Debatte Beißreflexe im Feminismus: Lass dir nichts verbieten!
In allem einig war sich die Frauenbewegung noch nie. Aber die aktuellen Streitereien lassen sich der jüngeren Generation kaum noch vermitteln.
D ie 17-jährige Tochter einer Freundin fragte mich kürzlich, ob sie es wagen solle, Feministin zu werden. Sie sei sich nicht ganz sicher, denn was sie dazu gerade lese, mache sie ganz wuschig. Es ginge da irgendwie wild durcheinander: Einerseits solle jede Frau dazu stehen, so zu sein, wie sie ist und was sie ist: dünn, dick, lesbisch, queer, Single, Mutter, Alleinerziehende, Hausfrau, whatever.
Gleichwohl sollte sie bei der Wahl ihres Lebensentwurfs, vor allem dann, wenn sie länger mit den Kindern zu Hause bleiben will, immer auch an ihre Rente denken. Ebenso seien Ganzkörpertattoos und Brustvergrößerungen voll okay, auch Genital-OPs, bei denen die kleinen Schamlippen mitunter aus kosmetischen Gründen gekürzt werden.
Wie passt das alles zusammen, fragt sich die 17-Jährige: einerseits die Forderung, zu sich selbst zu stehen, auch in aller Unvollkommenheit. Andererseits an sich herumschnippeln zu lassen. Auf der einen Seite alle Lebensentscheidungen von Frauen gutzuheißen, dann aber Vorschriften zu machen bei der Wahl der Familienart, zumindest Bedenken gegenüber beispielsweise dem Hausfrauenmodell anzumelden.
Und komplett unverständlich erscheint der Schülerin die aktuelle Schlacht, die sich die queerfeministische Szene derzeit liefert. Vorwürfe wie Denk- und Redeverbote und Vokabeln wie „Beißreflexe“ und „Butlerisierung“ passen nicht in das Feminismus-Bild der jungen Frau.
Solidarität war noch nie die Stärke des Feminismus
Die Irritation der 17-Jährigen ist nachvollziehbar. Das mit den zahlreichen Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten, die Diskurse um Körperkult und körperliche Unversehrtheit kann man noch erklären: Heute kann jede und jeder alles machen und alles sein. Aber die Auseinandersetzungen innerhalb der queerfeministischen Szene sind außerhalb dieser Community kaum zu vermitteln.
Die Gemengelange dort stellt sich – vereinfacht und zugespitzt formuliert – so dar: Auf der einen Seite stehen Alice Schwarzer und ihre Zeitschrift Emma, die selbsternannte Polittunte Patsy l’Amour laLove und das von ihr herausgebene Buch „Beißreflexe“ sowie die „Störenfriedas“, ein Blog, das sich als radikal-feministisch bezeichnet. Sie machen Front gegen den Queerfeminismus, der in ihren Augen islamistische Gewalt relativiere, weil allein schon Kritik am Kopftuch als rassistisch ausgelegt werde.
Auf der anderen Seite stehen Queerfeministinnen wie die Gender-Ikone Judith Butler und die Gender-Wissenschaftlerin Sabine Hark. Sie beklagen beispielsweise, dass Schwarzer und Co die Übergriffe auf Frauen in der Kölner Silvesternacht für antimuslimische und rassistische Ressentiments missbrauchen. Beide Seiten liefern sich eine Medienschlacht, die unterlegt ist mit Titeln wie „Die Verleumdung“ und „Rufmord“. Es geht um zwei konträre Ansichten auf die Welt, auf Gender und Genderforschung und Deutungshoheit.
Was bleibt? Außer der Irritation für Außenstehende? Vielleicht die bittere Erkenntnis, dass sich Feministinnen wieder einmal nicht grün sind. Hey, möchte man da rufen: Der Feminismus hat es doch schon schwer genug. Reichen denn all die Angriffe von AntifeministInnen und PopulistInnen etwa nicht? Eure Grabenkämpfe verstärken eher das Bild eines schwierigen und unlebbaren Gesellschaftsideals. Das der Feminismus aber mitnichten ist.
Dürfen Männer mitstreiken?
Nun war Solidarität noch nie die Stärke feministischer Szenen. Zusammenhalt wurde zwar häufig proklamiert, aber nicht in jedem Fall gelebt. Dazu waren die Interessen und die Lebensumstände der Aktivist*innen zu verschieden, die sozialen wie biologischen Unterschiede zu groß. Manche waren arm, andere hatten Geld. Die einen bekamen Kinder, andere nicht. Die einen betonen die Unterdrückung durch ein machistisches System, andere stellen eher weibliches Selbstbewusstsein und feminine Stärken heraus. Manche Frauen machen Karriere – in der Uni, in der Politik, in den Medien. Andere empfinden das als Verkauf an den Neoliberalismus. Selbst Prostitution ist mittlerweile ein feministisch umkämpftes Feld.
Als die Mauer fiel, hatten Ost- und Westfeministinnen ein sehr großes, sehr ernst gemeintes Ziel: eine einheitliche Frauenbewegung in Deutschland. Aber sie scheiterten schon bei der Organisation des Frauenstreiktages am 8. März 1994, der das Land lahm legen sollte, weil Frauen allerorten die Arbeit verweigerten: Sie sollten nicht ins Büro gehen und nicht zu Aldi an die Kasse. Sie sollten keine Wäsche waschen, sich dem Partner verweigern und ihm das Kind auf den Schreibtisch setzen.
Den erwarteten Aufruhr brachte der Frauenstreiktag nicht. Statt geballte Kraft in die Organisation des Streiks zu stecken, verzettelten sich die Frauen in ausufernden und sich wiederholenden Grundsatzdebatten: Ist es unfeministisch, wenn sich Frauen – so wie das Ostfrauen damals gewohnt waren – Traktorist, Lehrer und Arzt nennen? Dürfen (feministisch gesinnte) Männer mitstreiken? Wohin mit den Kindern bei den Vobereitungstreffen? Und dann immer diese Streite um Männer als Gegner. Während die Ostfrauen nicht per se gegen Männer kämpften, weil sie durch Vollbeschäftigung, Kitas, Abtreibungsrecht einen Emanzipationsvorsprung fühlten, legten Westfrauen mehr Wert auf Abgrenzung zu Männern. Bis die Einsicht an Macht gewann, beim Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter die Männer nicht zu vergessen, brauchte es eine Weile.
Weniger Häme wäre ein Anfang
Aber kaum war dieser Konsens hergestellt, taten sich die nächsten Baustellen auf: Netzfeministinnen wurden als Hetzfeministinnen beschimpft, es war die Rede von einem Feminimus light, Quoten für Führungspositionen waren auch unter progressiven Frauen umstritten. Kurz: Heute ist keine einfach nur Feministin, sondern bewegt sich auf einem hochexplosiven Terrain.
Was tut not? Vielleicht helfen schon ein bisschen weniger Häme und Provokation – und ein bisschen mehr Sachlichkeit. Der Tochter der Freundin habe ich übrigens gesagt: Sei, wie du bist. Mach das, was du willst. Lass dich nicht verbiegen und dir nichts verbieten. Das ist für den Anfang genug Feminismus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung