Antisemitismusstreit in der Linkspartei: Parteivorstand stellt sich vor Dehm

Die Parteivorsitzenden der Linken kritisieren, dass Diether Dehm Antisemitismus vorgeworfen wird. Warum eigentlich, fragt sich mancher.

Ein Mann auf einer Kundgebung schaut auf sein Telefon

Diether Dehm Anfang Dezember bei Anti-AfD-Kundgebung in Hannover Foto: dpa

BERLIN taz | Man könnte es als eine schlichte Formalie sehen: Der Parteivorstand der Linken stellt sich vor den Bundestagsabgeordneten Diether Dehm, dem in einem am Mittwoch erschienen Artikel in der Frankfurter Rundschau Antisemitismus vorgeworfen wurde. Antisemitismus? Geht gar nicht. Also schreibt die Pressestelle in Absprache mit den beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger und dem kommissarischen Bundesgeschäftsführer Harald Wolf am Tag darauf eine E-Mail an die Chefredaktion der FR und weist die konkreten Vorwürfe gegen „unser Parteimitglied Diether Dehm entschieden zurück.“

„Das hätten wir für jedes Parteimitglied getan“, erklärt der Parteivorsitzende der Linken Bernd Riexinger gegenüber der taz. Der Artikel sei eine eindeutige Grenzüberschreitung gewesen. Dehm äußere sich zwar häufig nicht eindeutig, wenn es um Verbindungen zu rechten Bewegungen gehe. „Aber ihn in die Nähe von Holocaustleugnern zu rücken, geht gar nicht.“

Zwei Wochen zuvor hatte sich der Parteivorstand in einem maßgeblich von Kipping vorangetriebenen Beschluss mit einem anderen Parteimitglied, dem Berliner Kultursenator Klaus Lederer, solidarisiert und sich „unmissverständlich von Aktivitäten von Rechtspopulisten, Nationalisten, Verschwörungstheoretikern und Antisemiten“ abgegrenzt – auch so eine schlichte Formalie. Gemeint aber war damit unter anderem Diether Dehm, der eine Preisverleihung an den umstrittenen Journalisten Ken Jebsen verteidigt und Einlassungen von Leder als Zensur gebrandmarkt hatte. Der Kultursenator sah sich daraufhin einem Shitstorm ausgesetzt.

„Grotesk“, so die Reaktion Lederers per Twitter auf die Solidaritäts-E-Mail mit Dehm und an die Adresse von Kipping und Riexinger. „Diese E-Mail relativiert in keiner Weise den Beschluss des Vorstands und die Kritik an Leuten wie Jebsen“, meint Riexinger zur taz.

Solidarität sorgt für Kritik

Doch auch bei anderen GenosssInnen stößt die Solidarisierung mit Dehm auf Unverständnis: „Das ist indiskutabel und konterkariert den Vorstandsbeschluss von vor zwei Wochen“, sagte der Rostocker Sozialsenator Steffen Bockhahn der taz. „Man braucht schon schizophrene Züge, um nicht zu erkennen, dass das nicht zueinander passt.“

Auch der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow kann der Solidarisierung der beiden Parteispitzen nicht ganz folgen. Auf Twitter bemerkte er am Freitag dazu: „Ich lese den Satz und die weitere Erläuterung von Dieter Dehm als Verunklarung von der Wirkung vom Antisemitismus und damit letztlich auch als Verharmlosung.“

Umstrittene Preisverleihung gab Anstoß

Um die Auseinandersetzung zu verstehen, muss man einige Wochen zurückgehen. Die Neue Rheinische Zeitung, ein Blog, welches auch Verschwörungstheoretikern und Antisemiten eine Plattform bietet, will dem Journalisten Ken Jebsen, der sich ebenfalls den Vorwurf des Antisemitismus gefallen lassen muss, einen Preis für „engagierte Publizistik“ verleihen. Ort der Veranstaltung: das mit öffentlichen Mitteln unterstützte Kino Babylon in Berlin.

Der zuständige Kultursenator Lederer regt sich per Twitter über diesen „Jahrmarkt der Verschwörungsgläubigen“ auf, sein Staatssekretär ruft das Kino an, welches die Veranstaltung absagt. Per Gerichtsentscheidung erzwingen die Veranstalter zwar, dass die Kündigung zurückgenommen wird, doch sie haben in der Zwischenzeit schon zur Kundgebung „für Meinungsfreiheit“ aufgerufen, die vor der Haustür der Berliner Parteizentrale der Linkspartei stattfindet.

Hinweise aus dem Umfeld Dehms

Der Artikel „Antisemitismus ist eine deutsche Tradition“ in der Frankfurter Rundschau erscheint zum Tag der Kundgebung. Der Autor Christian Bommarius rekuriert auf eine Aussage von Dehm aus dem Jahre 2009: „Antisemitismus ist Massenmord und muss dem Massenmord vorbehalten bleiben.“ Solange Figuren wie Dehm bestimmen könnten was Antisemitismus sei, habe dieser keinen Widerstand zu befürchten, schlussfolgert Bommarius: “‚Israelkritik‘ ist eine Maskerade der Antisemiten vom Schlage Dehms.“

In der E-Mail versucht die Parteispitze nun zu erklären, dass Dehm das alles nicht so gemeint habe. Allerdings ist bei Riexinger und Kipping die Begeisterung sich vor Dehm zu werfen nicht allzu groß – unterzeichnet ist die Mail nur vom stellvertretenden Pressesprecher.

Das mag damit zu tun haben, dass Dehm ein enger Vertrauter der Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht ist. Sie und ihr Ehemann Oskar Lafontaine haben die beiden Parteivorsitzenden wiederholt scharf angegriffen. Riexinger räumte gegenüber der taz ein, dass die Hinweise auf den Artikel in der FR aus dem Umfeld Dehms kamen. Allerdings nicht von Wagenknecht oder Lafontaine.

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