piwik no script img

Grün-rot-rote BundesregierungZurück zur sozialen Frage

Die CDU tut so, als stünde der Sozialismus vor der Tür. Was würde Grün-Rot-Rot ändern? Einiges. Doch radikal wäre so ein Linksbündnis nicht.

Grün-Rot-Rot wird für die Parteien keine Idylle. Foto: imago-images/Panthermedia

Berlin taz | Machen wir mal etwas Verrücktes. Ignorieren wir die hilflose Rote-Socken-Kampagne der CDU, die angesichts der grün-rot-roten Verhandlungen in Bremen wieder mal so tut, als stehe der Sozialismus vor der Tür. Reden wir stattdessen über Inhalte. Was würde Grün-Rot-Rot tatsächlich in Deutschland ­ändern?

Klar ist: Bei Grün-Rot-Rot sind die Schnittmengen im Bund viel größer als bei Schwarz-Grün. Zu diesem Schluss kommt man, wenn man die Programme vergleicht. Der Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung hat vor der Europawahl die Programme aller Parteien ausgewertet. Die NutzerInnen konnten 38 Thesen anklicken, um ihre Präferenz zu erfahren. Grüne, SPD und Linke vertreten bei 26 dieser Thesen die gleiche Position, Union und Grüne nur bei 15 Thesen.

Eine grün-rot-rote Bundesregierung würde wahrscheinlich den Sozialstaat erneuern. „Die soziale Frage wäre der Kern eines Bündnisses“, sagt Sven Lehmann, sozialpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion und Befürworter von Linksbündnissen. „Eine neue Grundsicherung, höhere Mindestlöhne und armutsfeste Renten, bei diesen Themen ist die Union bisher das Hemmnis für echte Fortschritte.“

Alle drei Parteien wollen zum Beispiel Hartz IV verabschieden – und durch eine neue Grundsicherung ersetzen. Die Grünen fordern eine sanktionsfreie Grundsicherung mit höheren Regelsätzen, die laut Parteichef Robert Habeck auf Anreize statt auf Strafen setzen soll. Die Linkspartei, die das Copyright auf die Hartz-IV-Abschaffung hat, will eine sanktionsfreie Mindest­sicherung von 1.050 Euro.

Auch die SPD hat sich unter Andrea Nahles dazu durchgerungen, das toxische Thema anzufassen. Sie ist aber vorsichtiger. Die Sozialdemokraten würden bei ihrem „Bürgergeld“ die Sanktionen für jüngere Arbeitslose abschwächen, sie aber nicht grundsätzlich abschaffen. Ältere Arbeitslose sollen nicht so schnell aufs Grundsicherungsniveau fallen wie bisher. Die Höhe der Regelsätze bliebe gleich. Trotz solcher Unterschiede könnte sich Grün-Rot-Rot sicher verständigen. Sozialpolitiker Lehmann hält „spürbare Verbesserungen“ für möglich.

Ähnlich sieht es anderswo aus. Grüne, SPD und Linke fordern unisono eine Kindergrundsicherung. In ihr würden unterschiedliche Leistungen für Kinder gebündelt. Die drei Parteien sind sich auch einig, dass der Mindestlohn steigen muss. Die Linke will ihn auf 12 Euro pro Stunde erhöhen, selbst SPD-Finanzminister Olaf Scholz sieht das so. Denkbar wäre, dass Grün-Rot-Rot die Kommission, die den Mindestlohn festlegt, auf neue Kriterien verpflichtet, etwa die Vermeidung von Altersarmut.

Verteilungspolitik

Die Vermögen sind in Deutschland sehr ungleich verteilt. Die wohlhabendsten 10 Prozent der Haushalte besitzen etwa 60 Prozent des Gesamtvermögens, stellt die Hans-Böckler-Stiftung fest. Die Union tut viel dafür, dass das so bleibt. Sie stemmte sich in diversen Wahlkämpfen gegen Steuer­erhöhungen, setzte in der letzten Groko eine windelweiche Erbschaftsteuerreform durch und schützte so die Privilegien der Reichen.

Grüne, SPD und Linke stünden für mehr Umverteilung von oben nach unten. Doch die Leidenschaft ist unterschiedlich ausgeprägt. Die Grünen sind laut Programm für eine Vermögensteuer und für die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen. Ihre Spitzenleute scheuen aber klare Ansagen in der Steuerpolitik, weil sie konservative WählerInnen nicht verschrecken wollen. Auch die SPD agiert moderat. Sie fordert eine leichte Anhebung des Spitzensteuersatzes, außerdem arbeitet sie an einem Konzept für eine Vermögensteuer. Die Linkspartei geht radikaler zu Werke: Vermögensteuer von 5 Prozent, Spitzensteuersatz von 75 Prozent auf Einkommen oberhalb von einer Million Euro. So etwas wäre weder mit der SPD noch mit den Grünen zu machen.

