Habt ihr es verkackt?

Wir, die U24-Leser*innen, haben zum 40. Geburtstag der taz die Redaktion besetzt, um den älteren Generationen unsere Sicht auf die Welt deutlich zu machen

Illustration: Nadine Fischer

Ja,beim Klima

Letzten Sommer verbrachte ich viel Zeit damit, auf flachen Dächern zu liegen, in den Himmel zu schauen und darüber nachzudenken, ob es moralisch in Ordnung ist, Kinder in diese Welt zu setzen. Ich hatte eine Phase, in der ich die ständigen Meldungen über den Klimawandel nicht ausblenden konnte, und zweifelte an meiner Lebensplanung.

Vor ein paar Nächten träumte ich von einer großen Katastrophe, die durch den Klimawandel ausgelöst wurde und die Menschheit auslöschte. Im Traum fühlte ich Verzweiflung über die Ungerechtigkeit, dass wir in diese Welt geboren wurden und nun die Konsequenzen des verantwortungslosen Handelns der Generationen vor uns ausbaden mussten. Dann kletterten Greta Thunberg und der österreichische Rapper Yung Hurn auf einen Berg und fanden Schnee, und damit konnte die Welt in meinem Traum glücklicherweise vor dem Untergang bewahrt werden.

Der menschengemachte Klimawandel bedroht meine Entscheidungsfreiheit und verschlechtert mein Lebensgefühl. Ich fühle Machtlosigkeit und Ungerechtigkeit, und ja, dafür mache ich die Generationen vor uns verantwortlich, die viel zu lange untätig geblieben sind. Jetzt lastet die Verantwortung auf unseren Schultern. Judith Gebhardt

Ja,in der Politik

Bei der EU-Urheberrechtsreform hat sich gezeigt: Es fehlt ein Bewusstsein dafür, dass man junge Menschen für die Demokratie begeistern muss und ihnen nicht den ausgestreckten Mittelfinger zeigen sollte, wenn sie sich politisch einbringen. Es waren am Ende über 200.000 Menschen auf der Straße, um ihre Kritik an dem neuen EU-Urheberrecht zum Ausdruck zu bringen, und überwiegend waren sie sehr jung.

Diese Menschen fühlen sich verarscht von der Politik – sie wurden nicht ernst genommen. Es geht einfach nicht, dass Menschen, nur weil sie jung sind, nicht angehört werden. Ihre Argumente gegen die EU-Urheberrechtsreform wurden kaum gewürdigt. Lieber hat man sich darauf verlagert, die Demonstranten mit unsachlichen und undemokratischen Methoden zu bekämpfen. Warum sollten sich diese jungen Leute in Zukunft noch mal für ein Thema einsetzen, wenn ihre erste Erfahrung mit der angewandten Demokratie ist, dass man sie als Bots diskreditiert, statt auf ihre sachlichen Argumente sachlich einzugehen?

Hausaufgabe für die Zukunft: immer mitdenken, dass diese Menschen die Welt von morgen gestalten, und wenn sie nicht an die Demokratie glauben, dann wird es keine Demokratie mehr geben. Thilo Hoeland

Ja,bei der Rente

Die gesetzliche Rente ist tot. Jedenfalls auf lange Sicht. Auf die Sicht meiner Generation.

Grund ist der demografische Wandel. Es gibt immer mehr alte Menschen, die von immer weniger jungen Menschen finanziert werden müssen. Auch Zuwanderung wird das Pro­blem nicht lösen. Dazu kommt, dass die gesetzliche Rente ein reines Umlagesystem ist: Es wird nichts angespart.

Die Zukunft des gegenwärtigen Rentensystems hält zwei Wege bereit: Um das Rentenniveau halten zu können, müssten viel mehr Kinder her. Wonach es nicht aussieht. Der andere Weg ist, dass die Rente deutlich sinkt. Auch keine gute Lösung.

Eine wegweisende Entscheidung ist nötig. Um das Niveau zu halten, muss die Rente in Zukunft massiv durch Steuern querfinanziert werden – oder der Bürger sorgt, wie vor Bismarcks Zeiten, privat vor. Wofür aber Subventionierung und Hilfe der Regierung nötig wären. Bis jetzt ist noch keine Entscheidung zu erkennen – und wir schlittern langsam, aber sicher in die Katastrophe. Svetlana Leitz

Jein,beim Feminismus

Wenn „ihr“ gleichbedeutend seid mit „denen da oben“, dann habt ihr echt eine ganze Menge verkackt. Ein Beispiel: der sogenannte Kompromiss beim Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche. Nach langem Streit und bundesweiten Demonstrationen wurde der § 219a nicht abgeschafft, sondern lediglich erweitert – um Augenwischerei. Nach wie vor werden Frauen bevormundet, dürfen Ärzt*innen nicht ausreichend über Schwangerschaftsabbrüche informieren. An dieser Stelle also: Ja, ihr habt verkackt!

Wenn „ihr“ aber die Frauen seid, an deren Seite ich immer wieder auf die Straße gehe, dann fällt mein Resümee deutlich anders aus. Ihr habt es nicht verkackt. Ihr seid immer noch da, ihr kämpft mit uns – für Selbstbestimmung. Für eine Gesellschaft ohne Diskriminierung. Ihr seid Feministinnen, ihr seid Omas gegen rechts, und obwohl ihr keine Superheldinnen seid und uns viel Arbeit übrig gelassen habt, seid ihr das Sinnbild dafür, dass uns niemand kaputtkriegt. Aylin Braunewell

Nein, bei Europa

Als ich im Jahre 1998 geboren wurde, gab es die Europäische Union bereits seit fünf Jahren. Die EU ist der Grund dafür, dass wir problemlos in jeden Mitgliedsstaat reisen und roamingfrei surfen können. Auch dass wir in unseren jungen Jahren keine Kriege miterleben mussten, ist ein großes Privileg. Dies haben wir euch zu verdanken.

Zu sagen, „alles Kacke“, ist einfach. Viel schwieriger wird es, wenn wir uns konstruktiv mit Problemen auseinandersetzen müssen. Dabei spielen wir und ihr eine wichtige Rolle. Lasst uns nicht nur darüber meckern, was gestern war, sondern daran arbeiten, dass das Morgen besser wird. Die EU ist bei Weitem nicht perfekt, sondern ein Projekt, das immer wieder verbessert werden muss. Glaubwürdige Zusammenarbeit beim Klimaschutz zum Beispiel. Die Zukunft wird genau so gut, wie wir sie jetzt ­machen. Carlotta Borges