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Kommentar SPD-WahlprogrammGerechtigkeit für die SPD

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Der Fehler, auf den die SPD zusteuert, ist nicht dieses Programm. Eher schon die Neigung, Rot-Rot-Grün ganz von der Tagesordnung zu verbannen.

Wenig Inhalt: Im Programm fehlt Konkretes zur Steuer- und Rentenpolitik Foto: dpa

E in Regierungsprogramm ohne die Kernbereiche Steuern und Rente zu präsentieren, wie es die SPD am Montag getan hat, wirkt unsouverän. Es nährt den Verdacht, dass Entscheidendes zurückgehalten wird, womöglich aus Furcht, es werde im Säurebad öffentlicher Kritik zerstört. Sogar für SPD-Verhältnisse ist der derzeitige Mangel an Timing und politischem Gespür außergewöhnlich. Schulz & Co. halten sich sogar die Möglichkeit offen, Steuerpolitik auch noch beim Parteitag Ende Juni auszuklammern. Das verrät eine sonderbare Vorstellung von innerparteilicher Demokratie: Die Partei soll offenbar einen Blankoscheck ausstellen.

Der Gewinn dieses Zeitplans ist diffus, der Schaden greifbar. Die SPD-Spitze provoziert eine Debatte über ihr Verhältnis zur Partei. Wahlen gewinnt man mit solch konfusen Manövern nicht.

All das lenkt vom Wesentlichen ab – dem Programm. Die Ideen der SPD sind besser als ihr lädierter Ruf. Ja, vieles ist noch zu vage. Es reicht nicht, zu fordern, dass mehr Studierende Bafög bekommen – man muss auch ungefähr ansagen, wie viele es sein sollen. Doch addiert man die oft kleinteiligen Vorschläge von Bildung bis Arbeit, von Familien- bis Gesundheitspolitik, ergibt sich durchaus ein Bild: mehr Regeln für den Arbeitsmarkt, mehr Tarifjobs, weniger Zeitarbeit. Die Unternehmer sollen pro Jahr ein paar Milliarden mehr zahlen für die Krankenkassen, die Arbeiternehmer weniger. Bildung soll von der Kita bis zum Master oder Meisterbrief kostenfrei werden. Und Eltern, die weniger arbeiten wollen, sollen maßvoll unterstützt werden.

Nichts davon ist sonderlich spektakulär. All das klingt moderat und darauf geeicht, der sozialen Mitte das Leben ein bisschen angenehmer zu machen. Doch im Ganzen ist dies die Skizze eines aufgeklärten Etatismus, der ein bisschen mehr Staat mit den Bedürfnissen einer individualisierten Gesellschaft auszubalancieren versucht. Angesichts der Sehnsucht der Deutschen nach Stabilität, die bis ins linksliberale Spektrum reicht, wäre ein radikalerer Entwurf zu riskant.

Angesichts der Stabilitäts­sehnsucht der Deutschen wäre Radikaleres zu riskant

Der Fehler, auf den die SPD zusteuert, ist nicht dieses Programm. Eher schon die Neigung, Rot-Rot-Grün ganz von der Tagesordnung zu verbannen. Denn klar ist: Selbst Etatismus light ist mit der schneidig staatskritischen Lindner-FDP nicht zu machen.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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19 Kommentare

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  • Ja. Die Angst der SPD und vor allen Dingen auch des Spitzenkandidaten vor dem Säurebad der Kritik ist überdeutlich zu sehen. Die Äußerungen von Schulz frei nach dem Motto, dass es noch ein langer Lauf sei, bei dem die SPD Prozente verlieren statt durch gute Argumente dazugewinnen werde, sagen doch schon alles.

     

    Tief in dem, was die SPD Wahlkampfmodus nennt, versteckt sich doch das möglichst lange links blinken und rechts fahren, ohne dass es dem Stimmvieh all zu sehr auffallen soll.

     

    Grund ist wohl, dass die SPD es aufgegeben hat, für ernsthafte soziale Verbesserungen einzutreten. Der Kampf gilt nciht mehr der Verbesserung der Lebensumstände des gemeinen Volkes. Und das in einem Land, in dem das Gesamtvermögen geteilt durch die Zahl der Köpfe noch jedes Jahr um ca. 5 % steigt.

  • Ihren letzten Absatz, @Stefan Reinecke, unterschreibe ich gern mit.

