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Digitalisierung im GesundheitswesenHausarzt trifft auf Dr. Google

Kommentar von Elena Link

Die Arzt-Patienten-Beziehung ändert sich. Neue Anforderungen an Patienten spielen ebenso eine Rolle wie die gestiegene Bedeutung des Internets.

Patient*innen konfrontieren ihre Ärzt*innen zunehmend mit Infos, die sie im Netz gefunden haben Foto: Blickwinkel/imago

H eute suchen immer mehr Menschen im Internet nach Gesundheitsinformationen – manchmal bevor, nachdem oder anstatt mit Ärzt*innen über gesundheitliche Probleme oder Fragen zu sprechen. Die steigenden Nutzerzahlen gehen mit vielen Befürchtungen einher.

Vor allem das ärztliche Fachpersonal bewertet den Trend ambivalent. Zur Skepsis tragen die schwankende Qualität der Informationen bei. Ebenso stehen intransparente Eigeninteressen der Online-Anbieter immer wieder in der Kritik. Skeptiker*innen befürchten, dass die Suche im Internet zu einer ernsthaften Gesundheitsgefährdung führen kann oder die Suchenden verunsichert und verängstigt sind. Und seien wir mal ehrlich, wer hat im Rahmen einer Selbstdiagnose mittels Dr. Google nicht schon einmal Angst vor einer Krebserkrankung bekommen?

Im Gegensatz zu den Gefahren sind die Potenziale von Dr. Google weniger präsent: Umfangreiche Informationen zu sehr speziellen Themen sind jederzeit verfügbar und Antworten auf drängende Fragen schnell auffindbar. Die eigene Recherche steigert Wissen, hilft Betroffenen, Ärzt*innen gestärkt gegenüberzutreten und sich aktiv für die eigene Gesundheit einzusetzen.

Zudem kann Dr. Google auch der Sinnstiftung dienen – gerade in Situationen, in denen das Leben auf den Kopf gestellt wird und Sorgen leicht überhandnehmen. Insgesamt besteht das Potenzial für Patient*innen, durch die eigene Suche nach Informationen mehr Kontrolle und Selbstbestimmung über Fragen zu ihrer Gesundheit zu erlangen.

Patientenrechte und Verantwortung

Diese neue Selbstbestimmung steht im Einklang mit den Anforderungen an Patient*innen. Sie entspricht der politischen Zielsetzung, die informierte und partizipative Entscheidungsfindung von Patient*innen zu stärken. So steht im Patientenrechtegesetz unter anderem, dass sich der oder die Einzelne in die medizinische Entscheidungsfindung einbringen soll und Verantwortung für die eigene Gesundheit trägt, statt diese (verantwortungsvoll) an Ärzt*innen abzugeben.

Elena Link

erhält für ihre Dissertation zur Rolle von Vertrauen und der Suche nach Gesundheitsinformationen den Deutschen Studienpreis 2019 der Körber-Stiftung. Sie forscht am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover.

Um diese Rolle auszufüllen, braucht es informierte Patient*innen. Sie sollten nicht nur ein gewisses Grundwissen mitbringen, sondern müssen vor allem über die notwendigen Kompetenzen verfügen, um relevante Informationen finden, verstehen und bewerten zu können. Statt die Motivation und Fähigkeit der Patient*innen wertzuschätzen, eine partizipative Rolle in der Behandlung einzunehmen, werden (vor-)informierte Patient*innen in der Arzt-Patienten-Interaktion allerdings weiterhin eher kritisch betrachtet.

Tatsächlich bleibt die zunehmende Gesundheitssuche im Internet auch nicht folgenlos für die Beziehung zwischen Ärzt*innen und Patient*innen, da sich zumindest die wahrgenommene Abhängigkeit von ärztlichem Fachpersonal verringert und bisher noch kein neues, gemeinsames Rollenverständnis besteht. Ärzt*innen sind nicht mehr Götter in Weiß, denen Patient*innen blind vertrauen.

