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Kommentar Nazi-Image OstdeutschlandWut statt Debatte

Anja Maier
Kommentar von Anja Maier

Ostler jaulen, Westler lehnen sich zurück. Alle machen‘s sich zu leicht. Fremdenhass ist der Vorbote eines anderen, gesamtdeutschen Problems.

2015 in Freital, Sachsen Foto: ap

S achsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern – aktuell bilden die fünf „neuen“ Bundesländer die Chiffre für eine gewaltbereite Fremdenfeindlichkeit. Die Ostler haben das mit der Weltoffenheit immer noch nicht kapiert, sagen die Westler. Und die Ministerpräsidenten im Osten stimmen den üblichen Klagegesang an, ihre Leute würden zu Unrecht in die rechte Ecke gestellt.

Das sind die auf beiden Seiten seit zweieinhalb Jahrzehnten gut eingeübte Abwehrreflexe. Die Ostler jaulen: Wir sind aber nicht alle so. Und die im Westen können sich einigermaßen beruhigt zurücklehnen: die echten Fremdenfeinde scheinen ja eher östlich der Elbe zu leben. Schön schlicht ist das.

Aber ist der gegenwärtig grassierende Rassismus östlich der Elbe tatsächlich lediglich die verstetigte Abschottungserfahrung made in GDR?

Wer 25 Jahre nach dem Mauerfall den Ostdeutschen gestattet, sich auf dieser Argumentationslinie auszuruhen, der macht es schlussendlich allen zu leicht. Denn Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewaltbereitschaft sind in erster Linie die Vorboten einer bedrohlich anwachsenden Demokratieverachtung in ganz Deutschland. Ja, diese Demokratieverachtung ist dort stärker, wo die Menschen einen biografischen Bruch erlebt haben. Aber exklusiv haben die Ostdeutschen diese Erfahrung in Zeiten des Neoliberalismus keineswegs.

Im ganzen Land nimmt die Tendenz zu, die parlamentarische Demokratie nur noch unter einem selbstbezogenen Nützlichkeitsaspekt zu betrachten. Macht „die Politik“ das, was ich von ihr fordere? Wenn nicht, dann werde ich zum Wutbürger.

Das Echo der politischen Wende im Osten nimmt da lediglich vorweg, was auch im Westen zunehmend Platz greift: Wut statt Nachdenken. Gewalt statt Debatte. Und Abwehr statt Interesse. „Die Politik“ muss darauf eine grundsätzliche Antwort finden. Und zwar möglichst sofort.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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39 Kommentare

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  • Gute Wessis, böse Ossis. Das alleine stinkt schon. Ich bin (von Geburt) Wessi. Ich habe lange in Sachsen gelebt und gearbeitet. Ich habe Nazis zuerst im Westen und dann im Osten erlebt. Einen Unterschied konnte ich nicht feststellen.

  • Wie wär denn mal mit Volksentscheiden. Dann brauch der Wutbürger nicht mehr so durchzudrehen.

  • Gute Idee. Spenden nehmen die auch. http://dresden-nazifrei.com/

  • Es wäre informativ Aktivist_innen gegen Rechts aus Ostdeutschen Städten zu befragen über die tägliche Situation und was die Behörden so treiben gegenüber den vielfältigen rechten Vereinigungen.

    • @nzuli sana:

      Kann ich die erzählen, gefühlt passiert nichts! In Heidenau haben Leute randaliert ohne Vermummung, und diese Leute wurden teilweise schon in Dresden auf der Bremer Straße fotografiert, als es um die Eröffnung eines Zeltlagers für Flüchtlinge ging und Helfer von Neonazis attackiert wurden. Es ist nicht klar, warum die 2 Tage lang auch noch in Heidenau ungestört randalieren konnten, es sei denn, es sind doch viele V-Leute des sächsischen LKA dort dabei! 27 Polizisten sind da, wenn es um den Fund von 7 Gramm Haschisch bei Migranten am Hauptbahnhof Dresden geht, für Heidenau zum Schutz der Flüchtlingsunterkunft nur 16 Polizisten!

