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Kommentar SchwimmunterrichtDer salomonische Burkini

Heide Oestreich
Kommentar von Heide Oestreich

Mädchen zum Schwimmunterricht zu verpflichten, hat gute Gründe: Eine Trennung der Geschlechter ist immer zum Nachteil von Frauen.

Mädchen müssen schwimmen können: gemeinsamer Schwimmunterricht in Frankfurt/Oder Foto: dpa

S ie haben immer etwas von Zwangsbeglückung, diese Urteile, nach denen Kinder zum gemeinsamen Schwimmunterricht verpflichtet werden können, wie es der Europäische Menschenrechtsgerichtshof nun verfügt hat. Mädchen werden gezwungen, am Schwimmunterricht mit Jungen teilzunehmen, obwohl sie weder halbnackte Jungen sehen noch selbst in Augenschein genommen werden wollen. Gehört zum Grundgesetz tatsächlich, dass man die Schamgrenzen anderer Leute nicht respektiert?

Die Entscheidungen der Gerichte dazu stehen tatsächlich unter Arroganzverdacht: Unsere Nacktheit ist besser als eure Scham und eure Religion, die euch diese Regeln auferlegt.

Aber so einfach ist es eben nicht. Mädchen müssen schwimmen können. Und es hat durchaus einen Wert, wenn Mädchen und Jungen dies gemeinsam tun. Wenn sie den unbefangenen Umgang auch mit dem leicht bekleideten anderen Geschlecht erlernen. Wenn die Geschlechter eben nicht so irre sexuell aufgeladen werden wie im strengen Islam, der sie deshalb trennt. Es gibt gute Gründe dafür, dass zumindest Kinder vor der Pubertät sich gegenseitig als alltäglich und normal wahrnehmen und nicht als das andere Geschlecht, das man auf Abstand hält.

Das wären pädagogische Gründe für die Koedukation, es gibt aber auch verfassungsrechtliche Gründe: Geschlechtertrennung geht immer auf Kosten der Frauen und Mädchen. Sie werden verhüllt, sie werden vom Schwimmen abgemeldet, sie bleiben im Haus. Und das berührt das Recht eines jeden, sich frei zu entfalten, und vor allem berührt es den Gleichheitsgrundsatz in Artikel 3: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung.“

Deshalb ist die Lösung, Mädchen im Burkini zum Schwimmunterricht zuzulassen, eine salomonische. Man kommt den religiösen Bedürfnissen der Muslime entgegen, aber eine Beeinträchtigung der kindlichen Entfaltungsfreiheit lässt man nicht zu. Gut so.

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Heide Oestreich
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.
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29 Kommentare

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  • Ja ja - mal die Blagen fragen!¿;)

    El Clásico: "Meine Eltern sollen endlich Heiraten!"

    Gemeinsames Sorgerecht für Eltern.

    Klasse Drummer geworden!;)

    kurz - Immer schön den Ball -Flachhalten.

    Nachmittags Schwimmstunde.

  • In Marokko werden gerade Burkas verboten. Ob dort auch Burkinis getragen werden dürfen ?

    http://www.sueddeutsche.de/panorama/marokko-marokko-verbietet-herstellung-und-verkauf-von-burkas-1.3328699

    • @Nikolai Nikitin:

      Da ein Burkini kaum anders aussieht als ein handelsüblicher Neoprenanzug, halte ich das für sehr wahrscheinlich.

  • es geht nicht um zwang an der teilhabe, es geht um das recht an der teilhabe.

     

    welches auch von eltern nicht verweigert werden soll und darf.

  • Warum sollte man Kinder überhaupt zu irgendetwas zwingen, sei es das Tragen eines Burkinis oder die Teilnahme am Schwimmunterricht. Bescheuerte Debatte.

