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Getötete Anti-Nazi-Aktivistin in den USA„Wir brauchen mehr Heathers“

Bei einer Demo gegen Neonazis in Charlottesville wurde Heather Heyer getötet. Die Anwaltsgehilfin hatte hohe moralische Standards.

Kein Platz für Hass: Heather Heyer hat sich für Gerechtigkeit und gegen Rassismus eingesetzt Foto: ap

New York taz | Millionen Menschen in den USA haben am Sonntag Schweigeminuten für Heather Heyer abgehalten. Sie eine „amerikanische Heldin“ genannt. Und Dinge über sie gesagt wie: „Wir brauchen mehr Heathers in diesem Land“. Für ein paar Stunden machten auch verschiedene konkurrierende linke Organisationen geltend, dass Heather ihr Mitglied gewesen sei. Und bei einer Sammlung auf GoFundMe zur Unterstützung für ihre Angehörigen kam binnen 24 Stunden fast eine Viertel Million Dollars zusammen.

Am Samstag ist Heather Heyer bei einer Demonstration gegen Neonazis in Charlottesville in Virginia von einem US-amerikanischen Neonazi getötet worden. Er raste mit seinem Dodge in die Gruppe hinein, in der auch sie demonstrierte.

Die 32-jährige Anwaltsgehilfin hatte hohe moralische Standards. Ihre Eltern beschreiben sie als „leidenschaftlich für Gerechtigkeit und gegen Rassismus“. Arbeitskollegen in dem Anwaltsbüro in Charlottesville, wo sie ihre letzten vier Jahre lang in der Insolvenzabteilung arbeitete, beobachteten, wie sie am Computer über das Elend anderer weinen konnte. Ehemalige KlassenkameradInnen erinnern sich, dass sie im Schulbus jene verteidigte, die gehänselt wurden. Und ihre Facebook-Freunde wussten, dass sie im Wahlkampf den demokratischen Sozialisten Bernie Sanders unterstützt hat.

Aber eine öffentliche Person war Heather Heyer zu Lebzeiten nicht. Sie war nicht einmal eine routinierte Demonstrantin. Als die Neonazis ihren Aufmarsch ankündigten, wusste Heather Heyer zwar sofort, dass das falsch war. Aber sie haderte lange, bevor sie sich zur Teilnahme an der Gegendemonstration entschloss. Sie hatte Angst.

„Ich möchte nicht sterben“, sagte sie einer Kollegin, „diese Leute meinen es so ernst“. In Gesprächen mit einem Freund entschied sie, zu Hause zu bleiben. Erst wenige Stunden vor der Demonstration ließ sie ihn wissen, dass sie doch gehen werde. Ihre Kollegin wurde am Samstag Augenzeugin von Heather Heyers' gewaltsamem Tod. Der Freund überbrachte die grausame Botschaft später ihrer Mutter.

Der Gewalttat einen Sinn geben

Heather Heyer lebte allein mit ihrem Chihuahahündchen Violet in Charlottesville, aß liebend gerne Macaroni and Cheese, mochte Duftkerzen und Zigaretten und hatte charmante Grübchen auf den Wangen. Nach der Schule hatte sie ein paar Jahre als Bardame und Kellnerin gearbeitet. Dann fand sie den Job in dem Anwaltsbüro. Gerade im Umgang mit Menschen in finanziellen Notlagen zeigte sie dort Stärke und Einfühlungsvermögen. Ihre Botschaft lautete: „Ihr schafft das“.

Posthum hetzt das Neonazi-Hetzblatt „Daily Stormer“, Heather Heyer sei eine „kinderlose, fette Schlampe“ gewesen, die es wegen ihres Gewichtes nicht geschafft habe, dem Todesfahrer zu entkommen. Tatsächlich hatte sie am Samstag nicht die geringste Chance. Ihre Freundin Marissa Blair, die bei ihr war, beschreibt die Szene: „Wir gehen zusammen über die Straße. Im nächsten Moment fliegen menschliche Körper durch die Luft“.

