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Nach den Ausschreitungen in HeidenauEine neue Dimension der Gewalt

Sachsens Verfassungsschutz macht der NPD Vorwürfe. Unterdessen wehren sich verschiedene Landeschefs gegen das Nazi-Image Ostdeutschlands.

Auch das gibt es in Sachsen: Flüchtlinge und Unterstützer tanzten am Samstag gemeinsam in Heidenau Foto: dpa

Berlin afp/rtr | Der sächsische Verfassungsschutz sieht in den Ausschreitungen vor einer Flüchtlingsunterkunft nahe Dresden eine neue Dimension der Gewalt. „Neu ist die Brutalität und die Bereitschaft, Polizisten zu attackieren“, sagte Behördenpräsident Gordian Meyer-Plath der „Welt am Sonntag“ laut Vorabbericht. Früher hätten sich Rechtsextremisten bemüht, gegenüber der Polizei als „Saubermänner“ aufzutreten.

Bei den Ausschreitungen im Dresdner Vorort Heidenau wurden vor einer Woche Dutzende Polizisten verletzt, als sie vor einer Notunterkunft von Rechtsradikalen mit Steinen und Flaschen beworfen wurden. So etwas habe er in Sachsen noch nicht erlebt, wurde Meyer-Plath nun zitiert. „Die NPD muss sich die gewalttätigen Übergriffe anrechnen lassen.“

Am Samstag und in der Nacht zum Sonntag blieb es in Heidenau und Dresden unterdessen friedlich: In der Landeshauptstadt demonstrierten tausende Menschen, um ihre Solidarität mit Flüchtlingen zu bekunden. Etwa 400 hätten später auch in Heidenau demonstriert.

Indes haben sich die ostdeutschen Ministerpräsidenten dagegen verwahrt, Fremdenhass als vornehmlich ostdeutsches Problem einzustufen. Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) warnte in der Welt am Sonntag, „hier vorschnell von einem ostdeutschen Phänomen zu sprechen“. Zwar nehme er die Zahlen zu fremdenfeindlichen Übergriffen „sehr ernst“. Es handele sich aber um eine deutschlandweite Entwicklung, wie Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte etwa in Bayern und Baden-Württemberg zeigten.

Angst vor Veränderung

Thüringen Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) pflichtete bei: „Wir reden von einem gesamtdeutschen Problem, das wir gesamtdeutsch bekämpfen müssen“, forderte er. „Im Moment brennen bundesweit Nacht für Nacht Flüchtlingsunterkünfte. Und die Hotspots der braunen Gewalt liegen in allen Himmelsrichtungen verteilt.“

Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hob in der Zeitung hervor, dass es sich nicht um das Problem eines einzelnen Bundeslandes, sondern um „eine Herausforderung für das ganze Land und die Gesellschaft“ handele. „Wir müssen uns jeden Tag aufs Neue bemühen, rassistische und menschenverachtende Haltungen aus den Köpfen zu bekommen“, sagte Tillich. Dabei seien „alle gefordert, keiner darf wegsehen“. Bund, Länder und Gemeinden müssten an einem Strang ziehen.

Tillich äußerte sich zugleich aber kritisch über die Entwicklungen in seinem Bundesland: „Zur Wahrheit gehört, dass es in Sachsen eine nicht zu unterschätzende rechtsextremistische Szene gibt: Menschen, die unsere Werte mit Füßen treten und die Demokratie angreifen. Die gegen andere hetzen und die gewalttätig sind.“ Es gebe keine einfache Erklärung dafür „und warum manche denen hinterherlaufen“. Tillich mutmaßte, die Angst vor Veränderungen sei im Osten womöglich stärker ausgeprägt als im Westen.

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8 Kommentare

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  • Solange ein Horst Seehofer ungestraft NPD-Parolen verbreitet, scheint mir das Problem in der Tat nicht nur auf den Osten beschränkt.