  • erinnerst sei auch an die große Zahl von Morden an Obdachlosen und "Assis".

    in Ostdeutschland.

  • ich finde es schon reichlich aufschlussreich, dass hier rassistische vorurteile mit (regio-)nationalistischen verbrämt werden.

     

    so lange DIE politik von "fluchtursachen" faselt und nichts besseres zu tun hat, als auf flüchtlingsbote schießen und fluchthelfer*innen ganz generell kriminalisieren zu lassen, darf es keine/n wundern, wenn DAS volk so weiter reagiert, wie es gerade (zunehmend polarisiert) reagiert...

    nicht nur DIE politiker*innen des ostens wehren sich gegen nazivorwürfe statt gegen nazis und ALLE politiker*innen sind trotz westlicher kriegsführung aller orten, trotz massenhafter waffenexporte, trotz neoliberalen einbahnstrassen-handelsabkommen und politischer korruption von diktatoren aller coleur plötzlich völlig "überrascht", dass sich dieser tage soviele zwangsmigrant*innen auf den weg machen, wie seit dem II. weltkrieg nicht mehr...die diskutieren grad allen ernstes die "gerechte lastenverteilung" innerhalb europas und schnellere abschiebung statt die tatsächlichen ursachen der fluchtbewegungen als solches...wer weniger probleme haben will, sollte zuerst einmal damit beginnen, anderen weniger probleme zu machen.(punkt!)

     

    von der seite betrachtet ist es m.e. "wut über nicht zielorientiertes nachdenken" und "bereits stattfindende gewalt statt ernsthafte debatte zur beendigung derselben" sowie "bereits stattfindende abwehr an den außengrenzen statt interesse an wahlen, die eh nix ändern"...wer solcherlei "politik" betreibt, darf sich eben nicht wundern, dass gewalt wieder zunehmend als probate (end)lösung zelebriert wird - gegen "andere" und "untereinander"!

  • Verachtet wird nicht die parlamentarische Demokratie. Verachtet werden PolitikerInnen, welche die Demokratie "marktkonform" gemacht haben. Dadurch wurden die Parlamente zu Lobbyvertretungen. Politik in der parlamentarischen Demokratie hat ihre Mandate veruntreut und ihre Pflicht vergessen, für möglichst große Mehrheiten zu wirken und die Schwachen zu schützen und zu stützen. Und dass BürgerInnen die Politik nur noch unter Nützlichkeitsaspekt betrachten, das haben sie leider auch von ParlamentarierInnen gelernt. Schlechtes Beispiel verdirbt gute Sitten, sagte schon meine Großmutter.

    • @lichtgestalt:

      Die Politiker konnten das nur mit den Stimmen der heute ach so Enttäuschten. Napoleon sagte: Ich kenne keine schlechten Regimenter, nur schlechte Obristen.".

       

      Die Obristen dieser Demokratie sind WIR ALLE. Wir entscheiden, wer uns regiert. Wer nur traurig ist, dass er nicht höchstselbst nach Gutdünken regeieren darf - oder ein persönlicher, williger Handlanger - hat den Respekt vor der Demokratie verloren. Manche gehen daraufhin auf die Straße und leben ihre niederen Instinkte aus. Andere verdammen "die Politiker", tun so, als wären sie nicht Teil des Volkes, das die gewählt hat, und sehen verächtlich auf die herab, die es getan haben.

       

      "Volksherrschaft" heißt halt, dass Alle herrschen, aber Alle auch die Herrschaft mit dem Rest teilen müssen. Wunschkonzert ist nicht. Und wer meint, er müsse sich die Profis zum (negativen) Vorbild nehmen, die in Berlin und anderswo einfach nur einen speziellen Job machen, dem fehlt es entweder an demokratischem Selbstbewusstsein, oder er braucht einfach eine wohlfeile Ausrede, nicht selber vorbildlich sein zu müssen.

