Debatte SPD-Abstimmung zur Groko: Auf dem Weg zum Kollaps

Die Groko-Gegner Kühnert & Co wollen nicht zu viel, sie wollen zu wenig. Warum die SPD trotz aller Skepsis Ja zur Großen Koalition sagen sollte.

Zwei rote Türen, auf einer steht ja auf der anderen Nein

Soll sie's wirklich machen oder lässt sie's lieber sein? Foto: Imago/Westend61

In der SPD ist derzeit viel von Erneuerung die Rede. Man sollte darauf nicht viel geben. Der Schwur, es werde kein „Weiter so“ geben, ist nur ein Rhetorik-Placebo, das verabreicht wird, um zweifelnde Neinsager umzustimmen. Die SPD ist, aller Basisdemokratie zum Trotz, eine auf Macht und Staat fixierte Organisation. Wenn regiert wird, spielt die Partei keine Rolle mehr. Da tickt die SPD nicht anders als die Union.

Die Sozialdemokratie steckt in fast ganz Europa in einer Identitätskrise. Sie ist zerrissen zwischen dem unter Schröder und Blair schon aufgegebenen (und bis heute nur halbwegs reparierten) Anspruch, Partei der kleinen Leute zu sein, und jenem, die Interessen aufstrebender, individualisierter Bildungsaufsteiger zu vertreten. Milieu­parteien wie Grüne oder FDP tun sich in sozial und in Sachen Lebensstil zerklüfteten Gesellschaften leichter – Volksparteien, vor allem die der linken Mitte, scheint dieser Spagat zu rui­nieren. Die Unterschicht neigt zu Rechtspopulisten, die hedonistischen Städter zu liberalen Milieuparteien. Wo ist der Ort der Sozialdemokratie?

Die Aussicht, nun schon wieder mit der Union zu regieren, ist trübe. Die nötige Besinnung auf das, was die SPD sein will, wird schnell von der Regierungslogik verdrängt werden. Der SPD wird es in der nächsten Regierung mit der Union kaum besser ergehen wird als in den letzten beiden Koalitionen. Da haben Juso-Chef Kühnert und die Groko-Gegner recht. Union und SPD verschmelzen im Kabinett zu einem Komplex, bei dem das Publikum kaum noch Differenzen wahrnimmt. Das verschärft die Identitätskrise der SPD, und es verschleppt die Krise der Demokratie. Wenn Merkel und Nahles regieren, scheint wieder alles im Normalmodus. Aber das ist eine Täuschung. Die auf Dauer gestellte Große Koalition ist das Symptom eines Systems auf dem Weg zum Kollaps.

Bei der nächsten Wahl wird die SPD wieder vor einem kaum lösbaren Problem stehen und einen verlegenen Wahlkampf inszenieren wie 2017. Denn sie ist eingeklemmt in einem unschlüssigen „Ja, aber“. Sie ist, anders als die Union, unfähig, eigene Erfolge in der Regierung zu feiern – und erst recht unfähig, eine markige Kampagne für soziale Gerechtigkeit anzuzetteln. Denn das ist auch eine Kampagne gegen sich selbst – die Partei, die in den letzten 20 Jahren fast immer mitregiert hat.

Endlich mal aus der Rolle springen?

Also Nein sagen? Endlich aus der Rolle der ewig staatstragenden Partei ausbrechen, die elende Logik des Sachzwangs sprengen? Wenn die Basis am Sonntag Nein sagt, wird ziemliche Konfusion ausbrechen. Die Parteispitze hat keinen Plan B, wie Andrea Nahles freimütig kundtat. Vielleicht wird sie zurücktreten, vielleicht in der rauchenden Rui­ne weiter Schlossherrin spielen.

Nun entsteht das Neue ja oft aus dem unkontrollierten Zusammenbruch, aus dem Chaos, der wilden Mixtur von Zufällen und Zuspitzungen. Vielleicht braucht die SPD eine Katharsis – und die folgt selten dem vernünftigen Abwägen der Alternativen und dem Regelwerk des satzungsgemäßen Verfahrens. Doch bei der SPD spricht derzeit wenig für einen erlösenden Crash. Bei der Labour Party revoltierte eine tot geglaubte Parteilinke, verbunden mit jungen, energiegeladenen AktivistInnen, erfolgreich gegen das Parteiestablishment. In Berlin wird das nicht passieren. Denn nicht nur die Parteispitze hat keine blasse Ahnung, was nach einem Nein zu tun wäre – auch die Anti-Groko-Fraktion weiß nicht, was sie mit einem Sieg eigentlich anfangen würde.

Ein Nein wäre weder ein waghalsiger Neubeginn noch ein riskanter strategischer Schwenk nach links

Kühnert & Co wollen keine Koalition mit der Union – das ist auch schon alles. Sie wollen nicht zu viel, sondern zu wenig. Sie führen keinen schwungvollen Aufstand an und werden auch das Willy-Brandt-Haus nicht stürmen. Sie sammeln nicht etwa Verbündete, um die alte Parteielite in die Wüste zu schicken. Ein Nein wäre weder ein waghalsiger Neubeginn noch ein riskanter strategischer Schwenk nach links. Dieses Nein wird auch den in Routine erstarrten Apparat nicht auf Trab bringen. Die Attraktivität dieses Nein speist sich eher aus Überdruss als aus einer vitalen Vision dessen, was die Sozialdemokratie sein muss. Dieses Nein wäre ein kurzes Zucken rebellischen, trotzigen Geistes. Ein Aufflackern, dem zähe Ratlosigkeit folgen wird.

Über das schöne Scheitern

Am Ende des Films „Alexis Sorbas“ kracht eine aufwendig errichtete Seilbahn mit Karacho in sich zusammen. Sorbas, der vitale Held, der die Seilbahn eigenhändig gebaut hat, wischt sich den Staub aus den Augen, tanzt am Strand und feiert den Zusammenbruch, als wäre es Triumph. Es gibt Augenblicke, in denen aus Scheitern Schönheit wird: beautiful loser. Im Kino. Selten in der Politik.

Bleiben die bekannten Argumente für die Groko. Der Koalitionsvertrag kann sich für eine 20-Prozent-Partei sehen lassen, auch wenn er aus SPD-Sicht schlechter ist als der von 2013. Zudem verspricht die Groko professionelles Regieren. Das ist in den Zeiten wachsender Nervosität nicht mehr so selbstverständlich, wie es früher war. Das wichtigste Argument ist der Mangel an brauchbaren Alternativen. Eine Minderheitsregierung ist im Prinzip einen Versuch wert – allerdings bekäme damit die AfD derzeit ungewollt eine Schlüsselrolle. Linksliberale würden mit den Beschlüssen dieses Bundestages mit seiner rechten Mehrheit jedenfalls sehr wenig Freude haben.

Und noch etwas spricht gegen ein Nein: der Zeitpunkt. Die SPD hat erst donnernd Nein zur Groko gesagt, dann holprig Ja. Und verpasste die Chance, die ungeliebte Groko zu vermeiden. Direkt nach dem Scheitern von Jamaika hätte sie Merkel selbstbewusst eine Duldung für ein Jahr anbieten können. Das wäre ein machbares, verlässliches Modell gewesen, ohne die rechte Mehrheit im Bundestag zu mobilisieren. Damit wäre die SPD aus dem Schneider und womöglich politisch in der Offensive gewesen. Aber dazu war sie zu sehr mit sich selbst befasst, zu wirr, zu orientierungslos.

Jetzt nach dem Nein und dem Ja wieder auf Nein zu schwenken – das wirkt vollends konfus. Wer soll diesen Slalom noch verstehen?

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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