     

    Im Übrigen haben Sie sich ein wenig verheddert: Einerseits kritisieren Sie vorausschauend "eine sonderbare Vorstellung von innerparteilicher Demokratie", verbunden mit der Unterstellung, die Führung könnte auch beim Parteitag noch wichtige Punkte "ausklammern". Andererseits kritisieren Sie, "vieles [sei] noch zu vage". Zur innerparteilichen Demokratie gehört aber erst recht, dass man die Meinungsbildung bei der Ausarbeitung eines verbindlichen, detaillierten Programms den zuständigen Gremien überlässt und nicht vorher öffentlich oktroyiert.

     

    Und auch hier muss ich wieder die Frage stellen: Warum wird eigentlich nur von der SPD jetzt schon ein ausführliches und gegenfinanziertes Programm verlangt? Die Konkurrenz, vor allem Union und FDP, hat bisher außer heißer Luft gar nichts!

  • Sinnlos...

     

    Vor allem krankt die SPD an einem veralteten und überholten Arbeitsbegriff und dem daraus resultierenden falschen Menschenbild. Daran hält sie krampfhaft fest.

    Das sieht man dann v.a. bei der sog. "Agentur für Arbeit" und ihren überwiegend sinnlosen und teuren "Maßnahmen".... Die schon vor Jahren nichts brachten.

     

    Liebe Sozis: Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit.

  • Die SPD wird so gnadenlos untergehen, egal was hier geschrieben wird.

     

    Entweder sie findet zur Sozialdemokratie zurück, und kehrt dem marktradikalen Neoliberalismus den Rücken. Oder sie verschwindet.

     

    Es ist nicht schwieriger.

  • Gerechtigkeit für die SPD? Also bitte: für ständiges Linksblinken und Rechtsabbiegen, für neoliberale Politik ("Genosse der Bosse"), für Arschkriechen bei Putin & Co. ("lupenreiner Demokrat"), für Hartz IV - wie soll die gerechte Strafe aussehen? Unter 5 %?

  • Schönes Foto übrigens...

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Hartz:

      ... fast schon ein Schulzporträt?

  • Der Sozi-Zug ins Nichts

     

    Die SPD erweist sich erneut als nicht lernfähig.

    Ihre Strategie der "Neuen Mitte" seit Schröder - damals in Anlehnung an sein Vorbild Tony Blair - ist auf der ganzen Linie gescheitert und gehört darum endlich auf den Müllhaufen der Geschichte. Die SPD hat nicht den Mut, diesen nowendigen Schritt zu unternehmen. Die "Neue Mitte" war vorwiegend ein bloßes Mediending, nicht real. Sie kann keine Massenbasis für die SPD bilden. Also taumeln die Sozis von einer derben Wahlniederlage zur anderen. Daran ändert auch der Neoliberale M. Schulz nichts. Er fährt stur auf den alten Gleisen weiter, die ins Nichts führen. Dafür stehen Hartz IV und Sozialabbau.

    • @Hartz:

      Haben Sie die Überschrift denn nicht gelesen? Also bitte: Gerechtigkeit für die SPD!

       

      Dass die SPD ihre von Tony Blair abgekupferte „Strategie“ nicht „auf den Müllhaufen der Geschichte“ kippt, kann ich verstehen. Sie hat keine andere. Die Blair-Strategie war seinerzeit eine Reaktion auf Probleme, die auch die SPD hatte. An diese Probleme erinnert sich die SPD noch gut. Es ist ihr damals keine eigene Antwort eingefallen darauf und es fällt ihr heute immer noch keine ein. Die Angst vor den Problemen allerdings ist ihr – wahrscheinlich genau deswegen – geblieben. Deswegen krampft sie sich so an dem „Strohhalm“ fest, den Blair ihr dagelassen hat bei seinem unrühmlichen Abgang.

       

      Merke: Wer sich als Lok versteht und nicht als Mensch, der hat wohl einfach keine Wahl. Er muss das „alte[] Gleis[]“ benutzen, auch wenn es in den Abgrund führt. Entgleisung kommt nicht in Betracht.

  • Nein, das Problem der SPD ist nicht rotrotgrün zu früh auszuschließen sondern für den Normalbürger (und nur der bringt Mehrheiten) vollkommen unglaubwürdig zu sein.

     

    Niemand traut denen mehr zu das umzusetzen was sie sagen. Deswegen scheint mittlerweile auch egal was sie sagen.

    Was soll man einer Truppe raten die zu doof ist den Arbeitstitel gestern bei der Präsentation richtig zu schreiben (kam eben im Radio!). Was soll man denen raten wenn der Spitzenkandidat bei der Präsentation gar nicht anwesend ist. Und was soll man denen raten, wenn sie die Kerntehmen blumig umschreiben aber selbst noch gar nicht genau wissen wie sie das machen wollen.

    Der Wähler traut so einer Partei eben nicht zu seine Probelme zu lösen, wenn die gleiche Partei nicht mal die eigenen in den Griff bekommt!

     

    Kandidat inkl. Führunsgpersonal absetzen wäre am ehrlichsten, gleichwohl unmöglich, zumal Alternativen fehlen.

     

    Daher sehe ich mit Interesse schwarzgelb entgegen. Warum?

    Weil nur von der harten Oppositionsbank die SPD und auch Grün überhaupt in der Lage scheint sich mal zu raffen "wie und was"! Diese Geklebe an der Macht ist für beide Parteien nicht hilfreich und daher kommt da nur völlig uninspiriertes und gleichzeitig hektisches "Weiterso" raus.

    • @Tom Farmer:

      Erstaunlicherweise vertrauen die Wähler anscheinend einem der sich durch 3-Tage-Bart und an aberwitzige Internetbildchen (sorry, "Avatare") verplemperte 1,4 Mio. an öffentlichen Krediten auszeichnet.

       

      SPD hat eindeutig eine Auszeit im politischen Purgatorium verdient. FDP allerdings hat noch nicht verstanden, warum sie da gelandet ist. Also - zu früh, um da rauszukommen.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    "Angesichts der Sehnsucht der Deutschen nach Stabilität, die bis ins linksliberale Spektrum reicht, wäre ein radikalerer Entwurf zu riskant."

     

    Und wieviel Stimmen bekommt die SPD ohne die aus dem unteren Drittel der Gesellschaft? Zwischen 15-25%. Und was sagt uns das? Im FAZ-Interview hat Schulz ja noch mal ausdrücklich hervorgehoben, dass er kein SPD-Linker, sondern ein Seeheimer wäre. Gabriel wusste schon, wem und warum er dem Platz machte.

    • @24636 (Profil gelöscht):

      Das, werter FILOU SOPHIA, ist das Problem mit Hierarchien: Sie stabilisieren ungemein. Und zwar selbst dann noch, wenn es – wie im Fall der SPD – schon kaum noch was zu stabilisieren gibt.

       

      Die, die entscheiden dürfen, wissen einfach meistens sehr genau, wen sie auswählen und warum. Im Zweifel sind die meisten von ihnen noch jedes Mal eitel und/oder dumm genug gewesen, Leute zu Nachfolgern zu machen, die wenigstens überzeugend so getan haben, als wären sie auf ihrer Seite. Im Übrigen führt all zu große Selbstgerechtigkeit zwar leicht auf irgend welche Demokratie-Throne, sie verführt aber gleichzeitig dazu anzunehmen, auf der eigenen Seite der Autobahn kämen einem Tausende Geisterfahrer entgegen.

    • @24636 (Profil gelöscht):

      Ist doch Prima - kann doch die Linke dann die Stimmen bekommen.

       

      Bekommen sie aber nicht - warum?

      • @Thomas_Ba_Wü:

        Es gibt zu viele "Unteroffiziere des Kapitals" (K. Marx). Oder Leute, die sich dafür halten...

      • @Thomas_Ba_Wü:

        Vier Gründe. Mindestens.

         

        1 – begründetes Misstrauen.

        2 – unbegründetes Misstrauen.

        3 – aktueller Zeitgeist.

        4 – interessierte Propaganda

        • @mowgli:

          Punkt 1 und 2 kann ja sein. Punkt 3 und 4 wäre mir schnuppe.

           

          Es ist nicht besonders schwer sich der Meinungsmaschine der Medien zu entziehen bzw. dieser wenn nötig selektiv die nötigen Informationen zu entnehmen. Das gilt für mich und sollte für einen Linken Wähler - da viel durchblickender als ich - erst recht zutreffen.

           

          ich würde daher als weiteren Grund anfügen

           

          5- fehlendes in sich stimmiges Poltikangebot

          • 5G
            571 (Profil gelöscht)
            @Waage69:

            In Wahlkampfzeiten eh alles altbekannte papierne Beliebigkeiten, um den linken Gerechtigkeitsbegriff rumgewickelt.

        • 2G
          2730 (Profil gelöscht)
          @mowgli:

          ...das ist aber auch böseböse von der politischen Konkurrenz, oder? Da gehen die einfach hin und sagen böse Dinge über die Linken.

          Nur gut, dass die Linke und alle ihre Vorgängerparteien gar nienienie etwas midde Brobogonda zu tun hatte...