Am Tag danach versucht die trauernde Mutter, die 60-jährige Susan Bro, der Gewalttat einen Sinn zu geben. Sie möchte, dass Heathers‘ Tod zu einem „Schlachtruf für Gerechtigkeit, Gleichheit, Fairness und Mitgefühl wird.“ Aus Respekt für die Prinzipien ihrer Tochter lehnt sie es auch ab, den Mann, der sie getötet hat, zu hassen.

Heathers' Freundin Marissa Blair, deren Verlobter bei dem Angriff einen Knochenbruch überlebte, will sich ein Beispiel an der Toten nehmen. „Heather würde jetzt erst recht Liebe und Gleichheit predigen“, sagt sie: „das werden wir auch tun“.

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8 Kommentare

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  • Martin Luther King träumte von einer Welt, in der alle Menschen die gleichen Rechte haben, unabhängig von ihrer Hautfarbe oder Religion.

     

    Noch in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts mussten Schwarze in den USA im Bus aufstehen, wenn sich ein Weißer auf ihren Platz setzen wollte. Farbige Kinder durften nicht in die gleichen Schulen gehen wie weiße und im Kino wurde farbigen Menschen - wenn überhaupt - der schlechteste Platz zugewiesen.

     

    1963 organisierten Organisationen, die sich für Gleichberechtigung aller Menschen einsetzten, eine große Demonstration in der Hauptstadt Washington. Bei dieser Demonstration hielt Martin Luther King seine berühmteste Rede. Er sagte:

    "Ich habe einen Traum. Dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einem Land leben, wo sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden."

    Mehr als 200.000 Menschen waren zusammengekommen, um gegen die Benachteiligung der schwarzen Bürger zu demonstrieren.

     

    Übrigens ist Martin Luther King bis heute der einzige Farbige, der in den Vereinigten Staaten mit einem Nationalfeiertag geehrt wird: Jährlich feiern die Amerikaner am dritten Montag im Januar den "Martin Luther King Day".

    http://www.kindernetz.de/infonetz/politik/widerstand/martinlutherking/-/id=285602/nid=285602/did=35312/miysuv/index.html

  • Trauer und Solidarität.

    No Pasaran!

    Auch hierzulande ist das keine Spielwiese.

    Keine Räume den Faschisten und Antisemiten!

    No to AfD!

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Sorry aber die Überschrift habe ich auf Anhieb in den falschen Hals bekommen. Der Satz ist sehr doppeldeutig und ein wenig makaber.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @85198 (Profil gelöscht):

      Um das zu präzisieren:

       

      Nein, wir brauchen nicht mehr Heathers. Jede weitere Heather, die von ihrer Familie zu Grabe getragen wird, ist eine zuviel.

      Ihr Tod macht sie nicht mehr zum Vorbild als jede*n andere*n Gegendemonstrant*in, die vielleicht auch nur gerade so mit dem Leben davongekommen sind, die sich aber zumindest demselben Risiko ausgesetzt haben wie Heather Heyer.

       

      Im Wissen um die Dialektik der Aufklärung sehe ich es als wichtig an, gerade die Sinnlosigkeit ihres Todes hervorzuheben!

       

      Die USA haben hochgerüstete Polizeitruppen, aber ähnlich wie im Schanzenviertel zum G20 sind die hochgerüsteten imperialen Garden im Charlottesville nicht anwesend.

      Schießwütig bringen sie - die Waffe immer im Anschlag - unbewaffnete Schwarze um, aber den weißen Attentäter stoppen sie nicht.

       

      Wenn "demonstrieren" heißt, mit Stahlhelm, Visier, Schild, Pfefferspray, Totschläger oder Baseballkeule (und ich unterstelle auch versteckte Schusswaffen) Angst und Schrecken (wörtlich: Terror) zu verbreiten, ohne Einmischung des Staates dann heißt "Gegendemonstrant" sein auch, sich dementsprechend mit Pfefferspray und Baseballschläger ('ner Knarre?) auszustatten?!

