Opposition in Russland: Kinder als Druckmittel

Zwei russischen Familien wird nun doch nicht ihr Sorgerecht entzogen. Sie hatten mit ihrem Nachwuchs an Protesten teilgenommen.

"ich habe recht auf meinen Kandidaten", setht auf einem Plakat. Protest Ende Juli in Moskau

Demo für oppositionelle Kandidaten in Moskau. Neben Festnahmen gibt es auch andere Druckmittel Foto: reuters

MOSKAU taz | Sie haben noch einmal Glück gehabt: Zwei Familien, denen die russische Justiz das Sorgerecht entziehen wollte, dürfen sich weiterhin um ihre Kinder kümmern. Weil die Chomskichs und die Prokasows aus Moskau mit ihrem Nachwuchs auf nicht genehmigten Demonstrationen gewesen waren, hatte die Moskauer Staatsanwaltschaft auf Entzug des Sorgerechts plädiert.

Die Eltern hätten Leben und Gesundheit der Kleinen aufs Spiel gesetzt, hatte es geheißen. Ein Skandal, nicht nur für die Betroffenen. Am Montag entschieden zwei Moskauer Bezirksgerichte dagegen. Vorerst.

Angefangen hatte es mit Videobildern, die nach einer Moskauer Protestaktion am 3. August in den sozialen Netzwerken, später auch im russischen Staatsfernsehen aufgetaucht waren.

Pjotr Chomskich schiebt nach links, er schiebt nach rechts. Im Kinderwagen vor ihm liegt seine drei Monate alte Tochter. Die Räder aber haben sich verfangen, Chomskich stockt, versucht der Kette aus russischen Nationalgardisten hinter sich zu entkommen. Die Sicherheitskräfte, die bei nicht genehmigten Protesten stets hart durchgreifen, kommen der Familie immer näher – bis sie die Chomskichs mit ihren drei Kindern durchlassen.

Lebendes Schutzschild

Eine unangenehme Situation durch und durch. Pjotr und Jelena Chomskich müssen nachweisen, dass sie die Kinder nicht vernachlässigen. Die zwei jüngsten Töchter, drei Jahre und drei Monate alt, sollen in Obhut kommen.

Auch Olga und Dmitri Prokasow fanden sich aufgrund von Fernsehbildern bei einer Vernehmung durch das russische Ermittlungskomitee wieder. Ihr 14 Monate alter Sohn Artemi sei in Gefahr, hatte man ihnen mitgeteilt – weil die Eltern am 27. Juli mit ihm auf einer Demonstration gewesen seien und den Jungen, so die Ermittler, einem fremden Mann übergeben hätten. Dieser habe das Kind als lebenden Schutzschild benutzt, um nicht von der Polizei festgenommen zu werden.

Der „Fremde“, Sergei Fomin, ist ein Onkel von Artemi, der, so sagen die Prokasows, das Kind am Ende der Demo in einer Babytrage zur Metro trug. „Polizei war da nirgends“, sagte Dmitri Prokasow vor Gericht. Die Behörden nutzten die Kinder als Druckmittel: Juristisch sind die beiden Fälle absurd, politisch aber haben sie eine Logik.

Sergei Fomin, der Onkel des kleinen Artemi, gilt der Staatsmacht als einer der Beschuldigten im „Moskauer Fall“. 16 junge Männer sind in Haft, weil ihnen die Organisation von „Massenunruhen“ vorgeworfen wird.

Keine imitierte Demokratie

So interpretieren die Behörden die friedlichen Proteste, zu denen seit Wochen von einigen Hundert bis zu Zehntausende n Menschen auf die Straße gehen, weil es ihnen nicht mehr nur um die Wahl des Moskauer Stadtparlaments am 8. September geht, sondern um eine Zukunft, in der eine Wahl keine Imitation der Demokratie mehr ist.

„Politische Spaziergänge“ nennt die Moskauer Opposition die Protestzüge. Die Prokasows und auch die Chomskichs haben sich an solchen Aktionen beteiligt und zu einigen auch ihre Kinder mitgenommen.

Sergei Fomin, der Onkel von Artemi Prokasow, hat Unterschriften für die Oppositionskandidatin Ljubow Sobol gesammelt. Er gilt als Organisator der „Unruhen“, weil er Losungen wie „Für ehrliche Wahlen“ gerufen haben soll.

Im diffamierenden TV-Beitrag über ihn und die angeblichen Rabeneltern Prokasow wird Fomin als „Spezialist der Straßentaktik im Stile der Maidan-Technologie“ genannt. Sollte Fomin, der sich selbst stellte, verurteilt werden, drohen ihm mindestens acht Jahre Haft.

Pjotr Chomskich gilt den Behörden als „Provokateur“, weil der ITler sich auch an Aktionen des Antikorruptionskämpfers Alexei Nawalny beteiligt hat. Er soll sich nun von Nichtregierungsprotesten fernhalten. „Ändern Sie die Haltung zu Ihren Kindern“, gab ihm das Gericht nach der Verhandlung mit auf den Weg. Am Ende bleibt es eine Verwarnung der Familien. Eine, die es in sich hat.

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