      • @Normalo:

        Mit "WIR ALLE"-Rhetorik kann ich hier nix anfangen. MIR sind Obristen nicht geheuer und ich will auch keiner sein. Ich habe auch nicht von MIR geschrieben und brauche keine wohlfeilen Ausreden.

         

        Vllt. habe ich Sie aber auch nur falsch bzw.gar nicht verstanden.

  • Ein überfälligen Kommentar - leider viel zu Oberflächlich.

     

    Natürlich kann man die Proteste gegen S21 (zum Beispiel) nicht mit den Protesten gegen Flüchtlinge vergleichen.

    Es stimmt aber schon, dass die Argumente der "Gegner" irgendwie verdammt ähnlich klingen.

     

    Hören beide Seiten nicht genau das was ihrer Ansicht nach "Richtig" ist - ist der Politiker eben korrupt und dient nicht dem "Volk" (natürlich nur die informierten, intelligenten aufgeklärten) sondern irgendeinem ominösen Macht.

    Ob nun wie bei S21 der Bauindustrie oder der "Flüchtlingsindustrie" ist dann nur noch von eigenen Weltbild abhängig.

    • @Thomas_Ba_Wü:

      Falsch. Offenbar wissen manche Leute nicht mehr, wo Links und wo Rechts ist. Kurze Nachhilfe:

       

      > Nazis attackieren Unschuldige und Wehrlose

      > Nazis zünden Unterkünfte an

      > Nazis finden den Holocaust gut

      > Nazis brüllen bei ihren Parties "Sieg Heil" und "Juden ins Gas"

      > Nazis wollen "lebensunwertes Leben" vernichten

      > Nazis verehren SA und SS

       

      Ich denke, das ist doch noch etwas anderes, als gegen ein Bauprojekt zu demonstrieren.

       

      Naziversteher, gerade solche vom Schlag "besorgter Bürger", geben Wasser auf die menschenverachtenden Mühlen derer.

       

      @ANJA MAIER: "Im ganzen Land nimmt die Tendenz zu, die parlamentarische Demokratie nur noch unter einem selbstbezogenen Nützlichkeitsaspekt zu betrachten. Macht „die Politik“ das, was ich von ihr fordere? Wenn nicht, dann werde ich zum Wutbürger."

       

      Diese Tendenz, Frau Maier, spiegelt nur das Demokratieverständnis, welches sich die politische und wirtschaftliche Oberschicht in den letzten Jahrzehnetn angeeignet hat und konsequent, ohne Rücksichtnahme auf Andere (es sei denn Solche, von denen man selbst wieder Nutzen ziehen kann) auslebt. Vom Kopf her stinkt der Fisch - wieder mal. Ich bin seit Langem etwas erstaunt, wieviel Toleranz die TAZ in diesem Punkt übt und sich im Zweifelsfall doch lieber zu den Großkopferten gesellt.

  • Es ist schade das Deutschland in dieser schweren Zeit so gespalten ist. Menschen die verfolgt werden müssen aufgenommen werden. Aber wenn sie später wenn in ihrem Land Frieden ist hier keinen job haben, sollten sie auch wieder gehen müssen. Man kann ausserdem den Menschen in Deutschland egal ob Ost oder West nicht zumuten, das ohne Volksabstimmung eine so massive Einwanderung von Muslimen problematisch ist. Ich befürchte das in Deutschland die Demokratie auf der Strecke bleiben wird, denn die berechtigte Wut steigt. Bei machen ist es bereits Hass!!!

    • @Krishna Das:

      Offenbar haben Sie für sich ja schon entschieden, auf welcher Seite der Spalte Sie stehen.

       

      Nun, zunächst muß gesagt werden, daß natürlich "schwere Zeiten" erst sichtbar machen, was an sozialen Verwerfungen und Spannungen in einer Gesellschaft vorhanden ist.