    • @Sandor Krasna:

      Sie haben recht. Auch das man Kinder zwingt, zur Schule zu gehen, ist total bescheuert. *Ironie off*

      • @Tom Tailor:

        Naja, grundsätzlich glaube ich schon, dass Kinder nicht gezwungen werden müssen um zu lernen. Und ob es angenehm ist mit richterlicher Gewalt, dazu gebracht zu werden Kopfsprünge zu üben bezweifle ich auch. Liegt vielleicht daran, dass ich selbst keine angenehmen Erinnerungen an den Schwimmunterricht habe (das untergetaucht werden, durch meinen besoffenen Schwimmlehrer hat halt genervt, und auch, dass man nackt schwimmen musste, wenn man seine Schwimmsachen vergessen hat). Die Mädchen sollen vor ihren mittelalterlichen Vätern geschützt werden und kommen in ihrem Zwangsverordneten Burkini möglicherweise vom Regen in die Traufe. Sicherlich sind nicht alle Schwimmlehrer sadistische Alkoholiker, aber das herauszubekommen sollte eine freiwillige Angelegenheit sein.

        • @Sandor Krasna:

          wie bitte? Man musste nackt schwimmen, wenn man die Schwimmsachen vergessen hatte?

           

          Was war denn das für eine Schule?? Ich wollte gerade als Beispiel schreiben für "Zwang", dem Kinder ausgesetzt sind, dass auch Kinder aus FKK-Familien im Unterricht eine Badehose tragen müssen, auf Rücksicht auf die Mitschüler, die mit deren Nacktheit nicht konfrontiert werden sollen. Und dann lese ich so etwas.

           

          Finde es extrem grenzüberschreitend, wenn das so war und inakzeptabel.

      • @Tom Tailor:

        Haha. Nun aber Spaß beiseite.

         

        Im Grunde werden hier nicht Kinder gezwungen (wozu auch immer), sondern ihre Eltern. Die nämlich entscheiden im Namen ihrer (unmündigen ) Kinder - und können klagen, wenn der Staat ihnen dieses grundgesetzlich garantierte Recht streitig macht.

         

        Die Kinder selbst sind anfangs völlig offen was das Lernen anbelangt. Der Antrieb dafür ist ihnen quasi genetisch implantiert. Das Lernziel nicht. Das macht die Sache ja gerade interessant für die Erwachsenen.

         

        Sie können Kinder formen mit dem Druck, den sie ausüben auf die "lieben Kleinen". Wenn jeder eine 1:1-Kopie von sich selber erzeugen will, kann schon zu Konflikten führen. Vor allem dann, wenn die diversen Druckformen zu unterschiedlich sind.

         

        Falls das Gericht dann "salomonisch" urteilt, kann das sehr hilfreich sein. Vor allem zeigt es den umkämpften Kindern, dass es noch Leute gibt, die nicht mit nacktem Schädel durch jede bereitgestellte Wand müssen - und trotzdem was zu sagen haben. Diese Lektion scheinen die Eltern ganz schwer zu vermissen...

  • Im Burkini schwimmen ist sicher besser als gar nicht schwimmen. Aber ich finde es wirklich ärgerlich, dass die Scham an der Religion festgemacht wird. Auch christliche und nicht-religiöse Kinder haben Schamgefühl. Einem Jungen ist es aber nicht erlaubt, in langer Sporthose und T-Shirt ins Becken zu springen. Er muss weiterhin die hautenge Badehose tragen. Aus hygienischer Sicht richtig. Aus Sicht des Jungen wohl eher unverständlich.

    • @NurMalSo:

      Ihr Beispiel gilt ab Beginn der Pubertät,wenn manche Jungen die Angst überkommt, anderen gegenüber "zu kurz zu kommen" und sich vergleichenden Blicken entziehen wollen. Das ist höchst individuell und gilt auf seine Weise auch für Mädchen, die an ihrem Körper zweifeln. Das erfordert von PädagogInnen höchste Sensibilität.

