextremist Tobias R. an drei verschiedenen Tatorten in der Hanauer Innenstadt neun Menschen:

Kaloyan Velkov, ermordet mit 33 Jahren.

Fatih Saraçoğlu, ermordet mit 34 Jahren.

Sedat Gürbüz, ermordet mit 30 Jahren.

Vili Viorel Păun, ermordet mit 22 Jahren.

Gökhan Gültekin, ermordet mit 37 Jahren.

Mercedes Kierpacz, ermordet mit 35 Jahren.

Ferhat Unvar, ermordet mit 22 Jahren.

Hamza Kurtović, ermordet mit 22 Jahren.

Said Nesar Hashemi, ermordet mit 21 Jahren.

Später ermordete der Attentäter seine Mutter Gabriele R., 72 Jahre alt.

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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