       

      Aber weder ist Wut noch Hass gegen Flüchtlinge jemals berechtigt: Diese sind letztlich Opfer weltpolitischer Entwicklungen, auf die sie so wenig Einfluß haben wie der "kleine Mann" hierzulande auch. Es wäre regelrecht närrisch, zu glauben, daß wenn 60.000.000 auf der Flucht vor Krieg, vor Verfolgung, vor Armut sind, dies an Europa spurlos vorbeiginge. Es hilft hier im Moment nur Solidarität von Mensch zu Mensch - ungeachtet der Herkunft.

       

      Wut- und Hassnazis gehören in den Knast, sobald sie sich entsprechend strafbar machen.

  • Och, jetzt steht die Polizei allein da; Wer schützt die Polizei ?

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    In seltener Offenheit äußerte sich der Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes Gordian Meyer-Plath in der "Welt am Sonntag". Früher hätten sich Rechtsextremisten bemüht, gegenüber der Polizei als "Saubermänner" aufzutreten.

    Das ist schlicht die Antwort, warum weder im Osten noch im Westen die Polizei je etwas gegen die Rechtsextremen unternommen hat. Sie wurden betrachtet als die 'Saubermänner fürs Grobe'. Eine Art 'Partner'.

    Das wird sich jetzt sehr schnell ändern. Beide, die Polizei und die Nazis müssen ihre Partnerschaft überdenken.

    • @4932 (Profil gelöscht):

      Ich bezweifle, daß sich das ändert. Es sind gewachsene Strukturen und man versucht, die Situation auszusitzen.

      • 4G
        4932 (Profil gelöscht)
        @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Das Aussitzen wird nun erstmal nicht mehr funktionieren. Der Druck auf alle europäischen Politiker ist durch die Flüchtlingsaufnahme sehr groß. In dem heutigen Europa wird kein Politiker mehr Asylrecht, Menschenrechte, Ursachen (Waffenlieferungen z.B.) ignorieren können. Politiker haben für die Durchführung von Maßnahmen nur die Exekutive (Justiz und Polizei) zur Verfügung. Sie werden die Polizei zwingen, früher übliche Strukturen aufzugeben.

        Aber ich befürchte trotzdem Schlimmes, denn halb Europa will das Land und den Wohlstand nicht mit anderen teilen (mein Eindruck).

    • @4932 (Profil gelöscht):

      Der "moderne" Nazi als unfreiwilliger Geburtshelfer für eine gerechtere Polizei. Was für ein Segen. Enttäuschung ist was wundervolles, ist doch die Täuschung damit beendet.

  • Wer daran glaubt, die Politik würde die richtige Antwort auf unsere Probleme hinsichtlich Flüchtlingsphänomen oder in irgendeiner anderen Angelegenheit finden können oder wollen, der träumt einen irrealistischen Traum!

     

    Die vorherrschende Politik mitsamt ihren Parteien ist weder in der Lage noch willens, etwas an der Miseren zu ändern. Auch der vorherrschende Anteil unserer Gesellschaft hat es sich gemütlich eingerichtet und versucht es egoistisch, mit allen Mitteln die erworbenen Privilegien zu verteidigen. Daß dadurch andere Menschen in MItleidenschaft gezogen werden, interessiert zunächst nicht.

     

    Unsere anerzogene Mentalität ist auf Egoismen aufgebaut: Jeder ist sich erstmal der Nächste. Der von der Religion der neoliberalen Marktwirtschaft geschaffene Konsens ist auf rücksichtslosem Wettbewerb aufgebaut und verlangt Abschottung und militante Status-Quo-Behauptung.

     

    Wer glaubt denn wirlich, der aktuelle Nationalismus, die Intoleranz sowie der zutage tretende häßliche Rassismus sei ein Zeichen der heutigen Zeit? Das Märchen, daß der Nationalsozialismus 1933 entstanden sei und 1945 mit der Beendigung des Krieges und der Entnazifizierung entschwunden sei, ist nur für Naive und Kinder glaubhaft.