      Grundschulkinder haben die genannten Probleme jedoch zumeist nicht, weshalb ich verstehen kann, dass ein Gericht Eltern zumutet, dass ihre Kinder am gemeinsamen Schwimmunterricht teilnehmen. Schwimmen ist eine überlebensnotwendige Fähigkeit, zu deren Erlernen leider Vielen die Voraussetzung (Schwimmbäder) fehlt.

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @NurMalSo:

      In meiner Jugend hatten wir durchaus einen Mitschüler, der in Schwimmanzug am Unterricht teilgenommen hat.

    • @NurMalSo:

      So und nicht anders habe ich damals Schwimmen gelernt. Und daran war nie irgendetwas unverständlich, sondern vollkommen normal. Unverständlich ist für mich höchstens, das Kinder(!) durch ihre Eltern religiös indoktriniert und in eine sexualisierte Debatte reingezogen werden.

      • @Tom Tailor:

        Was verstehen Sie denn nicht an der Tatsache, dass religiös oder sonstwie indoktrinierte Eltern ihre Kinder auch indoktrinieren und so in die Debatten der Erwachsenen hineinziehen?

         

        Wenn Sie sich einen Augenblick hineinversetzen in diese Leute, wird Ihnen alles klar: Es geht um Solidarität. Muss denn nicht jeder, der die nicht wirklich erfährt aufgrund seiner persönlichen Indoktrination (von Leuten beispielsweise, die mit "Irren" nicht befasst sein wollen, weil Irrsinn sehr gefährlich ist und höchstwahrscheinlich ansteckend), nicht ein ganz dringendes Bedürfnis danach haben, sich seine Mitstreiter höchstselbst zu backen?

         

        Eltern hoffen, dass ihre Kinder sie dereinst mal unterstützen. Das tun sie nur, wenn sie so ähnlich "ticken", glauben sie. Das Phänomen ist keineswegs auf religiöse oder anderweitig indoktrinierte Menschen beschränkt. Auch Leute, die aufgrund ihres Andersseins ausgegrenzt oder unterdrückt wurden, entwickeln oft den Wunsch danach, "Druck" auszuüben auf ihre Mitmenschen. Dieser Druck soll ihr Umfeld dazu zwingen, die schwer vermisste Solidarität endlich zu üben. Das klappt leider so gut wie nie.

         

        Wer Gewalt ausübt, und sei es auch im Namen einer guten Sache, wird immer "abgewählt", sobald das möglich ist. Der Mensch halt halt ganz gerne einen eignen Kopf. Er möchte lieber selbst entscheiden, wen er mit allen Kräften unterstützt und wem er lieber aus dem Wege geht. So lange er noch jung ist und ein wenig unerfahren (nein, "dumm" sind junge Menschen nicht), lässt er sich von seinen Instinkten leiten. Deswegen können Eltern sehr viel Einfluss auf die Kinder haben, auch wenn sie nicht gut für die Kinder sind.

         

        Wer all zu sehr verbogen wurde von Eltern, Lehrern, von seinen Idolen oder so, wer nie erfahren hat, dass Liebe eigentlich ganz anders geht, missbraucht den Einfluss, den er hat – und zieht die Kinder zu sich runter. Das reflektiert er leider häufig nicht. Er wird bloß wütend, wenn's nicht richtig klappt.

  • Das Urteil ist gut, die Analysier hier schwach.

  • "Wenn die Geschlechter eben nicht so irre sexuell aufgeladen werden wie im strengen Islam, der sie deshalb trennt."

     

    Dazu hätte ich gern eine Erläuterung. Oder hält die Autorin Muslime tatsächlich für sexuelle Vulkane?

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Im Grunde ist genau das die Begründung der fundamentalistischen Moslems für den Schleier.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Die Autorin meint:

       

      Eine Aufladung erfolgt im naturwissenschaftlichen Sinne dadurch daß etwas zunimmt, es aber kein Ventil zum abnehmen gibt.