Eine radikal neue Finanzpolitik könnte Grün-Rot-Rot sowieso nicht betreiben. Das würde die Schuldenbremse im Grundgesetz verhindern, die die SPD 2009 mit beschlossen hat.

Außenpolitik

Als Sollbruchstelle eines Linksbündnisses gilt die Sicherheits- und Außenpolitik. Die Linke werde sich nicht an einer Regierung beteiligen, die „Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt“, heißt es im Wahlprogramm. Das ist weniger apodiktisch, als es klingt. Wo kämpft die Bundeswehr noch – und wo bohrt sie Brunnen? Diese Debatte wird in der Linken seit Jahren differenziert geführt. Die Antikapitalistische Linke scheiterte auf dem Parteitag 2017 damit, den Begriff „Kampfeinsätze“ durch „Auslandseinsätze“ zu ersetzen – was faktisch alle Bundeswehreinsätze verhindern würde.

Linkspartei-Reformer wie Stefan Liebich leiten daraus ab, dass Grün-Rot-Rot an Bundeswehreinsätzen nicht scheitern müsste. „Wir sind uns einig: Die Kampfeinsätze in Mali und Afghanistan müssen beendet werden“, sagt Liebich, außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. „Aber ich finde auch immer noch, dass wir uns jeden von den UN beschlossenen Einsatz im Einzelfall anschauen müssen.“ Heißt: Da ginge was. Manche Bereiche wären sofort kompromissfähig.

Bei der Rüstungspolitik stellt Liebich fest, dass alle drei Parteien weniger Rüstungsexporte wollen. „Hier wäre ein echter Kurswechsel möglich.“ Und manche Ansagen der Linken darf man nicht so ernst nehmen. Im Programm fordert sie, die Nato aufzulösen – zugunsten eines Sicherheitssystems, das Russland miteinbezieht. Doch allen ist klar, dass diese Forderung in einem Regierungsbündnis keine Chance hätte.

Problematischer ist die romantische Russland-Verklärung in Teilen der Linken. Putins autokratische Politik, die Unterdrückung der freien Presse oder der Opposition werden schöngeredet, die Wirtschaftssanktionen der EU als kontraproduktiv angesehen. Da gäbe es Redebedarf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Auch RGR wird an den Symptomen nur rumdoktern, sie aber nicht beseitigen können. Mittlerweile ist jeder 4. Arbeiteitnehmer prekär beschäftigt, Tarifverträge haben gibt es hier kaum, Mindestlohn wird umgangen, da er kaum überprüft werden kann. Und wenn die Konjunktur schwächeln sollte, stehen alle Traume von RGR zur Disposition. Ohne Bewegungen der Betroffenen geschieht nichts, aber bei uns lässt man die Gelbweste ja lieber im Kofferraum.... "Es rettet uns kein Höhres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun!" Fragen wir Günter Jauchs Kandidaten, woher diese Zeilen stammen......

  • Bei 5% Vermögenssteuer müsste Frau Klatten, wenn BMW keine Dividende mehr zahlt, mit 17.738.938.053 € ihr Überleben fristen. Das ist gegen die Menschenwürde.

  • Schade - und ich hatte mich schon darauf gefreut, dass jetzt endlich mal der Sozialismus vor der Tür steht. Ohne den, wird sich hier jetzt wohl kaum noch was drehen können. «(º¿º)»

  • Machen wir mal etwas völlig Verrücktes. Fragen wir mal nicht ein – von wem auch immer programmiertes – Statistikprogramm (den Wahl-o-Mat etwa), sondern unsere eigene logische Vernunft: Was würde Grün-Rot-Rot tatsächlich ändern in Deutschland?

    Vermutlich gar nichts. Wie das? Ganz einfach: Jede Gesetzesänderung muss begründet werden von denen, die den entsprechenden Vorschlag einbringen. Über die Begründung aber darf anschließend diskutiert werden. Und wenn diskutiert wird über das Für und Wider eines Gesetzentwurfs, wird vermutlich auch unter Rot-Rot-Grün auffallen: Der Bundestag ist kein Tuschkasten für Grundschüler. Es gibt keine Teilung zwischen zwei Reihen von Farben. Die „Front“ verläuft zwischen verschiedenen Menschenbildern. Die aber sind in allen Parteien vertreten.

    Da gibt es etwa den Neoliberalismus. Der ist zwar ein Euphemismus, aber ein starker. Er hält von Liberalität gar nichts, sondern unterstellt, dass der Mensch als solcher nur mit Gewalt daran gehindert werden kann, böse zu sein. Ein guter Mensch ist für ihn ein Mensch der sich fürchtet. Dem gegenüber steht der etwas angestaubten Sozialstaats-Gedanke. Der ist ursprünglich mal davon ausgegangen, dass der Mensch eigentlich nicht böse ist, dass er aber nicht oft dazu kommt, wirklich gut zu sein. Der will die Angst am liebsten abschaffen.