Sinkendes Vertrauen

Das generell sinkende Vertrauen sollte uns, trotz aller Potenziale von Dr. Google, alarmieren. Denn Vertrauen ist und bleibt eine elementare Größe für die Arzt-Patienten-Beziehung. In kaum einem Lebensbereich erscheint es so unerlässlich, sich weitgehend vorbehaltlos auf andere zu verlassen, Verantwortung zumindest zu teilen und trotz empfundener Unsicherheiten und emotionaler Belastung einen Umgang mit der Situation zu finden.

Wollen wir das Vertrauen in Ärzt*innen schützen, schaffen fachliche Kompetenzen nur die Basis. Darüber hinaus kommt es auf interpersonale und kommunikative Kompetenzen an. Speziell gilt es, die veränderten und individuellen Erwartungen von Patient*innen zu erkennen – vor allem mit Blick auf unterschiedliche Informations- und Entscheidungspräferenzen. So macht beispielsweise eine qualitative Studie mit 34 Arthrosepatient*innen besonders deutlich, dass nicht alle Betroffenen gewillt oder in der Lage sind, selbst die Verantwortung für Entscheidungen zu tragen.

Die Forderung nach einem höheren Maß an Partizipation lässt sich somit teilweise nur schwer mit den Bedürfnissen von Patient*innen vereinen und führt dazu, dass sich einige Patient*innen vor den Kopf gestoßen oder sogar im Stich gelassen fühlen. Auf ähnliche Diskrepanzen weist auch eine für Deutschland repräsentative Befragung hin, die wir ebenfalls am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung in Hannover durchgeführt haben.

Internet als zweite Meinung

Im Gegensatz zu dem Wunsch, Entscheidungen zu delegieren, ist das Informationsinteresse deutlich höher ausgeprägt – allerdings unterschätzen dies Ärzt*innen häufig. Bleiben Fragen unbeantwortet, bietet das Internet eine zweite Meinung. Dies spiegelt sich ebenfalls in den Erkenntnissen der Repräsentativbefragung wider, die zeigt, dass geringeres Vertrauen in ärztliches Fachpersonal zu einer stärkeren Intention zur Nutzung des Internets führt.

Die Zuwendung zu Ärzt*innen oder zum Internet sollte allerdings kein Gegensatz darstellen, sondern eine Ergänzung der vorhandenen Stärken.

Wir brauchen einen Perspektivwechsel, durch den die eigene Recherche von Patient*innen nicht mehr verteufelt wird und Patient*innen stärker einbringen, dass sie sich selbst schon informiert haben. So können gezielte Hinweise auf vertrauenswürdige Informationsangebote durch Ärzt*innen sowohl das hohe Informationsinteresse ihrer Patient*innen besser befriedigen als auch dabei helfen, die durchaus knappe Zeit in ihren Sprechstunden effektiver auszunutzen.

Auf beiden Seiten setzt dies aber einen gewissen Grad an Medienkompetenz voraus, die es zu fördern gilt – nur so sind Patient*innen und Ärzt*innen in der Lage, adäquate Gesundheitsinformationen zu finden und von diesen zu profitieren. Ist dies gegeben, steht einem Mit- anstelle eines Gegeneinanders nichts mehr im Weg.

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6 Kommentare

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  • Mainzerin: "Kein Wunder, denn Medizin studierende Freunde haben mir berichtet, dass ihnen allen Ernstes von Professoren beigebracht wird niemals auf die Patienten zu hören, da sie so wie so lügen..."



    Bei aller Skepsis gegenüber der ärztlichen Zunft und der universitären medizinischen Lehre: diese Aussage kann ich (dank einschlägiger langer Erfahrung) nur für ausgedacht halten. Kommt mir vor wie: Ein Freund von einem Freund meiner Schwägerin hat gehört... Wenn das glaubwürdig sein sollt: bitte nennen Sie Ross und Reiter!