     

    In Wirklichkeit haben wir es seit Jahrhunderten (oder sogar seit Jahrtausenden) - und das nicht nur in Deutschland - mit rassistischen und diskriminierenden Denkmodellen zu tun, die nie ausgemerzt wurden. Sie liegen in der Natur des Menschen zugrunde.

     

    Allerdings besitzt jeder von uns prinzipiell aufgrund seines freien Willen die Möglichkeit, dies destruktiven Gedanken und Handlungen zu bekämpfen und sich für die humanistische Variante zu entscheiden. Was hindert uns eigentlich daran, dies zu tun?

    • @Peter A. Weber:

      ...stimme ihrer analyse bis "...mit rassistischen und diskriminierenden Denkmodellen zu tun, die nie ausgemerzt wurden." vollständig zu...dann wird's für mich allerdings unstimmig "naturalistisch":

       

      wenn diese "denkmodelle" denn tatsächlich "der Natur des Menschen zugrunde (liegen)" würden, wäre ja jede/r, die/der (möglicherweise sogar von vornherein) nicht so denkt und "sich für die humanistische Variante zu entscheide(t)n" kein "natürlicher mensch" mehr, weil sie/er über einen "freien Willen" verfügt, der es erlaubt, sich über die menschliche natur zu erheben...

      ...ich sage: wer erst überlegen muss, ist schon mittendrin in einer überlegenheitsmentalität ;o)

    • @Peter A. Weber:

      Sehr gute Analyse

  • Die jetzt zuoberst stehende Antwort auf @Hanne war nicht an diese, sondern an die Parlaments-Redakteurin der TAZ gerichtet!

  • Ja, Nazis gibt und gab es in Ost und West, aber eben auch deutliche Unterschiede des Umgangs damit.

     

    Und abgesehen davon, dass niemand dafür was kann, wann, wo und unter welchen sonstigen Umständen er geboren wird, wird auch nicht jede/r ein Nazi, dessen Leben nicht so glatt läuft - selbst im Osten der Republik nicht. Da müssen meines Erachtens schon andere Erfahrungen dazu kommen.

     

    Meine persönliche Einschätzung ist die, dass viele einfach nicht den Spaß und vor allem die Freiheit in ihrer Kindheit und Jugend hatten, einfach auch mal außer der Reihe was zu machen, sich zu erfahren, Quatsch zu machen und das, ohne dass die berufliche und gesellschaftliche "Karriere" dadurch ruiniert werden konnte.

    • @Hanne:

      Ein sehr schönes Beispiel finde ich die Geschichte des Freizeit-Fußball-Clubs FC Ente Bagdad aus Mainz, der bereits 1973 gegründet wurde

      http://www.ente-bagdad.de/geschichte.html

       

      und heute immer noch mit Spaß tolle Sachen macht

      http://www.swr.de/swrinfo/fussball__fuer__fluechtlinge/-/id=7612/did=16016114/nid=7612/h6nu2b/index.html

       

      "Es war die Zeit, als wir noch alle lange Haare trugen und per InterRail-Ticket die Mädels in ganz Europa aufsuchten. Wir fühlten uns als Linke, wollten die Welt verändern und lasen neben der Mao-Bibel und dem Kapital die Werke von Adorno, Sartre, Markuse und Oswald Kolle.

       

      Montags lasen wir den Kicker.

       

      Getanzt, geknutscht und gekifft wurde zu Cream, Hendrix, Doors, Rolling Stones, Bob Dylan und Cat Stevens. Persico und Apfelschnaps sowie Lambrusco aus Zweiliter-Flaschen gehörten zu jeder gescheiten Beat-Party.

       

      ...