    Mir persönlich scheinen beide Thesen nicht so ganz artgerecht zu sein. Der Mensch hat schließlich einen freien Willen. Er kann sowohl als auch. Die Mehrzahl aller Abgeordneten (und ein Großteil aller Wähler) steckt leider noch immer im Konfrontationsmodus fest. Wie vor 30 Jahren kann er nur Pro ODER Contra sein, aber nicht beides gleichzeitig.

    Ja, pfeift auf die hilflose Rote-Socken-Kampagne der CDU. Denn auch in der SPD, bei den Grünen und selbst unter den Linken gibt es Neoliberale. Mit den entsprechenden Wählern aber will es sich keine der drei Parteien verderben. Es wird also alles so bleiben, wie es jetzt ist. Zu viel Profit, stupid. Und zwar in allen Farben.

  • 0G
    05653 (Profil gelöscht)

    Die Botschaft hör ich wohl. Allein mir fehlt das imparative Mandat.

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Sind ja gute Aussichten, wenn es denn so kommt. Ich bezweifle allerdings ob dies dann auch umgesetzt wird.



    Dies hier:



    "Die Linkspartei, die das Copyright auf die Hartz-IV-Abschaffung hat, will eine sanktionsfreie Mindest­sicherung von 1.050 Euro."



    würde ein Fragezeichen hinterlassen, bei allen, die ihren Rentenbescheid lesen.



    Nach 40 Jahren Arbeit erreicht man als Rentner/in in einem normalen Job den o.g. Betrag nicht.



    Dann müßte aber gleichzeitig das Rentenniveau wieder steigen, und zwar um etliche Prozentpunkte.



    Ansonsten würde es sich nicht lohnen, sich so abzurackern.



    Schaun wir mal, wie es wird.

  • Wenn es den linken Parteien mit der sozialen Gerechtigkeit und dem Umwelt- und Klimaschutz ernst ist, dann kommen sie um eine rigorose Begrenzung von privatem Einkommen und Vermögen gar nicht drumherum.

  • Ich denke die Schnittmengen zwischen schwarz und grün sind inwzschen höher als zwischen Grünen und Linkspartei, besonders im Westen.

  • 9G
    95309 (Profil gelöscht)

    Von was reden Sie?

    Herr Kühnert Parteichef in spe, hat gerade die Vergesellschaftlichung der Produktionsmittel gefordert sowie eine Erbschaftsteuer von 100 %, in Berlin möchte RRG enteignen, laut Herrn Trittin und Frau Barley übrigens ein ganz normaler Vorgang, kommt täglich vor, und Sie schreiben, ach macht Euch keine Sorgen, diesmal klappt das mit dem Sozialismus, wird schon nicht so schlimm?

    • @95309 (Profil gelöscht):

      Hören Sie eigentlich zu? Ich wüsste nicht wo Kevin Kühnert die Vergesellschaftung der Produktionsmittel gefordert hätte. Er hat die demokratische Kontrolle darüber eingefordert. Was haben Sie sich unter den Nagel gerissen, das Ihnen das Sorgen macht?



      Und selbstverständliches die Erbschaftsteuer zu niedrig. Was hat denn der grenzdebile Prinz dafür getan das er selbstverständlich davon ausgeht seine Königsmutter oder seinen Königsvater zu beerben?

    • @95309 (Profil gelöscht):

      Ja, wird's ja auch nicht.

    • @95309 (Profil gelöscht):

      Wo haben Sie das mit den 100% Erbschaftssteuer? Auch die "Enteignung" in Berlin, so sie überhaupt durchkommt wäre mit Ausgleichzahlung, bei der die Heuschrecken -äh- Wohnungsbauunternehmen eine gute Schnitte machen würden.

      Tipp: gegen Hyperventilieren hilft, in eine Tüte aus-und einatmen, bis 10 zählen.

  • Fast sämtliche Kennzahlen für sozioökonomische Gerechtigkeit sind schlechter als nach 16 Jahren Regierung Kohl.

    Mehr muss man eigentlich nicht dazu sagen...

  • Ich hoffe die Grünen und die Verräterpartei "vergessen" dann nicht wieder die Legalisierung/Entkriminalisierung von Cannabis. Gerade die SPD hat wieder einmal mehr gezeigt das sie Umfaller sind.

    "Weit über ein Jahr hat der Bundestag die zukunftsweisenden Anträge der Opposition zu Cannabis liegen lassen. Heute hat der Gesundheitsausschuss nun den Antrag der FDP zur rechtlichen Klarstellung kommunaler Modellprojekte und den Antrag der Linken zur Entkriminalisierung der Konsumenten abgelehnt. Die SPD zeigt sich damit weiter reformunfähig und die FDP überrascht und enttäuscht, indem sie zusammen mit der Großen Koalition den Antrag der Linken abgelehnt hat.

    Quelle: hanfverband.de/nac...riminalisierung-ab