       

      „Ich möchte nicht sterben“ - diese Angst Heather Heyer läßt sich ganz wortwörtlich verstehen und auch nachvollziehen.

      Es stellt sich ernsthaft die Frage: Wie demokratisch sind die USA, wenn Menschen nur unter Todesangst ihre Bürgerrechte wahrnehmen können?

       

      Dass es in dieser Situation nicht zu einer breiten Eskalation der Gewalt mit weitaus mehr Opfern gekommen ist, das ist der Besonnenheit der Gegendemonstranten zu verdanken (stell dir vor, die Nazis würden in diesem Aufzug auf der Schanze auftauchen oder in Connewitz und der Polizei ist es wieder mal "zu geführlich").

       

      „Wir brauchen mehr Heathers“? - Nein!

      Niemand braucht nur eine einzige tote Heather. Die Zeiten des Märtyrertums sollen vorbei sein!

      Jede*r einzelne der friedlichen Gegendemonstrant*innen ist in dieser Hinsicht ein Vorbild, genau wie Heather Heyer eines ist.

    • @85198 (Profil gelöscht):

      Aber man muss sich schon anstrengen das mißzuverstehen. Oder?

      • @Jakob Bauer:

        Nein, werter JAKOB BAUER, man muss sich leider gar nicht anstrengen, wenn man unter einem "amerikanischen Helden" jemanden verstehen möchte, der im Namen einer guten Sache umgebracht wird. Dafür haben nicht erst die Universal Studios und Warner Bros von Hollywood aus gesorgt.

         

        Schon in der Antike waren Helden Männer, die im Kampf getötet haben und gestorben sind. Man nannte sie damals noch Heros. Heroen haben natürlich nie aus egoistischen Gründen oder für die Befriedigung der Gier irgendwelcher Könige gekämpft, sondern immer nur für eine sogenannte gute Sache. Europa ist voll von Heldenfriedhöfen und Denkmalen aller Art, auf denen das Wort Held steht. Nennen Sie mir bitte eine europäische Nation, in der Helden Angst haben dürfen vor dem Tod.

         

        Nein, die USA brauchen nicht „mehr Heathers“. Sie brauchen mehr Vernunft. Auch mehr Leidenschaft für Gerechtigkeit und gegen Rassismus, klar. Aber nicht unbedingt nur auf der Straße und im Rahmen von Demonstrationen. Was die USA brauchen, ist eine breite Masse von Menschen, die jeden Tag und überall leidenschaftlich für Gerechtigkeit streiten – und die ihr eigenes Leben dabei für genau so wertvoll und schützenswert halten, wie das Leben anderer.

         

        Heather Heyer hatte ein Recht darauf, nicht sterben zu wollen für die gute Sache. Sie hatte ein Recht auf ihre Angst. Menschen wie sie werden nämlich nicht nur einmal gebraucht, sondern immer und überall. Sie sind zu schade für den Tod. Sie sollten also nicht sterben müssen als „amerikanische Helden“ à la Hollywood. Das Leben ist schließlich kein Actionfilm. Wer im realen Leben umkommt, der steht nach Drehende nicht wieder auf, um in neuen Filmen neue Heldentaten zu vollbringen. Im richtigen Leben bleiben auch Helden tot – und fehlen denen, die zurück geblieben sind.

      • 8G
        85198 (Profil gelöscht)
        @Jakob Bauer:

        Ich hab nicht gelogen, meine erste Reaktion war in etwa: "Wie jetzt? Wir brachen doch nicht noch mehr Tote?! Wer hat das gesagt? Ein Nazi?".

  • Die Internetseite des Daily Stormer scheint seit einigen Minuten unter der Kontrolle von "Anonymous" zu sein. "WE HAVE TAKEN THIS SITE IN THE NAME OF HEATHER HEYER A VICTIM OF WHITE SUPREMACIST TERRORISM", schreiben die Hacker.