       

      Dies war genau der richtige Moment, ... im Frühjahr 1973 unser eigenes Dreamteam aufzubauen. Wir waren zunächst ein bunt zusammen gewürfelter Haufen von Freunden und Schulkameraden. Die fußballerischen Qualitäten waren sehr unterschiedlich verteilt. Einige hatten Probleme, den Ball überhaupt zu treffen, während andere durch den Helmut-Haller-Trick und Ähnliches glänzten. Was uns alle verband war die pure Lust am Fußballspiel und an sportlicher Betätigung."

      • @Hanne:

        Über 40 Jahre später:

         

        "Trainingsauftakt beim Mainzer Hobby-Verein FC Ente Bagdad: Zehn einheimische Jugendliche und ebenso viele jugendliche Flüchtlinge treffen sich zum ersten Mal. Unter ihnen ist ein Junge aus Syrien.

         

        Fußball verbindet, davon ist Uhlich fest überzeugt. Und eine solche Verbindung sei für die Flüchtlinge ideal um hier Fuß zu fassen. "Die Leute kommen ja nicht hierher, weil es ihnen so gut geht, sondern sie haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt", so Uhlich. "Sie haben ihre Familien zum Teil verlassen, kommen hier her und stehen vor dem Nichts. Wir sehen es einfach als unsere Pflicht an, diesen Leuten zu helfen und ihnen über Fußball eine neue zweite Heimat zu geben."

         

        Und so geht es auch nicht nur ums Kicken, sondern es sind auch viele gemeinsame Aktivitäten geplant."

         

        Mir fehlt hier in Sachsen einfach das Spaß-am-Leben haben, selbst wenn man viel arbeitet (das tun sie im Westen übrigens auch), das Vergnügen und der Witz und auch mal Sport oder Musik machen ohne Drill und Leistungsanspruch sollte auch drin sein. Zumindest habe ich da gute Erfahrungen mit gemacht. Hier aber zählt eben meist nur Arbeit und Leistung von klein auf, und an zweiter Stelle das brav sein und nicht aufmucken, schnell nach der Schule eine Ausbildung absolvieren und fertig ist der "gute", deutsche, sächsische Mensch. ABER: "Ein bisschen Spaß muss sein" - würde vielen sicher gut bekommen, wenn sie es denn mal ein wenig lockerer angehen würden, allen voran die Eltern und Lehrer.

         

        Gegründet haben diesen Verein übrigens Männer, die heute um die 60 bis 65 Jahre alt sein werden. Und das ist u.a. die Altersklasse, die man in Sachsen z. B. zuhauf bei PEGIDA mitlaufen sieht. Ebenso auch jüngere Jahrgänge.

         

        Nur ein Beispiel...

        • @Hanne:

          Liebe Frau Maier - mit den "Wutbürgern" machen Sie es sich zu einfach! Für mich ist es ein gewaltiger Unterschied, ob Bürger gegen diverse Großprojekte protestieren, welche ökonomisch, ökologisch, städteplanerisch und fiskalisch unsinnig sind - oder gegen Menschen, die in unserem unverschämt reichen Land Zuflucht und besseres Leben suchen.

          • @Albrecht Pohlmann:

            Lieber Herr Pohlmann,

             

            demonstrieren ist eine Sache, "Wutbürgertum" geht aber in eine andere Richtung. Es drückt die absolute Erwartung des Einzelnen an die Politik aus, SEINE Ansichten (z. B. zum Thema Sinn und Unsinn eines Bahnhofsprojektes) inhaltlich zu übernehmen. Tut sie das nicht, erntet sie seinen unversöhnlichen Zorn oder gar aktiven Widerstand (wobei ich darunter auch das "passive" absichtliche Blockieren von Maßnahmen verstehe). Wer so denkt, erklärt sich und seine Meinung zum ideellen Herrscher - auch über die Mehrheit, die es vielleicht anders sehen mag.

