Doktortitel zweiter Klasse

Plagiatsfall Von der Leyen darf ihren Doktortitel behalten. Wie sinnvoll sind medizinische Doktorarbeiten? KritikerInnen meinen: Der Dr. med. gehört abgeschafft

Erleichtert: Ursula von der Leyen Foto: Stefan Boness/Ipon

aus BERLIN Anna Lehmann

Für die Verteidigungsministerin war es ein Befreiungsschlag: Am Donnerstagabend hatte die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) bekannt gegeben, dass Dr. Ursula von der Leyen den Doktortitel behalten darf. Von der Leyen kommentierte die Entscheidung in einer Erklärung aus Kalifornien: „Ich bin froh, dass die Universität nach eingehender Prüfung zum Schluss gekommen ist, dass meine Experimente für die medizinische Forschung relevant waren und die Arbeit insgesamt die wissenschaftlichen Anforderungen erfüllt. Teile meiner damaligen Arbeit entsprechen nicht den Maßstäben, die ich an mich selbst stelle.“

Allerdings hatte die Ministerin schon vor der Entscheidung mitgeteilt, dass sie im Falle der Aberkennung des Doktortitels nicht zurücktreten werde, und dafür Rückendeckung von Angela Merkel erhalten.

Die Kommission für „gute wissenschaftliche Praxis“ der Hochschule, die sich seit August 2015 mit von der Leyens Dissertation beschäftigte, hatte in der 1990 verfassten Arbeit zwar Plagiate gefunden. Aber es handle sich um Fehler, nicht um Fehlverhalten, begründete der Präsident der MHH, Christopher Baum, die Entscheidung der neunköpfigen Kommission. Die Opposition im Bundestag respektierte das Votum der Hochschule „Wir haben keinen Grund daran zu zweifeln, dass das zweistufige universitäre Prüfverfahren einwandfrei und sorgfältig vonstatten gegangen ist“, erklärte der hochschulpolitische Sprecher der Grünen, Kai Gehring, in einer selten zahmen Presseerklärung. „Fehler zu machen ist menschlich, auch Frau von der Leyen ist nicht übermenschlich.“

Auch die Plagiatsforscherin Debora Weber-Wulff, deren Recherchen unter anderem dazu beitrugen, dass Exverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) oder Exwissenschaftsministerin Annette Schavan (CDU) als enttarnte Plagiatoren zurücktreten mussten, zweifelt die Entscheidung der Medizinischen Hochschule nicht an. „Ob Doktorgrade aberkannt werden oder nicht, entscheidet die jeweilige Hochschule. Da kann es keine einheitlichen Standards geben“, sagte sie der taz. Zweifel hegt sie jedoch daran, wie zeitgemäß medizinische Doktortitel generell sind. In der Medizin werde schnell promoviert, oft begleitend zum Studium, und die Betreuung sei häufig nicht sehr gut. „ Ich bin dafür, den Dr. med. einfach abzuschaffen“, meint Weber-Wulff. Stattdessen sollte es wie in den USA ein Berufsdoktorat geben. „Wer forschen will, sollte nach dem Studium ein PhD, ein Doktorandenstudium, absolvieren.“

In Deutschland wird in Medizin sehr schnell ­promoviert

Auch der Wissenschaftsrat, der die Regierungen von Bund und Ländern berät, hatte die Promotionspraxis in der Medizin wiederholt kritisiert und bereits 2011 angekündigt, Vorschläge zur Qualität medizinischer Promotionen und einem berufsbefähigenden Titel unterbreiten zu wollen. Das Thema stehe nach wie vor auf der Agenda, sei aber nicht abgearbeitet, teilte die Geschäftsstelle auf Anfrage mit.

Die Grünen hatten 2011 vorgeschlagen den Doktortitel aus den Personalausweisen zu streichen. Der Antrag war an der parlamentarischen Mehrheit von Union und FDP gescheitert. Weber-Wulff hält das Anliegen für richtig. „Der Doktortitel gehört in die Hochschule und nicht ans Türschild.“