       

      Hier könnte man die Parrallele ziehen, daß durch die Entsexualisierung im Islam eine Aufladung entsteht, die theoretisch erst durch eine Heirat beigelegt werden kann, weil sich die Geschlechter kaum auf sexueller Basis nähern können.

      • @Nobodys Hero:

        Wie haben die Christen nur die letzten 2000 Jahre überlebt, ohne zu platzen?

         

        Menschen sind denkende Wesen und keine sexwütigen Urviecher aus einschlägigen Film- und TV Produktionen.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Ersetzen Sie einfach "im strengen Islam" durch "im fundamentalistischen Christentum".

           

          Christen haben die letzten 2000 Jahre ein beeindruckendes Maß an Unterdrückung der Frauen an den Tag gelegt.

           

          Daraus sollten wir lernen — und es anders machen.

          • @Arne Babenhauserheide:

            Ich habe mich an dem Ausdruck "irre sexuell aufgeladen" gestoßen.

             

            Das Urteil des Gerichts ist ja völlig richtig.

  • versteh kein wort. widernatuerlich was wie wo?

  • 3G
    36119 (Profil gelöscht)

    [...] Beitrag entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette. Vielen Dank! Die Moderation

    • @36119 (Profil gelöscht):

      Heißt das, Sie sind für ein Burkiniverbot?

       

      [...] gekürzt. Der von Ihnen zitierte Beitrag wurde entfernt. Die Moderation

    • @36119 (Profil gelöscht):

      Burkini ist genauso widernatürlich, wie jede andere Kleidung.

  • 3G
    36855 (Profil gelöscht)

    Sehr guter Beitrag, danke!

    Wie aber fühlen sich die Mädchen im Burkini? Wie fühlen sich die Mädchen im Badeanzug? Jede ist für Jede und Jeden anders.

    Warum immer nur die Mädchen, die Frauen?

    Wann hört dieser Schwachsinn endlich auf?

  • Ähnlich wie im Buddhismus oder in allen anderen Religionen soll den Menschen mit der "Hinwegnahme" der Möglichkeiten der Zurschaustellung eitelkeitsfördernder Attribute wie z.B. Haare, körperbetonter Kleidung, Make Up etc. ermöglicht werden sich um die "wahren und wichtigen Dinge des Lebens zu kümmern. Die Individualisierung des Einzelnen und die Zurschaustellung persönlicher oder angeklebter "Attribute" ( Schmuck etc. ) lenkt zu sehr ab und dreht sich im Kreis und kann den Einzelnen im schlimmsten Fall den Großteil seines Lebens begleiten. "Seht her was ich habe und wer ich bin und wie ich aussehe". Um sich von dem "zu reinigen" schneiden sich Mönche die Haare, gibt es Einheitskleidung in den religiösen Zentren (Klöster etc. ). Und so wie ich das verstanden habe sagt das auch der Koran, nämlich das man fern von Eitelkeiten durch das Leben geht und sich auf den Kern des Daseins konzentriert. Männer sollen übrigens auch deshalb weite Kleidung tragen laut Koran, so wie ich das verstanden habe. Damit "Mann" nichts zur Schau stellen kann. Ich finde diesen Hintergrund ( als katohlisch getaufter Mensch ) gar nicht mal so verkehrt.

     

    Dumm ist nur das "Mensch" sich das oft aufgrund von "Traditionen" nicht selbst aussuchen kann und dazu verdammt ist das anzunehmen, ob er erst einmal will oder nicht.

  • Da gibt es nicht zu feiern und nix gut zu heißen. Das ist Miniminikonsens. Das absolut Minimalste was man erwarten darf. Es gibt genügend Länder wo man/frau seine muslimische Religion ausleben kann. Der Mensch darf entscheiden, aber nicht andere nötigen. Nicht ´nötigen seinen Lebensstil aufzudrängen.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Scham? Gestörtes Verhältnis zum eigenem und zum anderen Geschlecht. Gilt auch für andere Religionen. Kann man durch Aufklärung behandeln.