Antifa-Kunstaktion „Soko Chemnitz“: Schon die Kontroverse ist ein Erfolg
Lange wurde über Kunst nicht so gestritten, wie über die „Soko Chemnitz“. War die Aktion wirklich aufklärerisch oder doch nur Wichtigtuerei?
Kunst soll, so wird oft gesagt, hinterfragen, irritieren, zu Diskussionen anregen, Sehgewohnheiten brechen, provozieren. Gemessen daran muss man nüchtern feststellen: Die Kunst-Performances des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS) sind ein voller Erfolg. So erbittert, leidenschaftlich und kontrovers wurde sich schon lange nicht mehr mit Kunst auseinandergesetzt wie angesichts der Aktionen der Politkünstler, die sich selbst als Vertreter eines „radikalen Humanismus“ sehen.
Ihr jüngstes Projekt mit dem Namen „Soko Chemnitz“ löste einigen Aufruhr aus. „Wer kennt diese Idioten?“, fragten sie auf einer Internetseite und zeigten dazu Fotos von über 1.500 Personen, von denen das ZPS behauptete, sie seien bei den rechtsradikalen Aufmärschen in Chemnitz vor drei Monaten dabei gewesen. Neben bekannten Szene-Aktivisten fanden sich dort zahlreiche bisher der Öffentlichkeit Unbekannte.
Auf diese Weise, behaupteten die Aktionskünstler, wolle man die rechten Aufmarschierer enttarnen und sie ihren Arbeitgebern gegenüber bloßstellen, um sie „aus der Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst zu entfernen“. Für sachdienliche Hinweise zur Identifizierung der Personen wurde ein Kopfgeld ausgelobt, je nach Wertigkeit des Fangs zwischen 5 und 100 Euro schwankend. In einem angemieteten Ladenlokal in der Chemnitzer Innenstadt wurden die de-facto-Steckbriefe auch vor Ort ausgehängt.
Die Reaktionen waren kontrovers, es hagelte teils erbitterte Kritik und schließlich auch Abmahnungen und Strafanzeigen. Dass die Aktion auch mit satirischen Mitteln arbeitete, war unübersehbar: „Denunzieren Sie noch heute Ihren Arbeitskollegen, Nachbarn oder Bekannten“ hieß es etwa auf der Seite, erkennbar eine Spiegelung der vieldiskutierten AfD-Lehrer-Denunziationsforen.
Neue Wendung
Auch der Sprachgebrauch („Gesinnungskranke“) war teils ein direkter Aufgriff von Nazi-Jargon. Das Vorgehen erinnerte zudem an die immer wieder kursierenden Steckbriefe von Nazis, mit denen diese Linke öffentlich zum Abschuss freigeben, oder an die Personenfahndung durch Polizei und Bild-Zeitung nach den G20-Krawallen in Hamburg.
Am Mittwoch gab es dann eine neue Wendung: „Danke liebe Nazis! It was a ´honeypot´“, postete das ZPS auf Twitter. Die Bilder der Gesuchten sind nun wieder aus dem Netz genommen worden, denn, so das ZPS in einer neuen Erklärung, die ganze Aktion habe in Wahrheit nur das Ziel verfolgt, möglichst viele Beteiligte des „Netzwerks Chemnitz“ anzulocken. Die hätten dann auf der Seite zunächst nach sich selbst gesucht, sich auf diese Weise identifiziert und, weil sie auch nach ihren Kameraden schauten, so ihre Kontakte und Verknüpfungen ungewollt offengelegt.
Empfohlener externer Inhalt
All diese Informationen seien gesammelt worden, man verfüge damit, so das Zentrum, „über das Relevanteste, was es an Daten in Sachen Rechtsextremismus in Deutschland aktuell gibt“. Gerne stelle man diese Erkenntnisse den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung: „Wenn zum Beispiel der Bundesinnenminister mehr wissen will und Lust auf einen Kaffee mit uns hat, dann soll er vorbeikommen.“ Aber er müsse sich dann auch „auch ein paar kritische Töne anhören für das, was er in diesem Jahr geliefert hat.“ Uff. Horst Seehofer wird begeistert sein.