             

            Sie schreiben ja letztlich nichts Anderes, als dass der wesentliche Unterschied zwischen den S21-Wutbürgern und den Ausländerfeinden in Sachsen wäre, dass die Einen Recht hatten und die Anderen nicht. Merken Sie, wie hoch Sie damit Ihre persönliche Wertung hängen - und wie schnurzpiep es Ihnen dabei ist, dass in BEIDEN Fällen die Wutbürger gegen demokratisch legitimierte Vorgänge opponieren?

        • @Hanne:

          Liebe @Hanne, obwohl Ihre Kommentare am Thema vorbeizugehen scheinen, finde ich sie anregend:

          - was ist aus der selbstbewußten Arbeiterklasse geworden, die bis in die Weimarer Republik ein eigenes Wirtschaftssystem betrieb (Produktions- und Kosumgenossenschaften) und eben den von Ihnen bezeichneten "Spaß" in unzähligen Sport- und sonstigen Vereinen hatte? Was haben Naziherrschaft, DDR und BRD daraus gemacht? (Heiner-Müller-Paradoxon: "Die NSDAP war die größte Leistung der deutschen Arbeiterklasse.") Denn der von Ihnen genannte Mainzer Fußballclub scheint so zwar nur in der BRD möglich gewesen zu sein - aber auch da eine Ausnahme!

          - die "Verbissenheit" der Pegidisten hat tatsächlich etwas mit Abwesenheit von tolerantem, lebensfreundlichen "Spaß" zu tun, so wie Sie ihn beschreiben: ich sehe das allerdings eher als Tragik dieser Leute, als Prägung durch ihre diktaturgeprägten Elternhäuser, aus der sie sich nicht befreien konnten

          - deshalb denke ich, einfach zur menschenfreundlichen Lebensfreude zu animieren (denn schließlich geht es auch den Pegidisten, wie uns allen, blendend in diesem Land, verglichen mit großen Teilen der Menschheit) - das würde leider nur wenige erreichen, weil sie sich in den Kopf gesetzt haben, vom Leben enttäuscht zu sein.

          Hm - wie weiter? Vielleicht wollte ich Ihnen nur antworten, weil es mir so sympathisch erscheint, was Sie beschreiben ...

  • Stimmt: Nazis gibt's in Ost und West. Der Unterschied zwischen Ost und West ist aber: Die Zivilgesellschaft im Westen funktioniert und zeigt sofort Präsenz. Im Osten funktioniert sie nicht. Da wird entweder geschwiegen, geduldet oder sogar Beifall geklatscht.

    • @JensL:

      jaja, wir tollen Wessis haben beispielsweise zugelassen, dass sich die Neo-Nazis in Dortmund ein ganzes Stadtviertel unter den nagel reissen.

      Stillschweigend.Von Solidarität der bevölkerung mit den letzten, die sich gegen die Nazis stellen, keine Spur.

      • @pippilotta_viktualia:

        Das Stichwort hierbei ist "stillschweigend". Aber wann immer Nazis im Westen laut auftreten, bekommen sie Gegenwind.

  • DRadio Kultur hat die Meldung, vier der fünf Ost-Ministerpräsidenten wären sich "quer durch alle Parteien" einig in der Forderung, das Phänomen Fremdenfeindlichkeit sei KEIN ausschließlich Ostdeutsches (und also in ihren ganz persönlichen Herrschaftsbereich fallendes) Problem und müsse deshalb gesamtdeutsch bekämpft werden, heute Mittag auf Platz eins aller Nachrichten gesetzt. Wir haben halt gerade Sommer-Loch. Zu anderen Zeiten hätte diesen Spitzenrang vermutlich allenfalls die Meldung erhalten, die fünf ostdeutschen MP hätten ihre elf West-Kollegen dazu gebracht, eine GEMEINSAME Erklärung zum Thema abzugeben. Auf diese Meldung allerdings habe ich leider mal wieder umsonst gewartet.

