Wagenknecht-Äußerung zu Flüchtlingen: Rechts blinken, dann zurückrudern

Die Linken-Fraktionschefin bezeichnet Merkels „Wir schaffen das“ als leichtfertig. Dann sagt sie, sie sei falsch verstanden worden. Es hagelt Kritik.

Eine Frau steht zwischen Menschen mit Rettungswesten. Es ist Sahra Wagenknecht. Ein Schild mit dem Schriftzug „Die Linke“ verdeckt ihren Mund

Ist sie noch zu retten? Foto: imago/Christian Thiel

BERLIN taz | Am Dienstagvormittag versucht Sahra Wagenknecht zu retten, was zu retten ist. Die Fraktionschefin der Linkspartei veröffentlicht eine Erklärung auf ihrer Facebook-Seite. Ihre Stellungnahme zu dem Selbstmord­attentat in Ansbach habe „offenbar zu Missverständnissen geführt“, schreibt sie. Weder sei es ihr darum gegangen, die Aufnahme von Flüchtlingen zu kritisieren, noch alle in Deutschland lebenden Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen.

Das sind ungewohnt selbstkritische Töne für die selbstbewusste Linken-Frontfrau. Die Frage ist, ob ihr die Richtigstellung noch hilft. Wagenknecht hat ihre Partei in der Flüchtlingspolitik mit markigen Sprüchen schon mehrmals gegen sich aufgebracht. Doch die Pressemitteilung, die sie am Montag verschickte, entfachte einen wahren Sturm der Empörung, der sie am Ende wohl nicht wegfegen, aber doch empfindlich beschädigen wird. In der Fraktion ist die Wut groß. Ihr Kovorsitzender Dietmar Bartsch, der eng mit ihr zusammenarbeiten muss, sagte der taz: „Ich bin froh über die Richtigstellung von Sahra. Ihre Pressemitteilung vom Vortag teile ich nicht.“ Das ist ein sehr kühler Satz für jemanden, der qua Amt zur Diplomatie verpflichtet ist.

Andere werden deutlicher. „Wer Merkel von rechts kritisiert, kann nicht Vorsitzende einer linken Fraktion sein“, twitterte der Außenpolitiker Jan van Aken am Dienstag. „Einigen bekommt offenbar die Sommerpause nicht“, lästerte Fraktionsvize Jan Korte. Manche in der Fraktion schimpfen hinter vorgehaltener Hand über die Chefin. „Was Sahra da abzieht, geht gar nicht“, sagt ein Abgeordneter. „Das kotzt mich an.“

Das Unheil nahm am Montagnachmittag seinen Lauf. Die Fraktionspressestelle verschickte Wagenknechts Statement zu dem Terroranschlag in Ansbach. Der Amoklauf in München und die Macheten-Attacke in Reutlingen waren gerade ein paar Tage her. „Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ‚Wir schaffen das‘ uns im letzten Herbst einreden wollte“, schrieb Wagenknecht. Der Staat müsse alles dafür tun, „dass sich die Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen können“.

Beifall von falscher Seite

Merkels „Wir schaffen das“ war leichtfertig? Diese These würde Horst Seehofer sofort unterschreiben. Wagenknecht ließ außerdem Punkte, die Linken wichtig sind, komplett weg: keine Silbe über die nötige Integration von Flüchtlingen oder darüber, dass die Anschläge keinen Generalverdacht rechtfertigten. Stattdessen attackierte sie die CDU-Kanzlerin in einem Duktus, den auch Rechtspopulisten gut finden. Der Beifall von falscher Seite kam prompt. André Poggenburg, Wortführer des völkisch-nationalen Flügels der AfD, twitterte hämisch: „Frau Wagenknecht, kommen Sie zur AfD!“ In den sozialen Netzwerken wurde Wagenknecht von vielen Leuten gelobt, die sich gerne „besorgte Bürger“ nennen.