Alles nur ein Fake also? Tatsächlich Zuarbeit für Ermittler? Investigativ-Kunst? Satire und Aufklärung? Oder doch eher Wichtigmacherei von ein paar durchgeknallten Geltungssüchtigen, die damit die Spaltung der Gesellschaft noch vertiefen und den Rechtsstaat aufweichen?
Nähme man die Aussagen vom ZPS und seinem Sprecher Philipp Ruch für bare Münze, sind Zweifel angebracht. Schon die Ausgangsaktion hatte ihre Fallstricke. Zwar beteuerte das ZPS, sozusagen nur wasserdichte Nazis ans Messer zu liefern, die sich über eindeutige Aktionen und Stellungnahmen im Netz selbst entlarvt hätten. Um diese zuzuordnen, habe man ausschließlich legale Software eingesetzt, deren Verbot man im Übrigen empfehle, eben weil sie ein weitreichendes Ausspionieren von Menschen ermögliche. Womit ganz nebenbei auch noch eine Datenschutzdebatte eröffnet wird.
Soll jetzt eine Bürgerwehr staatliches Handeln ersetzen?
Dennoch bleibt natürlich die Frage, inwieweit nicht auch „Unschuldige“ betroffen gewesen sein könnten. Und was, wenn auf diese Weise öffentlich angeprangerte Menschen tätlich angegriffen werden? Auch dazu gibt es schließlich spiegelbildliche Vorlagen – man denke nur an den Lynchmob, der nach einem öffentlichen Fahndungsaufruf kürzlich einen mutmaßlichen Kinderschänder überfallen hat.
Und ja, die Vertuschungs- und Bagatellisierungsversuche höchster Stellen bis hin zum Verschwörungstheoretiker Maaßen samt der wenig enthusiastisch wirkenden Aufklärungsarbeit der zuständigen Behörden sind erbärmlich – aber soll jetzt quasi eine Bürgerwehr von der anderen Seite eigenmächtig staatliches Handeln ersetzen, selbst wenn es der gerechten Sache dient?
Ähnlich zwiespältig wirken die Erläuterungen zur jüngsten Drehung. Honigtopf hin oder her, aber ist es wirklich plausibel, dass sich auf diese Weise Nazi-Netzwerke selbst geoutet haben? Wäre nicht ebenso sehr zu erwarten, dass Nachbarn oder Kollegen die überraschend aufgetauchte Datenbank genutzt haben, um die Neugier zu befriedigen oder mal zu schauen, ob sich nicht ein paar Euro verdienen lassen, indem man Namen missliebiger Zeitgenossen eingibt?
Das ZPS verweist zwar auf seine angeblich höchst effiziente Software-Entwicklung; deren Funktionsweise allerdings kann natürlich derzeit niemand nachvollziehen, sodass man bei der Beurteilung ausschließlich auf die Informationen der Aktionskünstler angewiesen ist, die sich nun aber selbst als nicht sonderlich zuverlässige Quelle erwiesen haben; und natürlich laufen auch die Medien und damit dieser Artikel Gefahr, Teil des Spiels zu werden – Böhmermanns #Varoufake lässt grüßen.
Immerhin aber ist sicher, dass das ZPS ein Schlaglicht auf eine ganze Reihe an Problemen geworfen hat, von der Mobilisierung rechter Gruppen über den Umgang mit Internet-Prangern bis zu Datenschutz und dem staatlichen Handeln rund um Chemnitz. Wollte man am Donnerstagvormittag zur weiteren Recherche die vom ZPS angegebene Seite soko-chemnitz.de aufrufen, erhielt man über Stunden nur die Meldung: „Error establishing a database connection“ – womöglich die sinnfälligste Zusammenfassung dieser Kunstaktion.
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