  • Habe noch einen langen, aktuellen FAZ-Artikel über ein sächsisches Dorf namens "Häslich" entdeckt:

     

    "Opitz hat nichts gegen Ausländer. Seine Nachbarn auch nicht. Niemand will hier in der rechten Ecke stehen. Das sagen sie einem in Häslich oft, das soll man schreiben, weil alle Angst haben, dass ein falscher Eindruck entsteht. Der Eindruck etwa, dass es hier ein Problem geben könnte. Dann wäre die Geschichte schnell erzählt: Häslich, das verlorene Kaff mitten in Sachsen. Doch die Häslicher sehen das anders. Nichts ist einfach. Und die anderen, die verstehen nicht, warum die Menschen in Häslich so wütend sind – auf die Regierung, die Medien, die Ehrenamtlichen und die 32 Flüchtlinge in der alten Dorfschule."

    http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/das-dorf-haeslich-in-sachsen-nimmt-32-fluechtlinge-auf-13750649.html

  • 2G
    2284 (Profil gelöscht)

    " „Wir müssen uns jeden Tag aufs Neue bemühen, rassistische und menschenverachtende Haltungen aus den Köpfen zu bekommen“, sagte Tillich. Dabei seien „alle gefordert, keiner darf wegsehen"

    Also tut was Tillich sagt, und nicht was er tut. Wenn irgendwer bezüglich derartiger Haltungen weggesehen und verharmlost hat, dann ja wohl die sächsiche CDU. Heuchler!

  • 6G
    6474 (Profil gelöscht)

    "wehren sich verschiedene Landeschefs gegen das Nazi-Image Ostdeutschlands. "

     

    sie wehren sich natürlich nicht gegen nazis sondern gegen das nazi-image.. sehr gut,alles beim alten

    • @6474 (Profil gelöscht):

      Gute Zusammenfassung!

  • Blöd, aber auch, dass der VS jetzt nicht mehr sagen, dass "nur" die (bösen) Linken die Polizei attackieren. Die "Rechten" waren ja bisher immer soooo brav und haben der Polizei nichts getan (Anmerkung: Dafür aber anderen!).

     

    Und dann auch noch das Ostgejammer der Ministerpräsidenten - Haben die aktuell nicht besseres zu tun?!?

     

    Ja, es ist ein Deutsches Problem, keiner im weiteren Ausland wird nach Bundesländern differenzieren, ABER innerhalb Deutschlands ist schon deutlich erkennbar, wie und vor allem wo die Verhältnisse liegen: 17% Einwohner leben aktuell in den östlichen Bundesländern (ehemalige DDR) und dort werden wohl knapp die Hälfte der Straftaten im Zusammenhang mit Ausländerfeindlichkeit verübt. Hmmm, die Sachsen behaupten doch immer, dass sie sooooo gebildet seien und das vor allem im Fach Mathematik!?!

     

    Und selbst wenn es nicht um die zahlenmäßigen Verhältnisse geht, zumindest in Sachsen sind die politischen und demokratischen Verhältnisse und vor allem Einstellungen SEHR anders - anders als in anderen Bundesländern, die ich (auch) kenne.

     

    Und im übrigen, erfahre ich hier in Sachsen als sog. Wessi auch (indirekt) Stigmatisierungen. Denn die Sachsen fühlen sich diesen doch SEHR überlegen und drücken das auch regelmäßig so aus. Hier nur ein veröffentlichtes Beispiel, erlebe ich aber so auch ab und an im privaten Umfeld, geht meist um Bildung:

    http://www.stern.de/politik/deutschland/schnauze-wessi/schnauze--wessi--g8--g9---geh-heulen--3721280.html

    http://www.stern.de/politik/deutschland/schnauze-wessi/schnauze-wessi--verwestlicht--verbloedet--verseucht--eine-kolumne-kapituliert-3249668.html

     

    Also, liebe angepassten, autoritär im Gleichschritt erzogenen Eltern, Lehrer, Arbeitgeber und Politiker: Beweist Eure Bildungs-Überlegenheit und seid auch bei diesem Thema ein Vorzeigevölkchen! Bitte zeigt es den anderen Bundesländern doch mal, wie ihr das gut hinbekommt. Ich bin sehr gespannt!

    • @Hanne:

      Kommentar entfernt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

  • Die ostdeutschen MP's sollten das Rechtsradikalen Problem in ihren Ländern nicht kleinreden. Gerade in Sachsen sind die Probleme überproportional. Das Problem scheint auch eine geordnete Strafverfolgung der rechten "Aktivitäten" zu sein und das ist allein ein Problem der dortigen Politik mit ihren entsprechenden Behörden.