  • Ich verstehe mich als kompetenter Medizinlaie. Sicher brauche ich Ärzte als kompetente Fachleute an meiner Seite, aber sie sind m.E. keineswegs allwissend. Beispiel dazu Statine, ein lästiger Streitpunkt für beide Seiten. Nach schlechten Erfahrungen mit den Nebenwirkungen habe ich es nicht dabei belassen, das Standardwerk „Die Cholesterin-Lüge“ zu lesen, sondern habe mir als Statistiker die Studien über Statine angesehen und halte diese für ein wirtschaftlich begründetes Verbrechen an der Gesundheit der Patienten. Das sehen die meisten Ärzte anders - m.M., weil sie keine Statistiker sind und nicht so viel Zeit in eine so kleine Detailfrage investieren können. Ich mache ihnen deshalb keinen Vorwurf, aber ohne Google wäre ich diesen Machenschaften hilflos ausgeliefert gewesen.

  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Zu meiner Zeit gab es das Büchlein ‚ Lieber krank feiern, als krank arbeiten‘. In der Linken Szene war dies der Renner um sich mit der arbeitenden Bevölkerung zu solidarisieren. Natürlich würden die Aerzte belogen. Aber es ist nicht Aufgabe des Arztes herauszufinden ob der Patient die Wahrheit angibt, man setzt das voraus. In meiner Praxistätigkeit kamen viele Anfragen vom Gericht , da Patienten klagten wenn der Frühberentungsantrag abgelehnt wurde. Die Frage des Gerichtes war immer: Wie beurteilen Sie die Heilungschancen? Die Antwort war auch immer die Gleiche: Schlecht, da Rentenbegehren. Eigentlich logisch

    • @97287 (Profil gelöscht):

      Ich glaube, es hieß "Lieber krank feiern als gesund arbeiten". Liegt noch irgendwo bei mir auf dem Dachboden als Andenken, weil es mir nach abgelehnter KDV gute Dienste geleistet hat :)

  • Leider sind die Informationen aus dem Internet oft unerlässlich. Wieder und immer wieder hat man den Eindruck, dass man mit der richtigen Diagnose schon zum Arzt kommen muss, wenn es sich nicht um eine absolute Standarderkrankung handelt. Viele Ärzte scheinen nicht bereit zu sein weiter zu gucken.



    Einen Arzt zu finden, der einen wirklich ernst nimmt, ist oft ein langes Suchspiel. Kein Wunder, denn Medizin studierende Freunde haben mir berichtet, dass ihnen allen Ernstes von Professoren beigebracht wird niemals auf die Patienten zu hören, da sie so wie so lügen...



    Und was soll man von der Kompezenz von Krankenhäusern halten, in denen Krankenhauskeime immer noch ernsthafte Probleme beteiten und Patienten deshalb umkommen - während unser Nachbar Niederlande vormacht, wie es auch anders geht?



    Ja, ich kann verstehen, warum Mediziner die informierten Patienten kritisch sehen: ihr Stand als Götter in weiss verschwindet.

  • Zitat: „Auf beiden Seiten setzt dies aber einen gewissen Grad an Medienkompetenz voraus...“

    Ich fürchte, Medienkompetenz allein wird nicht ausreichen. Was wir brauchen, ist eine bessere Menschen-Kompetenz.

    Sich auf einzelne Menschen individuell einzustellen, statt alle gleich arrogant zu behandeln bzw. allen gleichermaßen zu misstrauen, ist ja wohl das Mindeste, was man von Menschen erwarten darf, die selber auch als Individuen verstanden und behandelt werden wollen. Es kann doch keine unlösbare Aufgabe sein, einen hinreichend kompetenten Menschen von einem anderen zu unterscheiden, wenn man sich ernsthaft auf die Leute einlässt, mit denen man zu tun hat, oder doch? Aber vielleicht ist ja genau das ein Problem. Für viele Ärzte, für viele Patienten und überhaupt für jeden, der sich in aller erster Linie für sich selbst interessiert - und dann erst mal sehr lange für weiter gar nichts: Solche Personen wollen gar nicht wissen, mit wem sie es zu tun haben. Pauschale Vorurteile sind Ihnen genug.