     

    Frau Maier hat vollkommen recht: Sie machen es sich verdammt leicht, wenn sie sich auf dämliche Klischees zurückziehen. Die Ost- wie die Westdeutschen, die Regierenden genau so wie die Regierten. Die einen wollen offenbar nicht führen, die anderen sich nicht führen lassen. Nur anklagen wollen beide Seiten. So wird das wohl nichts werden mit der gesamtdeutschen Problembewältigung von oben. Und ob es mit der gesamtdeutschen Problembewältigung von unten was wird, scheint auch noch fraglich.

     

    Schließlich lernen deutsche Bürger quer durch alle angeblich nicht mehr existenten Klassen und sowohl öst- wie westlich der Ex-Grenze seit mehr als zwei Jahrzehnten von hochbezahlten Erfolgs-Couches die Frage: "Wem Gehört das Problem?" Und das Volk, das von all seinen Liedern nur die erste Strophe kennt, ist schon nach der ersten Frage völlig überzeugt: Wenn es nicht MEIN Problem ist, ist es KEIN Problem für mich. Fremder Leute Probleme darf jemand, der Erfolg haben will, nicht lösen wollen. Wenn die Fremdenfeindlichkeit deutscher Bürger also das Problem völlig fremder Zuwanderer ist, dann muss sich der, der sich etwas davon verspricht, damit nach Kräften profilieren. Und zwar so lange, wie nur irgend möglich.

  • Der Begriff "Wutbürger" war um die Proteste gegen Stuttgart 21 entstanden. Die wollen Sie nicht im Ernst in einen Topf werfen mit menschenverachtendem Nazi-Mob vor Flüchtlingsheimen? "Die Politik" mal mit lauten öffentlichen Protesten voranzuschieben statt nur alle vier Jahre mal sein Kreuzchen brav abzuliefern ist für die taz neuerdings §demokratieverachtend"?

     

    *kopfkratz*

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    "Wir sind nicht alle so!"

    Wäre ja auch schlimm. Aber diejenigen, die "so" sind, fallen umso mehr auf.

     

    Und mit dem "biografischen Bruch" als Erklärung für das, was im Osten schiefläuft, braucht man "zweieinhalb Jahrzehnte" nach der Vereinigung auch nicht mehr zu kommen, Frau Maier

    • @571 (Profil gelöscht):

      Das Erschreckende ist, daß hier eine neue Generation ist. Die Bauzäune werfen haben die Mauer nie gesehen. Die haben es von ihren Eltern gelernt.

    • 2G
      23879 (Profil gelöscht)
      @571 (Profil gelöscht):

      Erstens haben Sie das "aber" ignoriert. Lesen Sie bitte noch mal genau.

       

      Zweitens ist das Wüten der Treuhand zwar schon 25 Jahre her - die Arbeitslosigkeit ist in den neuen Ländern aber auch heute noch doppelt so hoch wie in den gebrauchten. Ein biografischer "Bruch" ist insofern tatsächlich irrelevant - auch eingedenk dessen, daß ihn die jungen Rechten gar nicht erlebt haben. Die waren schon immer mit diesen Mißständen konfrontiert.

  • 7G
    738 (Profil gelöscht)

    Anja Maier lebt wohl in ihrem eigenen "Dunkeldeutschland". Wenn ich sehe wie entspannt heute mit der Flüchlingsproblematik umgegangen wird und mich an die Szenen in den 90er Jahren erinnere, dann würde ich mal sagen, dass von Wutbürgern wenig zu merken ist. Dass sich der Pöbel immer mal wieder zusammenrottet wird immer wieder passieren, aber die Hilfsbereitschaft, das Verständnis und das politische Engagement der meisten Bürger haben zugenommen.

    • @738 (Profil gelöscht):

      So ist es und leider wird, zumindest für meinen Geschmack, zu wenig über die vielen positiven Dinge, Spenden, Hilfsbereitschaft etc. berichtet. Einige Medien konzentrieren sich dann lieber auf die Nazis im Osten.