Rechts blinken, kurz darauf zurückrudern: Es ist nicht das erste Mal, dass Wagenknecht nach diesem Muster agiert. Kurz nach den sexuellen Attacken in der Kölner Silvesternacht sagte sie: „Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt.“ Wenig später erklärte sie, dass es natürlich „Kapazitätsgrenzen“ gebe.

Für viele ist Wagenknecht eine linke Ikone. Messerscharf argumentierend bringt sie selbst konservative Banker ins Schwärmen

Im März, vor den Wahlen in drei Bundesländern, stellte sich Parteichefin Katja Kipping offen gegen Wagenknecht und sah sich gezwungen zu betonen, die Linke lehne Obergrenzen ab. Danach fanden jeweils turbulente Fraktionssitzungen statt, in denen Wagenknecht von Kollegen scharf angegangen wurde. Abgeordnete wiesen sie darauf hin, dass sie in diesem Punkt nicht für die Fraktion spreche. Doch der Effekt auf die selbstbewusste Frontfrau ist offenbar überschaubar. Hinter Wagenknechts Rhetorik steckt ein Kalkül. Sie geht davon aus, dass in Linkspartei-Milieus Menschen Angst vor zu viel Zuwanderung haben – und versucht, dieses Gefühl zu bedienen.

Die Linkspartei steckt in einem Dilemma: Alle wissen, dass Wagenknecht für viele Menschen eine linke Ikone ist. Messerscharf argumentierend, mit kerzengeradem Rücken und gut aussehend sitzt sie in Talkshows, bekommt Interviews in der FAZ und bringt bei Podiumsdiskussionen selbst konservative Banker ins Schwärmen. Unter den vier Führungsfiguren – neben ihr in der Fraktionsspitze Dietmar Bartsch, dann die beiden Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger – ist sie das prominenteste Gesicht. „Sahra ist wichtig, unbestritten“, räumt ein Vertreter des Reformer-Flügels ein. „Sie hat einen riesigen Fanblock.“

Wagenknecht isoliert sich in der Fraktion

Viele in der Partei würden über Wagenknechts rhetorische Ausrutscher deshalb am liebsten schweigen. Ein Stratege bittet per SMS, die Causa nicht kommentieren zu müssen – er sei im Urlaub. Riexinger und Kipping verschicken am Montag eine lange, auf Wagenknecht gemünzte Pressemitteilung – in der sie ihren Namen nicht erwähnen. Eine gefährliche Stimmungsmache gegen Geflüchtete führe nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu „einer Brutalisierung des gesellschaftlichen Klimas“.

Wagenknecht, das sagen viele in der Partei, ist dieses Mal zu weit gegangen. Schließlich formuliert sie Positionen, die sie in der Fraktion isolieren – und die dem Parteiprogramm widersprechen. „Schutzsuchende dürfen nicht abgewiesen werden“, heißt es darin unmissverständlich. „Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen.“ Besonders in den Landesverbänden in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern kam die Äußerung schlecht an. In beiden Ländern stehen im September Landtagswahlen an. „Unsere Basis reibt sich in der Flüchtlingsarbeit auf“, erzählt ein Berliner Linker. „Da wirken solche Sätze von ganz oben zerstörerisch.“

Wagenknecht und Bartsch wurden im Oktober 2015 an die Fraktionsspitze gewählt – als Duo, das den linken mit dem Reformer-Flügel versöhnen sollte. Wagenknechts Alleingänge könnten diesen Pakt auf Dauer gefährden. Ihre Richtigstellung hat sie nach taz-Informationen auch deshalb so deutlich formuliert, weil ihre Kollegen intern Tacheles sprachen. Dieses Mal gab es nur eine Rücktrittsforderung aus der Fraktion. Beim nächsten Mal könne es viele geben, droht ein Reformer. „Wenn Sahra so ein Ding noch mal bringt, dann ist sie weg.“

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