Unzufriedene Deutsche: Eine halbe Dekade German Shit
Die zentrale Auseinandersetzung in der Demokratie müsste die um Gleichheit sein. Die Liberalen scheißen drauf, die Rechten freut's. Uff.
U ff, schon fünf Jahre „German Angst“. Damit meine ich nicht die AfD. Sondern diese Kolumne. Besser wurde in der Zeit ja nicht viel. Eine halbe Dekade German Angst war eine halbe Dekade German Shit, eher Angst vor Deutschland als German Angst. Klar, das liegt auch an der AfD. Aber beileibe nicht nur.
Wie kommt es zum Beispiel, dass, während der Faschismus lautstark um die Ecke stolpert, so viele sich zu Nebenkriegsschauplätzen aufmachen. Wobei die Plätze gar nicht so abseitig sind. Denn der Kern der Auseinandersetzung über Demokratie ist der Kampf um Gleichheit – doch die Ungleichheit gewinnt täglich mehr Fürsprecher*innen. Während die radikale Rechte die Demokratie abschaffen möchte, wird von Liberalen und Neocons an der Zugänglichkeit der Gesellschaft für alle gesägt. Nein, eher drauf geschissen.
Vollkommen klar: Ungleichheit wächst – ungleicher Zugang zu Bildung, Arbeit und anderen sozialen und vor allem ökonomischen Ressourcen. Armut durch Hartz IV. Mietenexplosion. Usw. Und für immer mehr Menschen hat es den Kompromiss zwischen Demokratie und Kapitalismus nie gegeben, etwa für wachsende Bevölkerungsgruppen, die nicht Teil des sozialkapitalistischen Modells sind. Sie müssen prekarisierte Arbeiter*innen bleiben, die an der Peripherie gehalten werden.
Und sie wäre lustig, diese dem hanebüchenen Erfolgsversprechen des Kapitalismus auf den Leim gegangene Fehleinschätzung der Welt, diese tiefe Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen – wäre sie nicht bitterernst: „In Deutschland gibt es keine Leistungsgerechtigkeit mehr“ (Ulf Poschardt) – für Reiche, „Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut“ (Jens Spahn), „Der Flirt mit der Öko-Diktatur ist die dunkle Seite der Klimadebatte“ (Jan Fleischhauer), „Warum gehört man so schnell zur Oberschicht?“ (Bild). Keinen „regulären“ Job und keine Wohnung: selbst schuld. Brutal. Und brutal dumm. Es freut vor allem die Rechte, deren Arbeit, nämlich die Radikalisierung von Ungleichheit, hier betrieben wird.
Dazu passt, dass in Umfragen mehr als die Hälfte der Deutschen nicht mehr zufrieden sind mit der Demokratie. Seit wann sind sie so unzufrieden? Seit 2015/16, als Deutschland die Staatsgrenzen nicht abriegelte. Denn ab da galt die Demokratie nicht nur exklusiv für sie, sondern auch für jene Geknechteten, auf deren Rücken der gesellschaftliche Reichtum gewachsen ist. Gleichheit und Demokratie sind so lange etwas Erstrebenswertes, wie sie nur für Deutsche gelten. Dass mit den „Deutschen“ nicht alle Deutschen gemeint sind – eh klar.
Wie ein Freund immer sagt: Je schlimmer, desto schlimmer. Zurück zum Anfang. „German Angst“ existiert fast so lange wie die AfD. „German Angst“ geht daher mit gutem Beispiel voran und verschwindet. Einfach so. Von diesem Tag auf den anderen. Follow me, AfD! Allen anderen: Tschüss, es war schön!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch